Gespräch mit Anja Hagenauer,
Vizebürgermeisterin der Stadt Salzburg
TT: Du hast am 6. Februar anlässlich des Internationalen Tages zu Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung angekündigt, dass im Landtag ein Gesetzesvorschlag eingebracht werden soll, um Mädchen aus den Risikogruppen besser zu schützen. Gibt es konkrete Fälle in Salzburg?
Anja: Meine Kollegin, die Landtagsabgeordnete Niki Solarz, wird einen Antrag einbringen, dass Mädchen aus bestimmten Communities wie aus Ägypten, Somalia, dem Sudan, Nordirak, Indonesien, Nigeria usw. in regelmäßigen Abständen ärztlich untersucht werden sollen, um so einer möglichen Genitalverstümmelung vorzubeugen. Sollte der Arzt eine Verstümmelung feststellen, muss er eine Anzeige machen. Genitalverstümmelung ist eine schwere Körperverletzung, auf die in Österreich – auch wenn sie im Ausland vorgenommen wird – bis zu zehn Jahre Haft stehen.
TT: Gibt es einen konkreten Anlass für diese Initiative?
Anja: Ja. Es gibt immer wieder Vermutungen und Verdachtsfälle. Es gibt gerade jetzt einen aktuellen Fall, wo ich das Jugendamt eingeschaltet und die Order ausgegeben habe, den Fall zu verfolgen. Wir haben zwar einen Arbeitskreis zu FGM, und es wird Aufklärung gemacht, doch das Problem ist: Es wird weiter beschnitten, und obwohl alle Bescheid wissen, passiert nichts. Es gibt bis jetzt in ganz Österreich keinen konkreten Fall, der verfolgt worden ist. Wer soll die österreichischen Gesetze ernst nehmen, wenn man diese Straftat begehen kann, es aber keine Konsequenzen gibt, weil alle wegschauen? Sowohl die verantwortlichen Politiker_innen, die Behörden, die Pädagog_innen haben die jedoch Verpflichtung, dieses Problem wahrzunehmen.
TT: Wie viele Mädchen sind in Salzburg von dieser Gefahr bedroht?
Anja: Wenn laut UNICEF-Studien in einem Land 90 Prozent der Mädchen verstümmelt werden, kann ich davon ausgehen, dass ein gewisser Prozentsatz der Leute, die aus diesen Ländern stammen, auch hier bzw. beim Heimaturlaub eine Verstümmelung bei ihren Töchtern vornehmen würden.
TT: Wie kann man die Betroffenen erreichen?
Anja: Ganz klar zuerst durch Aufklärung und Information, wobei ich aber davon ausgehe, dass Leute, die als Flüchtlinge oder Arbeitsmigrant_innen nach Österreich kommen, sich über die Gesetze hier informieren. Das möchte ich auch einfordern. Aber selbstverständlich weiß ich, dass bei so einem heiklen Thema extra Aufklärungsarbeit betrieben werden muss. Wenn man mit den Menschen Kontakt aufnimmt, erfährt man, dass sie sehr wohl wissen, dass es in Österreich verboten ist, ein Mädchen beschneiden zu lassen. Manche tun es aber trotzdem. Und sie können es tun, weil es keine Konsequenzen gibt, darauf haben sie sich die letzten 20 Jahre verlassen können.
TT: Wie sieht die Aufklärungsarbeit aus?
Anja: Sie findet speziell in Frauenvereinen statt, wo man versucht, die Frauen für dieses Thema zu sensibilisieren. Wir versuchen auch in den Schulen, mit den Müttern in Kontakt zu kommen, außerdem führen Ärzte und Ärztinnen Gespräche. Die Frage ist halt immer, wie viel Aufklärung jemand zulässt. Es ist natürlich schwierig, weil es ein Tabuthema ist. Ich kenne einige Leute aus den betroffenen Communities – zum Beispiel aus Somalia – die offen gegen diese Praxis auftreten, und die mich in meinem Vorhaben, Kontrollen durchzuführen, bestärkt haben. Aber diejenigen, die sich gegen diese Tradition stellen, müssen sich oft gegen den Druck in der Community oder gegen ihre Familien und Verwandten durchsetzen. Deshalb müssen wir sie stärken und unterstützen.
Den anderen müssen wir klarmachen, dass dieses Verbrechen strafrechtlich verfolgt wird, weil es sich um eine schwere Körperverletzung handelt, weil dem jungen Mädchen die Sexualität geraubt wird und noch dazu in Kauf genommen wird, dass das Mädchen stirbt, weil es so ein schwerer Eingriff ist. Ich erhoffe mir, dass die Wortführer der Communities in dieser Frage klar Stellung beziehen. Natürlich wird es auch viele geben, die aus Angst, in der eigenen Community angegriffen zu werden, davon nichts wissen wollen. Weil man dann „auf der Seite der Österreicher“ steht.
Ich stelle mir vor, was auf der Welt passieren würde, wenn wir die Tradition einführen, dass allen Buben zwischen fünf und zwölf Jahren der halbe Penis abgeschnitten wird. Da hätten wir 24 Stunden später den Dritten Weltkrieg! Weil es nie jemand akzeptieren würde. Das liegt ganz klar an der unterschiedlichen Wertigkeit von Frauen und Männern. Irgendwann muss man jedoch einen Punkt setzen. Ich habe genug von den Diskussionen. Wir wissen alle Bescheid, jetzt muss es auch Konsequenzen geben. Ich möchte, dass da, wo ich Verantwortung trage, nämlich für die Schulen, Kindergärten und das Jugendamt, alle ganz genau wissen, dass jeder Verdachtsfall gemeldet wird, ausnahmslos, und dass es bei Verdacht Untersuchungen geben wird. Wenn der Verdacht bestätigt wird, wird es Anzeigen geben. Es muss Schluss sein mit dem Wegschauen, und die Gesetze müssen vollstreckt werden!
TT: Du hast dich kürzlich auch für ein Kopftuchverbot in Kindergärten ausgesprochen. Sind Verbote notwendig und zielführend?
Anja: Ich habe kein Kopftuchverbot ausgesprochen, weil ich dazu gar nicht die Befugnis habe. Aber ich habe die Empfehlung ausgesprochen, dass die Pädagoginnen mit den Eltern ein Gespräch führen, wenn ein Mädchen mit einem Kopftuch in den Kindergarten kommt. Wenn das nicht fruchtet, mit dem Jugendamt, und wenn das auch nichts bringt, komme ich ins Spiel. Das war aber bis jetzt nicht notwendig. Die Eltern waren damit einverstanden, dass ihre Tochter das Kopftuch abnimmt. Was außerhalb des Kindergartens passiert, darauf haben wir sowieso keinen Einfluss.
Dankenswerter Weise hat die Islamische Glaubensgemeinschaft letzte Woche auch klar Stellung bezogen und gesagt, dass ein Kopftuch bei einem Mädchen im Kindergarten oder in der Volksschule nichts zu suchen hat, sondern dass ich die Frage erst stellt, wenn das Mädchen die sexuelle Reife erreicht. Da gibt es dann unterschiedliche Meinungen: Die einen meinen, es sei eine Vorschrift, die anderen nicht. Durch die Klarstellung der Vorsitzenden der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich Carla Amina Baghajati in der ZIB 2 fühle ich mich unterstützt, und ich begrüße es, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft in dieser Frage eine klare Haltung zeigt.
TT: Wie sieht es mit Zwangsheirat aus? Gibt es dagegen auch Gesetze?
Anja: Natürlich gibt es Gesetze, das ist gar keine Frage. Mit solchen Fällen hat das Jugendamt zu tun gehabt, und sie wurden auch strafrechtlich verfolgt. Wenn uns ein Fall bekannt gegeben wird, tun wir alles zum Schutz des Mädchens oder des Buben – es betrifft ja nicht nur Mädchen.
TT: Was sagst du zu dem neuen Integrationsgesetz, nachdem das Tragen einer Vollverschleierung betraft wird? Widerspricht das nicht dem Prinzip der Religionsfreiheit?
Anja: Schön langsam komme ich als bekennende Katholikin an den Punkt, wo ich sage: Religionsfreiheit ja, aber noch wichtiger als die Religionsfreiheit ist es, in unserer Gesellschaft klarzustellen, dass es auch das Recht auf Freiheit von der Religion gibt. Es wird immer darüber diskutiert, welche Rechte eine Religion hat, aber viel zu wenig darüber, dass es in unserer Gesellschaft zunehmend schwieriger wird zu sagen, ich habe keine Religion. Ich bin der Meinung, dass Religion viele Bereiche des öffentlichen Lebens einfach nicht bestimmen darf. Wir sind ein sekularer Staat, und ich habe mit der Religionsdiskussion schön langsam wirklich grobe Probleme.
Ich arbeite seit 20 Jahren als Deutschlehrerin für Frauen. Während dieser Zeit war ich mit einigen Fällen konfrontiert, wo Frauen das Kopftuch abgelegt haben. Das war für die Frauen wahnsinnig schwierig, zum Teil ein Eiertanz, weil der Druck der eigenen Community so groß war. Da werden ganz viele Gerüchte in Umlauf gebracht: Ist sie vom Glauben abgefallen? Ist sie zum Christentum konvertiert? Für die Frauen bedeutet es einen ganz großen Kraftakt, dazu zu stehen und zu sagen: Ich will kein Kopftuch. Und da ist keine Unterstützung aus irgendeiner Glaubensgemeinschaft, irgendeiner Moschee oder von irgendeinem Imam gekommen.
Dagegen gibt es jedes Mal einen Aufschrei, wenn die Frau das Kopftuch trägt und deshalb diskriminiert wird. Doch auch die Islamische Glaubensgemeinschaft muss lernen – genau wie es die katholische Kirche lernen musste – dass Aufklärung, Freiheit und Menschenrechte nicht auf irgendeinem Glaubenskonstrukt basieren. Klar ist: Wir haben Religionsfreiheit, aber es gibt Bereiche, wo die Religionen einfach nichts zu suchen haben. Das muss ich nicht einmal bis ins Detail begründen. Ich finde die Kopftuchdiskussion überzogen, aber mit dem Verbot der Vollverschleierung habe ich kein Problem, dazu stehe ich. Ob jemand in der Arbeit ein Kopftuch trägt oder nicht, ist mir persönlich egal, es muss aber auch klar sein, dass mit dem Tragen eines Kopftuches eine gewisse Haltung zum Ausdruck gebracht wird. Wenn ein Arbeitgeber das ablehnt, ist es meiner Meinung nach seine Entscheidung, das sehe ich relativ gelassen. Mich kümmert es nicht, welche Entscheidungen erwachsene Leute treffen, solange sie die Kinder in Ruhe lassen. Das ist mir das Wichtigste.
TT: Muslimische Frauen sind unterdrückt und muslimische Männer Unterdrücker – so lautet ein häufiges Vorurteil. Was sagst du aus deiner Erfahrung dazu?
Anja: Ich glaube nicht, dass muslimische Männer die Frauen mehr unterdrücken als andere Männer. Es ist keine Frage der Religionszugehörigkeit, sondern mehr eine Frage der Herkunft und des Bildungshintergrunds, vor allem in der ersten Generation. Es gibt einfach Herkunftsregionen, wo das Thema Frauengleichberechtigung noch ziemlich weit weg ist, und da macht es wenig Unterschied, ob es sich um Christen, Muslime, Juden, Jesiden oder Buddhisten handelt. Machos und Pantoffelhelden gibt es überall.
TT: Am 8. März ist der Internationale Frauentag – brauchen wir diesen Tag? Wie steht es um die Frauenrechte in Österreich?
Anja: Wir brauchen den Internationalen Frauentag solange, bis eine wirkliche Gleichstellung von Mann und Frau erreicht ist. Da gibt es auch in unserer Gesellschaft noch sehr viel zu tun, aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Wir sollten angesichts der ganzen Integrationsdebatte nicht vergessen, dass wir auch noch Defizite haben, und dass wir uns auf unseren Lorbeeren nicht ausruhen dürfen. Und dass wir weiter kämpfen müssen …
TT: Und dass wir erkämpfte Rechte gegen Angriffe verteidigen müssen?
Anja: Ja, genau! Wir sehen ja die Unterschiede bei den Löhnen, auch in der Politik und in der Wirtschaft haben Frauen noch immer weniger Einfluss als Männer. Ohne eine Quotenregelung wird es auch noch lange dauern, bis sich etwas ändert, bei gewissen Dingen braucht es einfach einen Zwang, bis sie zur Normalität werden.
TT: Was hilft Frauen aus den angesprochenen Communities, damit sie in Österreich leichter Fuß fassen können? Und damit sie selbst über ihr Leben entscheiden können?
Anja: Das wichtigste ist, dass die Frauen Deutsch lernen, weil sie sonst nicht verstehen, was ihnen diese Gesellschaft anbieten kann. Viele Frauen müssen aber zuerst alphabetisiert werden, weil sie nicht Lesen und Schreiben können. Bildung ist der Schlüssel. Und es ist wichtig, die Frauen zu unterstützen, wenn sie sich emanzipieren wollen. Vor allem ist wichtig, dass die Frauen wissen, dass sie nicht alleine sind und dass nicht alles aus ist, wenn sie aus ihrem Familienverbund oder ihrer Community herausfallen. Ich habe viele Frauen beim Schritt aus einer gewalttätigen Ehe oder Familie unterstützt und begleitet, oder wenn es darum ging, eine Zwangsheirat zu verhindern. Der Kampf war natürlich heftig, schmerzvoll und zum Teil gefährlich, aber mir fällt keine einzige Frau ein, die den Schritt zur Emanzipation im Nachhinein bereut hätte. Im Gegenteil hat damit in den meisten Herkunftsfamilien ein Umdenken angefangen, und die jüngere Schwester oder Nichte hat dann davon profitiert. Diese Pionierinnen müssen wir unterstützen, sie müssen wissen, dass sie jederzeit Hilfe bekommen.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 59/2017
Â
Â
|