Marschallplan für Afrika - wer profitiert davon? PDF Drucken E-Mail


Verhängnisvolle „Hilfe“ für Afrika


Mehr als 15 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene gibt es weltweit, berichtet das UN Flüchtlingshochkommissariat, ein Viertel davon stammt aus Afrika. Hier soll der „Marschallplan für Afrika“ ansetzen, den Angela Merkel beim G20-Gipfel in Hamburg angekündigt hat. Deutschland habe ein ureigenes Interesse an einer guten wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas, verkündete sie. Statt staatlicher Entwicklungshilfe sollen Privatfirmen in die afrikanischen Länder gehen und mit ihren Investitionen Arbeitsplätze schaffen. Doch statt für die Bedürfnisse der afrikanischen Menschen zu produzieren, setzen Investoren oft auf Exportprodukte und versuchen, Afrika als Absatzmarkt für die eigenen Produkte zu erschließen.

Bei all den Medienberichten über Ausschreitungen bei den Protesten gegen den G20 Gipfel in Hamburg sind die Themen, die in diesem Club der mächtigsten Staaten diskutiert wurden, in den Hintergrund getreten. Zum Beispiel die Idee eines Marschallplans für Afrika. Nur die Privatwirtschaft könne helfen, Armut und Hunger nachhaltig zu bekämpfen, wurde verkündet. Mit Steuergeldern sollen private Investoren motiviert werden, in Afrika zu investieren. Den Investoren winken lukrative Geschäfte, mit dem Wirtschaftswachstum soll Wohlstand nach Afrika kommen, weniger Menschen wollen nach Europa, so lautet die Idee. Auf allen Seiten also nur Gewinner?

Sind damit auch die zwei Millionen Euro gemeint, die in eine Firma gesteckt wurden, die Dr. Oetker Tiefkühlpizzas nach Kenia exportiert? Dort wird eine Pizza zum stolzen Preis von acht Euro verkauft – dreimal so viel, wie sie in heimischen Supermärkten kostet. Brauchen die Afrikaner und Afrikanerinnen Tiefkühlpizzas, um ihren Hunger zu stillen? Und warum kann diese Pizza nicht in Afrika hergestellt werden, um wenigstens Arbeitsplätze zu schaffen? Dass es sich hier um eine Exportförderung für die deutsche Wirtschaft handelt, ist doch offensichtlich. Wozu dann diese Heuchelei?

Kampf gegen Armut oder Landraub?

Der Dokumentarfilm „Konzerne als Retter? Das Geschäft mit der Entwicklungshilfe“ (Thurn/Nokel 2017) zeigt ein Vorzeigeprojekt der deutschen Entwicklungshilfe in Sambia, das nach diesem Konzept funktioniert. Wo früher das Ackerland lokaler Bauern und Buschland waren, sind heute die Felder des Unternehmens Agrivision, das zehn Millionen US-Dollar vom deutschen Investmentfonds „Africa Agriculture Trade Investment“ erhalten hat und Soja für den Export anbaut. Um viel Gewinn zu machen, muss das Unternehmen möglichst effizient arbeiten. „Auf den Feldern arbeiten nur 54 Leute. Unser Betrieb ist voll mechanisiert. Das heißt, die Kosten für die Arbeit kann man vernachlässigen“ erzählt der Farmmanager stolz.

Die Einheimischen bekommen nur unsichere Jobs als Tagelöhner. „Wir kriegen nur sehr wenig Lohn. Von den Männern ist keiner fest angestellt, auch von den Frauen nicht. Nach zwei Monaten werden wir wieder entlassen“, erzählt ein Dorfbewohner. Während die Sojafelder ständig bewässert werden, rinnt das Wasser im einzigen Dorfbrunnen nur noch spärlich. Das schlimmste für die Dorfbewohner ist, dass sie ihre Familien nicht mehr ernähren können, weil sie ihr Land verloren haben. Sieht so der Kampf gegen Armut und Fluchtursachen aus?

Viele Akteure meinen, dass es in Afrika große Flächen gibt, die nicht oder nicht ausreichend genutzt werden, weil die Bauern nicht produktiv genug arbeiten. Die Strukturanpassungsmaßnahmen, zu denen die afrikanischen Regierungen gezwungen wurden, haben es den Konzernen zudem erleichtert, Land zu sehr günstigen Preisen zu akquirieren, meist in Form von Pachtverträgen. Weil Kleinbauern meist keine Besitzurkunden haben, wird das Land als Staatseigentum angesehen, wenn es nicht landwirtschaftlich genutzt wird. Was darunter zu verstehen ist, entscheiden Regierungsbeamte. Nutzungen wie die nomadische Viehhaltung sowie das Sammeln von Honig oder medizinischen Pflanzen werden dabei ignoriert, obwohl sie für die Bevölkerung lebenswichtig sind, sagt der Ökologe Andreas Exner. Bei den Investitionen werde nicht gefragt, was die Bevölkerung in Afrika benötigt, sondern ob im Norden die Autofahrer Biosprit oder die Viehzüchter Soja brauchen. Landraub ist oft ein stiller Prozess der Enteignung, so Exner, bei dem die Schwachen untergehen und die Starken immer mehr Reichtum anhäufen. Mit zunehmender Landknappheit werden die Kämpfe um das Land zunehmen, das die Investoren übrig gelassen haben, fürchtet er.

In Tansania gab es einen regelrechten Hype um Jatropha, eine Pflanze, aus deren Früchten Biodiesel herstellt wird. Die Pflanze wachse auch auf trockenem Land, hieß es, sie schaffe Arbeitsplätze und leiste einen Beitrag zum Klimaschutz, weil sie bei der Verbrennung nur so viel CO2 freisetze, wie sie zuvor im Wachstum gebunden habe. Investoren wollen aber möglichst hohe Erträge erzielen und haben deshalb kein Interesse an unfruchtbarem Ackerland. Es hat sich zudem herausgestellt, dass die Pflanze anfällig für Schädlinge ist und nur langsam wächst, wenn sie wenig Wasser bekommt. Wenn aber die erhofften Erträge ausbleiben und die Investoren keine Profite mehr erwarten, ziehen sie sich zurück. Das Projekt ist gescheitert, dennoch bekamen die Bauern das Land nicht mehr zurück.

Wenn Entwicklungshilfe Bauern ins Gefängnis bringt

Europäische Entwicklungsagenturen versuchen auch, die Politik in Afrika zu beeinflussen, die Gesetze zu verändern und Strukturen zu schaffen, von denen große Konzerne profitieren. „Afrika soll eine hübsche Braut aus sich machen. Es soll seine wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen ändern, damit es attraktiv ist für ausländische Investoren. Das wird in einer Katastrophe für Afrika enden“, sagt Jane Nalunga vom SEATINI-Institut in Uganda. Um Entwicklungshilfe zu erhalten, hat Tansania westlichen Biotechnologiekonzernen volle Freiheit und den Schutz von patentierten Samen zugesichert. Traditioneller Weise werden in Tansania 80 Prozent des Saatgutes zwischen Nachbarn, Freunden und Familienmitgliedern ausgetauscht. Mit dem neuen Gesetz wird diese Praxis kriminalisiert. „Tansanische Bauern riskieren eine Gefängnisstrafe von 12 Jahren oder eine Geldstrafe von über 200.000 Euro, wenn sie nicht zertifizierte Samen verkaufen. Das sind Beträge, die sich ein tansanischer Bauer bei einem Durchschnittseinkommen von 2 US-Dollar pro Tag nicht einmal vorstellen kann“, sagt Janet Maro, Leiterin der Organisation SAT, die sich für eine nachhaltige Landwirtschaft in Tansania einsetzt.

Das Gesetz war die Bedingung für ein Abkommen zwischen der tansanischen Regierung und den G8-Staaten, das von der EU, den USA und der Weltbank, aber auch von so karitativen Organisationen wie der Bill & Melinda Gates Stiftung gefördert wird. Es sieht vor, dass multinationale Konzerne wie Syngenta oder Monsanto das Land mit Saatgut beliefern und die Bauern es ihnen abkaufen. Indien hat die Verwendung von genmanipulierten Monsanto-Baumwollsamen verboten, nachdem tausende Bauern wegen Überschuldung in den Selbstmord getrieben worden waren. Auch in Argentinien, Chile und acht europäischen Ländern steht Monsanto auf der Schwarzen Liste. Afrika scheint somit der letzte unberührte Absatzmarkt für die Agrarkonzerne zu sein.

Können die Menschen in Afrika von Hunger und Armut befreit werden, indem sie den internationalen Konzernen jedes Jahr genmanipuliertes Hybrid-Saatgut, Pestizide, Herbizide und Düngemittel abkaufen? „Patentrechte sichern den Bauern einen besseren Zugang zu Technologie“, meint Nunyua M’Mbijjewe, Geschäftsführer des Schweizer Agrarkonzerns Syngenta in Afrika, einer der Hauptakteure des Abkommens. „Ein Unternehmen, das investiert, möchte sichergehen, dass seine Technologie geschützt wird. Afrikanische Bauern teilen, tauschen und verkaufen ihre Samen auf traditionelle Weise. Diejenigen, die so weitermachen wollen, können das tun.“ M’Mbijjewe gibt vor, nicht zu wissen, dass das tansanische Gesetz genau diese Wahl nicht mehr zulässt.

Es sei nie das Ziel gewesen, die Kleinbauern zu bestrafen, beteuert die tansanische Regierung, es gehe vielmehr darum, auch deren Eigentumsrechte zu schützen. Dazu müssten sie aber auf ihre eigenen Samen Patente anmelden, so Janet Maro. Weil die einheimischen Bauern nicht die finanziellen Mittel haben, Forschung zu betreiben und Patente zu bekommen, werde es bald leichter sein, Samen aus dem Ausland zu importieren, als einheimisches Saatgut zu erwerben, fürchtet sie, wodurch die Biodiversität verloren gehe. Trotz dieser Gefahr sind andere afrikanische Länder dabei, dem Beispiel Tansanias folgen.

Die Menschen in Afrika wachen auf

Janet Maro und ihre Organisation SAT bilden Kleinbauern aus, die unter schwierigen klimatischen Bedingungen Landwirtschaft betreiben. Das Ausbildungszentrum befindet sich in den trockenen Regionen von Vianze, von denen viele behaupten, dass es dort unmöglich sei, Ackerbau zu betreiben. „Wenn wir es hier schaffen, schaffen wir es überall“, ist Janet Maro überzeugt. „Wir pflanzen Bäume an, um das Wasser bei Regen zurückzuhalten, damit es in die Erde versickern kann. Außerdem haben wir ein Bewässerungssystem mit Flaschen, bei dem weniger Wasser verbracht wird.“ Auf Versuchsfeldern werden die Bauern ausgebildet, Kompost herzustellen, im Mischanbau verschiedene Feldfrüchte zu kombinieren und Pflanzenextrakte zur Schädlingsbekämpfung herzustellen. Sie lernen, wie man Terrassen anlegt um die Erosion zu vermeiden, wie das Bodenleben gefördert wird und die Biodiversität erhalten bleibt. Einige Bauern haben nach der Ausbildung sogar die Gutscheine für den Kunstdünger zurückgegeben, die sie von der Regierung erhalten hatten.

Der Import von Altkleidern nach Afrika ist ein weiteres Beispiel für die schädlichen Auswirkungen vermeintlicher Hilfe. Einige Länder Ostafrikas wollen aber nicht mehr von westlichen Hilfsorganisationen und Großhändlern mit gebrauchten Waren überschwemmt werden, die ihre eigene Textilindustrie ruinieren. Ruanda, Tansania und Uganda haben deshalb beschlossen, den Import von gebrauchten Kleidungsstücken und Schuhen zu verbieten. Dafür werden sie jetzt von den USA mit Sanktionen bedroht. Die Interessen der USA seien durch dieses Verbot gefährdet, so der US-Handelsbeauftragte. Präsident Trump will zwar die eigenen Märkte schützen und Mauern bauen, gesteht dieses Recht aber den anderen nicht zu.

Aber auch mit so genannten Freihandelsabkommen wird Druck auf die afrikanischen Länder ausgeübt. Sie sollen damit gezwungen werden, ihre Märkte ohne schützende Zölle für Importprodukte zu öffnen. Gleichzeitig fördern die Industrieländer des Nordens ihre eigenen Exporte mit großzügigen Subventionen aus Steuergeld. Durch diese Politik soll Afrika weiter als billiger Rohstofflieferant und Abnehmer von Fertigprodukten in Abhängigkeit gehalten werden.

Tagtäglich sehen wir die Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa machen. Die Ursachen dafür liegen auch in der neokolonialen Ausbeutung, die den Menschen ihre Lebengrundlage raubt. Damit die Menschen in den ihren Ländern bleiben und sich aus der Armut befreien können, dürfen sie nicht länger auf diese Art von Hilfe setzen. Sie haben keine andere Wahl, als sich auf die eigenen Beine stellen, sich zusammenzuschließen und auf ihre Regierungen Druck auszuüben, damit sie ihre Politik ändern und in Afrika für die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung produziert werden kann.

Quellen:


veröffentlicht in Talktogether Nr. 61/2017

 

 

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