Gespräch mit Markus Pausch
Politikwissenschaftler an der Fachhochschule Salzburg
„Dass die Zuwanderung auch Probleme mit sich bringt, darf man nicht wegleugnen – aber das sind bei Weitem nicht die dringlichsten Probleme, mit denen die österreichische Gesellschaft konfrontiert ist. Das Hauptproblem ist die soziale Ungleichheit, die im Wachsen begriffen ist und in den nächsten Jahren wahrscheinlich weiter wachsen wird.“
TT: Wir verzeichnen zurzeit in Österreich – und nicht nur dort – einen Rechtsruck. Liegt das an der Politik oder an der Gesellschaft?
Markus Pausch: Wahrscheinlich an beiden. Von bestimmten politischen Parteien werden rechte Positionen sehr stark thematisiert. Populisten spielen immer mit diesen Themen, um ihre Position zu stärken. Sie versuchen, die niedrigen Instinkte und Ängste der Menschen anzusprechen und für ihre Mehrheiten zu nutzen. Andererseits können sie darauf hoffen, dass es in der Gesellschaft Resonanz darauf gibt. Gesellschaftliche Umbrüche gibt es natürlich, ganz klar. Die Bilder von den vielen Menschen, die sich zu Fuß auf den Weg nach Europa gemacht und die Grenzen nach Österreich überschritten haben, waren beeindruckend, außergewöhnlich und für viele Menschen offenbar auch beängstigend. Bis jetzt war es so, dass sich nur ein Teil – immerhin bis zu 30 Prozent der Bevölkerung – mit diesen Themen identifiziert hat. In den letzten Jahren ist es aber eine deutlich größere gesellschaftliche Gruppe geworden, die sich zumindest von diesen Positionen nicht mehr abgestoßen fühlt.
TT: Österreich ist ein vergleichsweise wohlhabendes Land mit guter sozialer Absicherung. Warum sind die Menschen unzufrieden oder ängstlich?
Markus Pausch: Weil sie Verlustängste haben. Und manche Parteien des politischen Spektrums spielen mit diesen Ängsten. Zum Teil sind sie real, denn im Niedriglohnsektor finden tatsächlich Verdrängungsprozesse durch die dazu gekommenen Menschen statt, die potenziell als Arbeitskraft zur Verfügung stehen. Verlustängste sind jedoch auch beim Mittelstand vor allem im ländlichen Raum vorhanden, wobei sie dort einen weniger realen Hintergrund haben, weil diese Bevölkerungsgruppe von der Zuwanderung nicht so stark betroffen ist.
TT: Warum gelingt es fortschrittlicheren Kräften nicht, die Menschen gleichermaßen anzusprechen und zu mobilisieren?
Markus Pausch: Teilweise glaube ich, weil sie zu wenig entschlossen dagegen auftreten. Wenn man sich ansieht, wie in Österreich die Sozialdemokratie auf die Zuwanderung reagiert hat, konnte man nicht den Eindruck gewinnen, dass sie eine entschlossene Positionierung vertrat. Van der Bellen war im Wahlkampf viel klarer in seinen Positionen, nämlich antirassistisch, weltoffen, pro-europäisch und menschenrechtsorientiert. Die SPÖ dagegen trat zaghaft und bei Weitem nicht so entschlossen auf. Christian Kern hat gerade vor kurzem in einem Interview mit dem Standard gesagt, dass es zu einer Koalition mit der ÖVP nicht kommen werde, weil es zu viele unterschiedliche Positionen gebe, und dass man nur in einer Frage kompromissfähig sei, nämlich wenn es um die Begrenzung der Zuwanderung geht. Meine These ist aber: Die Sozialdemokratie kann rechts der Mitte nichts holen, weil dort schon alles vergeben ist. Wenn sie das probiert, verliert sie.
TT: Die Hauptthemen im Wahlkampf waren der Islam und die Flüchtlinge. Sind das die wichtigsten Themen für die Menschen in Österreich?
Markus Pausch: Objektiv gesehen sind diese Probleme, wenn sie überhaupt Probleme sind, konstruierte Probleme. Aber diese Themen sind von rechts auf die Agenda gesetzt und von links zu wenig kontrastiert worden. Dass die Zuwanderung auch Probleme mit sich bringt, darf man nicht wegleugnen – da kommen viele Menschen aus patriarchalisch geprägten Kulturen, die die Sprache nicht können und in den Arbeitsmarkt integriert werden müssen – und das ist natürlich eine Herausforderung. Aber das sind bei Weitem nicht die dringlichsten Probleme, mit denen die österreichische Gesellschaft konfrontiert ist. Das Hauptproblem ist die soziale Ungleichheit, die im Wachsen begriffen ist und in den nächsten Jahren wahrscheinlich weiter wachsen wird.
TT: Handelt es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver?
Markus Pausch: Ja. Es zeigt sich aber leider über die ganze Geschichte der Demokratie hinweg, dass Angst in der Politik ein starker Mobilisierungsfaktor ist. Sonst heißt es ja, dass Angst lähmt, aber in der Politik lässt sie sich sehr gut nutzen, und es gibt nur wenige, die mit Hoffnung mobilisieren.
TT: Als 2015 die Flüchtlinge gekommen sind, haben die Medien noch positiv über die vielen freiwilligen Helfer und Helferinnen berichtet. Warum ist die Stimmung gekippt?
Markus Pausch: Es hat ein paar Monate gedauert, bis die rechten Parteien voll und ganz den Diskurs über dieses Thema übernommen haben. In Österreich hat es zudem ganz klar einen Schwenk in der Politik von Bundeskanzler Feymann gegeben. Auch die Vorfälle in der Sylvesternacht in Köln waren für die Wende in der öffentlichen Stimmung entscheidend, auch wenn man nicht genau weiß, was die Hintergründe waren.
TT: Schwarz-Blau redet davon, Sozialleistungen für Flüchtlinge zu kürzen. Was steckt dahinter?
Markus Pausch: Es passt ja genau zur neoliberalen Logik, dass man Sozialleistungen kürzt, aber das wird nicht nur Zuwander_innen betreffen, sondern selbstverständlich alle. Das steht ja in den Programmen der Parteien, die jetzt in die Regierung kommen werden. Die Kürzung der Mindestsicherung und der Arbeitslosengelder sind als nächste Schritte zu erwarten. Das ist überhaupt keine Überraschung.
TT: Die Wunden aus der NS-Zeit sind heute noch immer spürbar. Wie gefährlich ist dieser Trend nach rechts?
Markus Pausch: Ich glaube, es gibt nicht viele, die sich wirklich diese Zeit zurück wünschen. Das Problem ist vielmehr, dass man sich nach modernen Formen eines „starken Mannes“ und des Autoritarismus sehnt. Orban, Trump, Erdogan oder Putin sind ja keine Nazis, sondern einfach autoritäre Persönlichkeiten. Dass die Zustimmung zu einem autoritären Führer auch in der österreichischen Bevölkerung populärer wird, kann man mit Studien belegen. Es gibt eine These von Erich Fromm, die sagt, dass der autoritäre Charakter entweder danach strebt, sich einem Mächtigeren zu unterwerfen oder selbst andere zu unterwerfen. Er sagt auch, dass sich dieser autoritäre Charakter deshalb entwickelt, weil der Mensch in seiner Sozialisation und in seinem Alltag Autorität erlebt und nicht die Erfahrung macht, selbst etwas bewegen zu können. Er hat den Eindruck, klein und machtlos zu sein und nur etwas bewirken zu können, wenn er sich einer Führerfigur anhängt. Wir haben zwar den Nationalstaat sehr wohl demokratisiert, in unserem Alltag – auf dem Arbeitsplatz oder in den Schulen – haben wir immer noch diktatorische Strukturen. Damit fehlen die Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und des Mitgestaltens.
Ein zugrunde liegendes Problem ist sicher auch, dass wir in den letzten 20 oder 30 Jahren weltweit dieses neoliberale Wirtschaftssystem haben. Das bedeutet, dass die Ungleichheit wächst, die Armen werden immer ärmer und wenige Reiche immer reicher. Die Chancen, aus eigener Kraft den Aufstieg zu erreichen, sind geringer geworden. Die neoliberale Durchökonomisierung unseres Lebens führt auch dazu, dass erfolgreiche Einzelpersonen herausgehoben werden. Wenn dann verschiedene Krisenphänomene – 2008 die Weltwirtschaftskrise, Kriege rund um Europa, die Zuwanderung, die aufgehende Schere zwischen arm und reich – dazu kommen und Angst auslösen, reagieren die Menschen mit Rückzug und Sicherheitsbedürfnis. Dieses Sicherheitsbedürfnis wird scheinbar befriedigt von diesen autoritären Führerfiguren.
TT: Welche Rolle spielt die Angst vor Terror? Kann man sagen, dass global ein Ansteigen von gewalttätigen Bewegungen zu verzeichnen ist?
Markus Pausch: Nein, statistisch gesehen stimmt das gar nicht. Es unterscheidet sich natürlich von Staat zu Staat, trotzdem könnte man sagen, dass die Welt in den letzten Jahrzehnten gewaltfreier geworden ist. Wenn man sich konkret auf Österreich bezieht, zeigt die Kriminalitätsstatistik der letzten Jahre ganz klar einen Rückgang von Gewaltdelikten. In Europa sind auch die Opferzahlen von Terror und politischer Gewalt im Grunde rückläufig. Trotzdem gibt es die Angst. Und diese Angst kann dafür sorgen, dass wir wieder mehr Gewalt haben.
TT: Du bist auch an einem Forschungsprojekt zur Prävention von Radikalisierung und zur De-Radikalisierung beteiligt Wie sind deine Erfahrungen?
Markus Pausch: An der FH leite ich das von der EU gefördertes Projekt PRACTICIES, das sich zum Ziel gesetzt hat, Radikalisierungsprozesse von Einzelpersonen und die gesellschaftlichen Bedingungen für die Entstehung von anti-demokratischem Extremismus besser zu verstehen sowie Maßnahmen dagegen zu entwickeln und zu erproben. Experten sagen, dass man alle Radikalisierten wieder ins normale Leben zurück bringen kann, sogar die, die schon einmal ein Attentat begangen haben. Es gibt bei der Radikalisierung aber verschiedene Etappen. Dort, wo eine Person durch die Radikalisierung schon ganz aus ihrem Umfeld herausgezogen worden ist und jeglichen Kontakt verweigert, ist es viel schwieriger. Es gibt einerseits eine Frühprävention, die mit Demokratiebildung an Schulen oder in Jugendzentren beginnt. Des Weiteren werden bestimmte Zielgruppen – vor allem benachteiligte Jugendliche in bestimmten Stadtvierteln – gezielt angesprochen, wobei es hier wichtig ist, je nach Zielgruppe geeignete Personen wie Sozialarbeiter und Imame zu haben, die Zugang zu diesen Jugendlichen haben. Einer der Schwerpunkte ist die Arbeit in den Gefängnissen, weil eine Rekrutierung sehr häufig dort stattfindet und Menschen, die wegen kleinerer Delikte einsitzen und wenige Perspektiven haben, für diese Propaganda empfänglich sind.
TT: Wie kann man zugewanderte Menschen überzeugen, zur Wahl zu gehen und sich an der Demokratie zu beteiligen?
Markus Pausch: Man kann den Leuten anhand der knappen Wahlergebnisse der letzten Jahre erklären, dass oft wenige Stimmen ausschlaggebend sind. Und dass in der Vergangenheit viele Menschen gestorben sind, weil sie dafür gekämpft haben, dass es dieses Wahlrecht gibt. Politische Bildung ist in erster Linie eine Aufgabe der Schulen. Und sie ist auch wirksam, denn es ist eine höhere Wahlbeteiligung bei Erstwähler_innen zu verzeichnen als in den darauf folgenden Jahrgängen. Für die politische Bildung braucht es jedoch Nachhaltigkeit und Regelmäßigkeit, weil man mit einmaligen Workshops nicht so viel bewirken kann. Das ist aber auch eine Frage der Ressourcen. Leider gibt es längerfristige Projekte zur Politischen Bildung, nicht einmal für Österreicher und Österreicherinnen. Das führt dazu, dass die Menschen oft gar nicht wissen, welche Konsequenzen ihre Wahlentscheidungen für sie haben können, und sie dadurch manipulierbar werden. Ich selbst arbeite am Projekt PAGES der FH mit, in dem es darum geht, Flüchtlinge mit den politischen Strukturen in Österreich bekannt zu machen und ihre Partizipation zu fördern.
TT: Was kann und muss man tun, um dem Trend nach rechts entgegensetzen zu können?
Markus Pausch: Zusammengefasst: Systematische Demokratiebildung, den Menschen Demokratieerfahrungen ermöglichen und ihnen Gelegenheiten zu Mitbestimmung und Mitgestaltung geben … Dazu braucht es Anstrengungen seitens des Staates und viele Organisationen, die mitmachen. Und von den politisch Verantwortlichen brauchen wir Entscheidungen, die die Schere zwischen arm und reich wieder verringern, sonst wird noch viel Schlimmeres passieren.
Markus Pausch lehrt und forscht am Studiengang Soziale Arbeit an der FH Salzburg. Seine Schwerpunkte sind Migration, politische Partizipation sowie soziale und demokratische Innovation.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 62/2017
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