Gespräch mit Bashir aus Somalia PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Bashir

aus Somalia


„Ich denke, dass es in Österreich vor allem wichtig ist, den Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu fördern, und nicht mit dem Finger auf bestimmte Gruppen zu zeigen und sie zu beschuldigen.“

TT: Vor einigen Jahren hast du noch auf deinen Asylbescheid gewartet. Wie ist es dir damals gegangen? Was hast du während dieser Zeit gemacht?

Bashir: In dieser Zeit habe ich mich auf die Sprache konzentriert, um rasch auf eigenen Beinen stehen zu können. Mir war klar, dass ich mehr Möglichkeiten habe, wenn ich die Sprache gut beherrsche. So bin ich in das Projekt Minerva – ein Vorbereitungslehrgang für den Pflichtschulabschluss – eingestiegen. Nebenbei habe ich als Dolmetscher bei der Diakonie gearbeitet und war als Fußballer beim FC Austria Salzburg aktiv. Dadurch habe ich Kontakte mit österreichischen Leuten geschlossen, was mir geholfen hat, die deutsche Sprache schnell zu lernen. Außerdem hat es den Vorteil gehabt, dass ich immer beschäftigt war. Damals hat es für Asylwerber noch weniger Möglichkeiten gegeben wie heute, und es war nicht einfach, kostenlose Sprachkurse zu finden. Ich habe mich zuerst an der Universität und dann bei Minerva angemeldet. Das habe ich mir alles in eigener Initiative gesucht, keiner hat zu mir gesagt, geh dort hin. Ein Jahr lang habe ich bei Minerva die Sprache gelernt, es wurde aber auch allgemeines Grundwissen unterrichtet. Weil ich in Somalia zwölf Jahre in die Schule gegangen bin und mit der Matura abgeschlossen habe, ist es mir nicht um den Pflichtschulabschluss gegangen. Aber ich habe trotzdem davon profitiert, dass wir Fächer wie Geographie, Geschichte und Biologie gehabt haben, weil ich dadurch viel über Österreich erfahren habe.

TT: Als du den positiven Asylbescheid erhalten hast, wie hast du dich gefühlt?

Bashir: Viele Leute müssen, wenn sie den Asylbescheid erhalten, erst einmal die Sprache lernen, doch ich hatte das schon vorher erledigt und bereits die B2-Prüfung abgelegt. Als ich dann den Asylbescheid in der Hand gehalten habe, habe ich die Möglichkeit gehabt, eine Berufsausbildung zu beginnen. Zuerst habe ich mich bei der SALK und in der FH Puch-Urstein um einen Ausbildungsplatz in der Krankenpflege beworben, aber da waren alle Plätze vergeben. Also habe ich mir zuerst eine Arbeit gesucht, und nach drei Monaten habe ich dann einen Ausbildungsplatz als Pflegeassistent beim BFI bekommen.

TT: Viele meinen, wenn man den Asylbescheid erhält, sind die Probleme vorbei. Was sagst du dazu?

Bashir: Ich denke, dann fangen die Probleme erst richtig an. Das Positive ist, dass man endlich Zugang zum Arbeitsmarkt und Anspruch auf staatliche Unterstützung hat. Wenn du aber eine Schulausbildung machst, verlangt das Sozialamt von dir, dass du sie abbrichst und eine Arbeit aufnimmst. Ausbildungen werden nämlich nicht gefördert, ausgenommen vom AMS unterstützte Deutschkurse. Ich kenne viele, die während ihres Asylverfahrens in die HTL oder ins Gymnasium gegangen sind, die Ausbildung aber nach dem Asylbescheid abbrechen mussten, weil sie weder vom AMS noch vom Sozialamt eine Unterstützung bekommen hätten. Ich finde das schade, weil man mit einer guten Ausbildung viel eher einen sicheren Arbeitsplatz bekommt. Wenn jemand sich ernsthaft bemüht und Fortschritte nachweisen kann, sollte sein Lebensunterhalt gesichert sein, damit er die schulische Ausbildung abschließen kann. Wenn du keine Unterstützung von Privatpersonen bekommst, ist es sonst unmöglich, eine Ausbildung zu absolvieren. Ich denke, dass der Staat hier eine Lösung finden sollte, weil es der ganzen Gesellschaft zugute kommt, wenn eine gut ausgebildete Person ihren Beitrag für die Gesellschaft leistet und nicht von Arbeitslosigkeit bedroht und von Sozialleistungen abhängig ist.

TT: Was ist der Unterschied zwischen dem Leben vor dem Asylbescheid und danach?

Bashir: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass es mir während der Zeit als Asylwerber nicht so schlecht gegangen ist. Am Anfang war es schwer für mich, so ganz allein, ohne Familie und ohne Freunde. In Somalia habe in der ersten Bundesliga gespielt und bin mit der U-21-Nationalmannschaft ins Ausland geflogen. Deshalb haben mich die Leute überall gekannt und ich wurde auf der Straße angesprochen. Und dann wohnte ich im Flüchtlingsheim und musste um 10 Uhr zu Hause sein. Man hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, durfte nicht selbständig kochen, so eine Abhängigkeit habe ich nicht gekannt.

Da ich es nicht ändern konnte, habe ich mich mit der Situation abgefunden und versucht, die Möglichkeiten zu nützen, die sich mir geboten habe. Ich habe an verschiedenen Projekten teilgenommen, bei einem Filmprojekt mitgemacht und dabei viel gelernt. Ich habe auch im Flüchtlingsheim mitgearbeitet: Ich habe Nachdienst gemacht und durfte das Heim am Wochenende sogar selbst führen. Ich habe versucht, nicht so viel an mein Asylverfahren zu denken, weil einen das nur runterzieht. Aber wenn die Mitbewohner über ihre Probleme reden und klagen, dass sie schon so lange auf ihr Interview warten, wird man automatisch immer wieder daran erinnert. Aber darüber nachdenken hilft nichts, man kann ja nichts ändern, weil man keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Behörde hat und wie lange es dauert, bis sie dich vorladen.

TT: Was würdest du Asylwerbern empfehlen, die heute in dieser Situation sind und noch auf die Entscheidung in ihrem Asylverfahren warten?

Bashir: Heutzutage gibt es viele Möglichkeiten, die es damals noch nicht gegeben hat. Es gibt mehr Einrichtungen, die kostenlose Deutschkurse anbieten, auch wenn es nicht so leicht ist, dort einen Platz zu finden, weil mehr Flüchtlinge da sind. Ich würde den Leuten raten, die Wartezeit auf den Asylentscheid so gut wie möglich nützen, um etwas zu lernen, Menschen kennenzulernen und an verschiedenen Projekten teilzunehmen. Dadurch übst du die Sprache, du lernst die Mentalität der Leute kennen und erfährst viel über die Gesellschaft und das System, was dir später sehr nützlich sein kann. Wenn du nur herumsitzt, verlierst du viel Zeit und bekommst Depressionen.

TT: Du bist jetzt österreichischer Staatsbürger. Identifizierst du dich mit Österreich? Fühlst du dich als Österreicher?

Bashir: Ja. Ich lebe und arbeite wie alle anderen Menschen in diesem Land und zahle meine Steuern. Deshalb fühle ich mich als Österreicher.

TT: Was empfindest, wenn im Wahlkampf gegen Flüchtlinge und Muslime gehetzt wird und behauptet wird, sie seien „integrationsunwillig“ und wollen nur das System ausnutzen? Wie gehst du damit um?

Bashir: Das ist doch nur die Propaganda gewisser Parteien, um Wählerstimmen zu bekommen. Ich denke, dass es in Österreich vor allem wichtig ist, den Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu fördern, und nicht mit dem Finger auf bestimmte Gruppen zu zeigen und sie zu beschuldigen. Wenn ein Flüchtling oder ein Zuwanderer einen Fehler begeht, wird in den Medien immer gleich eine große Geschichte daraus gemacht. Wer einen Fehler macht, wird bestraft, dabei spielt es doch keine Rolle, woher er kommt und welche Religion er hat. Aber man kann doch nicht deshalb eine ganze Gruppe kollektiv dafür verantwortlich machen! Es gibt viele Menschen, die als Flüchtlinge gekommen oder zugewandert sind und dieses Land über alles lieben. Für mich ist Österreich meine zweite Heimat, und ich würde es niemals zulassen oder tatenlos zuschauen, wenn jemand diesem Land schaden will.

TT: Wenn Terroristen mit Bomben oder mit einem Auto unschuldige Menschen töten und dabei „Allahu Akbar“ rufen, wie kann man den Islam und die Gewalt trennen?

Bashir: Die Muslime leiden doch am meisten unter diesem Terror. Am 14. Oktober gab es in Somalia einen Anschlag, bei dem über 300 Menschen ums Leben gekommen und 600 verletzt worden sind, und die Opfer waren alle Muslime. Wenn ein Terrorist in London oder Paris ein Attentat verübt und „Allahu Akbar“ schreit, weiß er, wie viel mediale Aufmerksamkeit er damit bekommt. Und er weiß auch, dass er damit den Hass der Europäer auf die Muslime schürt. Nur weil ein paar psychisch kranke Menschen solche Verbrechen begehen, darf man nicht alle Muslime in einen Topf werfen.

TT: Kürzlich wurde eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass viele Somalis die Religion über die österreichische Verfassung stellen würden. Was sagst du dazu?

Bashir: Das kann ich nicht bestätigen. Ich weiß nicht, wo diese Befragungen stattgefunden haben, wer genau befragt wurde und ob die Leute die Fragen überhaupt richtig verstanden haben. Ich bin Muslim und praktiziere meine Religion jeden Tag. Ich bin aber auch Österreicher und liebe dieses Land, das ist für mich kein Widerspruch. Meine Religion gebietet mir, die Gesetze des Landes, in dem ich lebe, zu achten. Wenn ich andere nicht respektiere, kann ich auch nicht erwarten, dass sie mich respektieren. Nur wenn wir uns respektieren, können wir gut miteinander auskommen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Leider haben die Leute aber oft voreinander Angst, und dazu tragen die Medien bei, die große Schlagzeilen machen, wenn aus muslimischen Ländern stammende Menschen Verbrechen begehen. Meine Arbeitskollegen und -kolleginnen sind zu 80 Prozent Christen. Ich habe ihnen nie Vorwürfe gemacht, wenn sie über das Kopftuch oder den Islam schlecht geredet haben. Sie stellen mir Fragen und ich beantworte sie immer offen. Es hat einige Zeit gedauert, aber jetzt akzeptieren sie mich so wie ich bin und sie vertrauen mir. Sie wissen, dass ich Muslim bin und meine Religion praktiziere, und das respektieren sie. Sie haben gesagt, dass sie ein ganz anderes Bild von den Muslimen und vom Islam gehabt hatten, bevor sie mich kennengelernt haben.

TT: Der Kandidat für die Wahl zum Bundespräsidenten Norbert Hofer hat einmal behauptet, er könne sich nicht vorstellen, dass Muslime pflegebedürftigen Österreicher_innen die Windeln wechseln. Was würdest du ihm antworten?

Bashir: Auf solche Behauptungen kann man nur mit der Praxis entgegnen. Ich hätte ihn eingeladen, in die Krankenhäuser, Seniorenheime und Pflegeeinrichtungen zu gehen und zu schauen, wie viele Muslime dort arbeiten. Allein an meinem Arbeitsplatz arbeiten zehn muslimische Pfleger_innen unterschiedlicher Herkunft, die diesen Beruf lieben.

TT: Würdest du auch Herrn Hofer die Windeln wechseln?

Bashir: Wenn er Patient in unserer Einrichtung wäre? Natürlich!

TT: Du bist auch im somalischen Kulturverein in Salzburg aktiv. Wie denkt die somalische Community über Integration, Gewalt und Rassismus in Österreich?

Bashir: Der größte Teil der Somalis hier in Salzburg arbeitet und kämpft darum, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Die Leute sind sehr betroffen und verunsichert, wenn ein Attentäter im Namen des Islam Menschen ermordet. Jeder Terroranschlag trägt dazu bei, das Misstrauen gegenüber Muslimen zu vergrößern. Vor allem die Frauen, leiden sehr darunter, weil sie mit ihren Kopftüchern gleich als Muslime erkannt werden. Meine Frau ist kürzlich im Bus von einem älteren Herrn ohne Grund beschimpft worden. Zum Glück ist der Busfahrer gleich stehen geblieben und hat den Mann aufgefordert, sich zu entschuldigen. Das hat er getan und ist danach ausgestiegen.

TT: Warst du als Fußballspieler bei „Austria Salzburg“ mit Rassismus konfrontiert?

Bashir: Eigentlich nur sehr selten. Es passiert manchmal, dass man bei einem Match einen Spieler unabsichtlich verletzt. Einmal, als wir auf dem Land gespielt haben, wurde ich von einem älteren Zuschauer deshalb beschimpft. Ich habe nichts darauf erwidert, aber die Mitspieler aus meinem Team haben sich auf meine Seite gestellt und mich gegen ihn verteidigt.

TT: Was bedeutet für die Integration?

Bashir: Integration bedeutet für mich Geben und Nehmen. Wenn ich Anstrengungen unternehme, erwarte ich auch, dass von der anderen Seite etwas zurückkommt. Integration muss ein beiderseitiger Prozess sein. Ich denke, dass den Zugewanderten von der Mehrheitsgesellschaft mehr Raum geboten werden sollte. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die in der Minderheit sind, mehr leisten müssen als die Mehrheit. Wenn ich dich im Stiegenhaus begrüße und am ersten Tag „Grüß Gott“ sage, am nächsten Tag „Hallo“ und am dritten Tag auch noch eine Handbewegung dazu mache, aber nie eine Antwort darauf bekomme, werde ich aufgeben. Wenn ich mich nicht willkommen fühle, werde ich mich zurückziehen und dorthin gehen, wo ich mich besser aufgenommen fühle. Am besten funktioniert die Begegnung beim Sport, bei kulturellen Aktivitäten oder beim Essen. Ich kann meine Nachbarn zum Kaffee einladen oder mich am Spielplatz mit ihnen unterhalten. Nur wenn wir einander kennenlernen, können wir Berührungsängste abbauen und Vertrauen aufbauen.


veröffentlicht in Talktogether Nr. 62

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