Der Matrosenstreik von 1918:
Eine Rebellion für den Frieden
Beim Matrosenaufstand von Cattaro handelte es sich die am besten organisierte Befehlsverweigerung habsburgischer Truppen während des Ersten Weltkrieges. Obwohl er nach nur drei Tagen beendet wurde, hatte der Aufstand große Symbolkraft und trug zusammen mit dem großen Jännerstreik maßgeblich zur Beendigung des Ersten Weltkrieges bei.
Heute gehört die tief in die steilen Berge eingeschnittene Bucht von Kotor zu Montenegro. Im Ersten Weltkrieg war sie die zweitwichtigste Marinebasis Österreich-Ungarns. Im Februar vor hundert Jahren fand dort ein Aufstand statt, an dem sich 5000 Matrosen auf 40 Schiffen der österreichisch-ungarischen Kriegsflotte beteiligten. Alle Nationalitäten der Donaumonarchie waren dabei vertreten. Der Aufstand ist relativ gut dokumentiert, da die k.u.k.-Bürokratie selbst während des Auflösungsprozesses noch gut funktionierte. Aus den Prozessakten lässt sich die Stimmung herauslesen, die in der k.u.k.-Armee gegen Ende des Krieges herrschte. Die Versorgungslage war katastrophal. Es fehlte an Nahrung, an Ausrüstung und viele Soldaten hatten nicht einmal ausreichend Kleidung.
Schuld an ihrer Lage und an der Not ihrer Familien in der Heimat, das wussten die Matrosen, war der Krieg. Ein Krieg, der von den nach Macht und Expansion gierenden Eliten entfacht worden war, und den sie gründlich zu hassen gelernt hatten. Seit der russischen Oktoberrevolution und den damit eingeleiteten Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk wuchs die Sehnsucht nach Frieden immer mehr. Unter dem Eindruck des Massenstreiks im Januar 1918, von dessen Ende sie noch nicht erfahren hatten, bildeten die Matrosen in Cattaro ein geheimes Komitee. Der Aufstand begann am 1. Februar mit dem Hissen roter Fahnen. Nahezu unblutig entrissen die Matrosen den völlig überraschten Offizieren die Macht und schlossen sich mit den streikenden Arsenalarbeitern zusammen. Auf jedem Schiff wählten sie zwei Vertreter für einen zentralen Matrosenrat.
In der Hoffnung, ein Zeichen für einen allgemeinen Aufstand gesetzt zu haben, veröffentlichten die Aufständischen ihren Forderungskatalog, welcher auch die unterschiedlichen Motive der Streikenden widerspiegelte. Neben Forderungen nach persönlichen Erleichterungen wie bessere Verpflegung und Ausrüstung fanden sich darin auch wesentliche Forderungen politischer Natur: Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen, den sofortigen Friedensschluss ohne Annexionen auf Grundlage des 14-Punkte-Programms des amerikanischen Präsidenten Wilson sowie demokratische Regierungen in Österreich und Ungarn.
Die Unterstützung von außen, auf die die Aufständischen gewartet hatten, ist jedoch nie eingetroffen. Der Armee war es gelungen, den Aufstand zu isolieren und Telegramme abzufangen. Der Kriegshafenkommandant Guseck lehnte zudem Verhandlungen ab und drohte mit der Beschießung der Schiffe, sollten die Matrosen nicht bis zum 3. Februar um 10 Uhr die rote Flagge streichen und die Befehlsgewalt der Offiziere wiederherstellen. Die zwar entwaffneten aber freien Offiziere versuchten, die unerfahrenen Matrosen mit Versprechungen zu verwirren und die Streikenden zu spalten.
Als dann am Morgen des 3. Februar eine von deutschen U-Booten unterstützte Flottendivision aus Pula eintraf, brach der Aufstand zusammen, und die Matrosen kapitulierten noch vor Ablauf des Ultimatums. Als letztes Schiff ergab sich die „St. Georg“. Innerhalb weniger Stunden wurden 800 am Aufstand beteiligte Matrosen verhaftet. Franz Rasch, Anton Grabar, Jerko Šižgorić und Mate Brničević wuden als angebliche Rädelsführer der Meuterei von einem Standgericht zum Tod verurteilt und an der Friedhofsmauer von Skaljari erschossen.
„Ich selbst habe den Aufstand an Bord eines Torpedobootes mitgemacht, seinen Sinn aber nur gefühlsmäßig erfasst. Es war daher nicht schwer, mich und meinesgleichen vor dem Karren der verfahrenen Militärmaschinerie zu halten. Erst die nachfolgenden Ereignisse ließen mich die Zusammenhänge verstehen, brachten mich dazu, organisiert für meine Überzeugung, zu der ich mich nach langen inneren Kämpfen durchgerungen hatte, aufzutreten.“ (Franz Xaver Fleischhacker 1957)
Vorgeschichte und Auswirkungen
Mit dem Ersten Weltkrieg hatten die imperialistischen Großmächte die Menschheit in eine noch nie da gewesene Katastrophe gestürzt. Millionen Soldaten starben in den Schützengräben, während die Zivilbevölkerung unter Lebensmittelmangel, Teuerung, politischer Unterdrückung und schonungsloser Ausbeutung in den Rüstungsfabriken litt. Die Führung der sozialdemokratischen Partei betrieb jedoch eine Politik des „Burgfriedens“ – das bedeutete die Zusammenarbeit mit der herrschenden Klasse für die Dauer des Krieges. Mit dem Kriegsleistungsgesetz waren die Betriebe unter Aufsicht der Heeresverwaltung gestellt. Ziel war die Ausrichtung der Produktion auf die Interessen der Kriegführung. Hunger und Kriegsmüdigkeit lösten jedoch bald Proteste aus. Ab dem Hungerwinter 1916/17 setzten vermehrt Streiks der Belegschaften in den Betrieben der Kriegsindustrie ein.
Dass den hungernden Arbeiter*innen im Wiener Neustädter Daimler-Motorenwerk die Mehlration noch einmal halbiert wurde, brachte das Fass zum Überlaufen, so dass sie sich auch von den Drohungen der militärischen Leitung nicht mehr abschrecken ließen. Am 14. Jänner 1918 beschloss die Belegschaft einstimmig, die Arbeit niederzulegen. Die Beschäftigen der Betriebe in der Umgebung – darunter viele Frauen und Jugendliche – schlossen sich dem Streik sofort an und marschierten zum Hauptplatz in Wiener Neustadt, wo eine große Demonstration stattfand. Am nächsten Tag breitete Streik sich in das südliche Niederösterreich aus, danach nach Wien und in die Steiermark und erfasste schließlich auch die ungarische und die polnische Arbeiterschaft. Binnen weniger Tage breitete sich der Streik auf alle Industriegebiete der gesamten Habsburgermonarchie aus, so dass sich am 19. Jänner über 700.000 Arbeiter*innen im Ausstand befanden. Der Streik war nicht nur die größte Streikaktion der österreichischen Geschichte, sondern auch ein durch und durch politischer Streik. Die Forderungen waren der sofortige Waffenstillstand an allen Fronten sowie die Aufhebung des Kriegsleistungsgesetzes.
Arbeiterinnen in der Rüstungsindustrie (Heeresgeschichtliches Museum Wien)
Frauen im Ersten Weltkrieg
Die Rationalisierung von Lebensmitteln und der Hunger trafen vor allem die Arbeiterinnen in den Städten besonders hart. Nach Kriegsausbruch kam es zu einer Entlassungswelle, von der viele Dienstmädchen betroffen waren, da die bürgerlichen Haushalte beim Personal sparten und Bedienerinnen entließen. Als mit der Fortdauer des Krieges immer mehr Männer in den Krieg eingezogen wurden, rief man die Frauen dazu auf, den Mangel an Arbeitskräften zu kompensieren und auch in traditionell männliche Berufsfelder einzutreten.
Frauen ersetzten die Männer bald in vielen Berufen und verrichteten Arbeiten, die man ihnen vorher nicht zugetraut hatte. Arbeiterinnen in der Rüstungsindustrie gehörten bald zum alltäglichen Bild. In den Munitionsbetrieben schufteten Frauen bis zu 13 Stunden täglich unter gefährlichen Bedingungen, immer wieder ereigneten sich schwere Unfälle. Auch die landwirtschaftliche Produktion war ohne weibliche Arbeitskräfte nicht denkbar. In der Krankenpflege und im Sanitätsdienst erhielten Frauen im Unterschied zur Vorkriegszeit nun auch eine Ausbildung. Die Stadt Wien stellte Frauen als Tramwayfahrerinnen, Straßenkehrerinnen und Schaffnerinnen ein, wo sie verhältnismäßig gute Verdienstmöglichkeiten vorfanden. Die Frauen erhielten jedoch für die gleiche Arbeit nur 40 Prozent des Männerlohnes. Die Medien zollten den Frauen Respekt: „Wer es künftig einmal unternehmen wird, Wien während des großen Weltkrieges zu schildern, der wird zunächst von den Frauen reden müssen.“
Der Einsatz von Frauen und Jugendlichen in den Industriebetrieben veränderte nicht nur die Strukturen in den Belegschaften, sondern auch die Formen der Proteste. Da die Frauen ihre Familien versorgen mussten, reagierten sie empfindlich auf sinkende Lebensmittelrationen und gehörten häufig zu den treibenden Kräften von spontanen Hungerprotesten und Streiks, die oft ohne gewerkschaftliche Unterstützung stattfanden.
und der Militarisierung der Betriebe. Auf die erschöpften Soldaten an der Front machte dieser Streik großen Eindruck, der eine Reihe von Meutereien auslöste. Weitere Streiks folgten. In den letzten Oktobertagen des Jahres 1918 überschlugen sich dann die Ereignisse: Die habsburgische Herrschaft in Österreich löste sich nach fast 640 Jahren auf. Am 3. November 1918 schloss Österreich-Ungarn mit der Entente einen Waffenstillstand, und das Reich zerfiel innerhalb weniger Tage unter dem Druck der Unabhängigkeitsbestrebungen der Nationen.
Was sagt uns dieser Aufstand heute?
Nur aus Angst davor, dass die österreichischen Arbeiter*innen dem Beispiel der Russischen Revolution folgen könnten, ließ sich die herrschende Klasse weit reichende Zugeständnisse abringen, ohne die wesentliche politische und soziale Errungenschaften wie die Ausrufung der Republik, der 8-StundenArbeitstag, das Frauenwahlrecht, das Betriebsrätegesetz, die Gründung der Arbeiterkammern und der Sozialversicherungen für Arbeiter*innen nicht möglich gewesen wären. Angesichts der immer aggressiver werdenden Angriffe auf diese Errungenschaften sollten wir uns vor Augen halten, dass diese Rechte nicht vom Himmel gefallen sind, sondern von unseren Vorfahren mühsam und mit vielen Opfern erkämpft worden sind, und wir sie mit allen Kräften verteidigen sollten.
1918-2018: 100 Jahre Frauenwahlrecht
Nach dem Krieg wehrten sich viele Frauen, ihren neu gewonnenen Einfluss auf die Politik wieder aufzugeben und zurück an den Herd geschickt zu werden. Die Frauenrechts-Aktivistin Adelheid Popp brachte es bei einer Versammlung zum Internationalen Frauentag im März 1918 auf den Punkt: „Zum Wählen zu dumm, aber zur Arbeitspflicht für das Kriegsführen gescheit genug? Als Männerersatz haben die Frauen überall Verwendung gefunden, wo menschliche Arbeit gebraucht wird. Schweres und Unmenschliches haben die arbeitenden Frauen im Krieg erduldet. Die hergebrachten Redensarten aber von der Frau, die ins Haus gehöre, könnte man endlich aufgeben!“
Als am 12. November die Republik ausgerufen wurde, gaben die Sozialdemokraten dem Drängen der Frauen nach und nutzten die Gelegenheit, das aktive und passive Frauenwahlrecht trotz aller Widerstände durchzusetzen. So zogen im März 1919 erstmals acht Frauen ins Parlament ein: sieben Sozialdemokratinnen (Anna Boschek, Emmy Freundlich, Adelheid Popp, Gabriele Proft, Therese Schesinger, Amalie Seidel, Maria Tusch) und eine Christlichsoziale (Hildegard Burjan).
veröffentlicht in Talktogether Nr. 63/2018
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