Gespräch mit Cornelia Brunnauer, Gendup Salzburg PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit
Cornelia Brunnauer

Pädagogin und Forscherin/Lehrende für Gender Studies an der Universität Salzburg

TT: Sind die europäischen Frauen nicht schon gleichberechtigt? Brauchen wir überhaupt noch eine Frauenbewegung?

Cornelia: Im öffentlichen Diskurs hört man immer wieder: Den Frauen geht es eh schon so gut, warum regt ihr euch ständig auf, Männer sind genauso diskriminiert und so weiter … Die Frage, ob die Frauen in Europa gleichberechtigt sind, muss ich aber ganz klar mit Nein beantworten.

Frauen werden aber nicht nur von Männern unterdrückt, sondern sie unterdrücken sich auch untereinander. Es gibt Studien, die besagen, dass die Unterschiede unter den Frauen – genauso wie unter den Männern – größer sind als die zwischen den Geschlechtern. Man muss genau hinschauen: Um welche Frauen geht es? Welche Frauen sind diskriminiert? Welche Frauen brauchen die Unterstützung von anderen Frauen aber auch von der Gesellschaft? Ein Zitat sagt: Emanzipation ist das Ausbrechen von Strukturen, die ich nicht haben will und die mich unterdrücken. Es gibt genug Frauen in Europa, die unter Strukturen leben, die sie einengen und diskriminieren. Deshalb sage ich: Frauen sind nicht gleichberechtigt, und die Frauenbewegung brauchen wir nach wie vor.

TT: Aber Frauen sind vor dem Gesetz gleichberechtigt …

Cornelia: Ja, Frauen und Männer sind vor dem Gesetz nahezu gleich. Nur in den Köpfen der Menschen geht es langsamer. Es gilt ja immer noch als Kavaliersdelikt, eine Frau blöd anzureden oder zu belästigen. Darum ist es wichtig, dass es Gesetze gibt, die das verbieten. Aber in manchen Bereichen hinkt das Gesetz hinterher. So halte ich die gesetzlichen Grundlagen, um eine Diskriminierung der Frauen zu verhindern, die wir als Altenpflegerinnen oder zum Reinigen in unseren Haushalten beschäftigen, für unzureichend. Oft üben Migrantinnen diese Berufe aus, und diese Frauen sind auch häufig unter- und minderbezahlt. Das führt dann dazu, dass wir mitteleuropäische weiße Frauen uns emanzipieren dürfen auf Kosten dieser Frauen, die für uns diese Arbeiten erledigen.

Ein Beispiel dafür ist, wie Unternehmen ihre Gebäude reinigen lassen: Die oberste Prämisse im Kapitalismus ist, möglichst viel Geld einzunehmen und möglichst wenig auszugeben. Deshalb werden nicht einzelne Reinigungsfrauen – es handelt sich ja in der Mehrzahl um Frauen – eingestellt, sondern man engagiert eine Reinigungsfirma, die wiederum in erster Linie Frauen einstellt. Aber zu welchen Bedingungen arbeiten diese Frauen in den Reinigungsunternehmen? Sie arbeiten im Akkord und müssen möglichst viele Räume in möglichst kurzer Zeit reinigen, es gibt keine Einschulungen. Wenn das Ergebnis dann nicht so ist, wie erwartet, und der Kunde sich bei der Firma beschwert, was macht diese Firma? Sie tauscht die Frauen aus oder setzt sie noch mehr unter Druck.

Das mag sich alles im rechtlichen Rahmen bewegen, aber es ist nicht so, dass die Frauen, die am Ende dieser Kette arbeiten, geschützt sind. Ist es denn fair und gerecht, wenn eine Frau aus Rumänien für wenig Geld als 24-Stunden-Pflegekraft bei uns arbeitet, weil sich die Familie das regulär nicht leisten kann oder will? 24 Stunden lang bei einem kranken Menschen zu sein, um ihn zu pflegen, ist eine extreme Herausforderung. Die Frau hat aber zu Hause auch eine Familie und macht diese Arbeit, damit sie ihre Familie ernähren kann. Und was machen wir? Wir sind der Meinung, dass wir diesen Frauen, die in ihrem Heimatland keine Unterstützung bekommen, auch noch die Familienbeihilfe kürzen können! Versteht ihr – diese Ungerechtigkeit! Und dafür braucht man eine Frauenbewegung, nämlich eine Bewegung innerhalb des Feminismus, die sich die Frage stellt, wer von dieser Ungerechtigkeit profitiert. Wir Frauen sind nicht alle gleich, denn wir haben nicht dieselben Voraussetzungen und Möglichkeiten.

TT: Worum geht es bei den Gender Studies? Geht es um das sogenannte „Binnen-I“ oder Ampelpärchen? Warum sind solche Fragen wichtig?

Cornelia: Der Begriff gender kommt aus dem Englischen und bedeutet das soziale Geschlecht, im Gegensatz zu sex, dem biologischen Geschlecht. Im Deutschen gibt es diese Unterscheidung nicht. Die Forschungsrichtung nennt sich „Gender Studies“, weil nicht alle Frauen gleich sind und auch nicht alle Männer, und weil es darüber hinaus mehr als nur zwei Geschlechter gibt, und weil wir Menschen in so unterschiedlicher Weise miteinander in Beziehung sind. Unter welchen Verhältnissen wir aufgewachsen sind, wie wir sozialisiert worden sind, welche Erfahrungen wir gemacht haben, das alles macht uns als Person aus und nicht nur die Tatsache, dass wir biologisch Mann oder Frau sind.

Ja, es geht auch um das „Binnen-I“, man nennt es „geschlechtergerechte“ Sprache, aber wir verwenden häufiger den Begriff „gerechte Sprache“, weil es eben nicht allein um das Geschlecht geht. Es geht darum, wie ich in einer gerechten und wertschätzenden Art und Weise mit und über Menschen spreche. Die weibliche Form ist dazu da, Frauen direkt anzusprechen und sie nicht nur mitzumeinen. Aber es geht darüber hinaus. Wenn ich über Frauen spreche, meine ich auch die Migrantinnen, meine ich auch Seniorinnen, meine ich auch Frauen mit Beeinträchtigungen? Das erfordert aber viel Nachdenken.

TT: Warum ist eine gerechte Sprache wichtig?

Cornelia: Sprache bildet Wirklichkeit ab, sie schafft aber gleichzeitig auch Wirklichkeit. Wenn ich in einer geringschätzenden Art und Weise spreche, schaffe ich eine geringschätzende, abwertende oder diskriminierende Wirklichkeit. Ich kann nicht Begriffe, die im allgemeinen Sprachgebrauch eine abwertende Bedeutung haben, – z.B. das Wort „Neger“ – verwenden und dann einfach sagen: „Ich meine es ja nicht so.“ In der Sprache drückt sich Macht aus. Es macht einen großen Unterschied, ob ich betroffen bin oder nicht, ob ich eine weiße privilegierte Frau oder eine Migrantin bin. Diese Machtstrukturen und Hierarchien werden von den Gender Studies untersucht und aufgezeigt, ausgehend von der Kategorie Geschlecht, weil unsere Gesellschaft die Menschen eben in diese Kategorien einteilt. Freilich sind die Gender Studies eine Forschungsrichtung, aber am Ende steht das Ziel, ein gutes Leben für alle zu erreichen.

TT: Was meint ein Österreicher, wenn er zu einem Afrikaner sagt: „Finger weg von unseren Frauen“?

Cornelia: Das ist die Sprache der Rechten. Er meint, dass österreichische Frauen ein Besitz der österreichischen Männer seien und vor denjenigen beschützt werden müssen, die zu uns kommen und angeblich so rückständig sind und sich nicht zu benehmen wissen. Das passiert, wenn sich rechte Parteien die Frauenrechte an die Fahnen heften. Auf welche Position erhebt sich dieser Mann? Ich möchte bei Gott nicht „seine“ Frau sein. Welches Frauenbild die FPÖ vertritt, kann man im Buch „Für ein freies Österreich“ nachlesen, das von Norbert Hofer herausgegeben wurde. Das ist absolut kein emanzipiertes Frauenbild: Dort steht beispielsweise: „Die österreichische Frau wünscht sich einen starken Mann, damit sie sich der Brutpflege widmen kann.“ Ich habe meinen Student*innen dieses Zitat vorgelesen und sie raten lassen, aus welcher Zeit es stammt.

TT: Fühlen sich Frauen dadurch beschützt oder beleidigt?

Cornelia: Das hängt von der Einstellung der Frauen ab. Wenn eine Frau rassistisch denkt, findet sie es wahrscheinlich gut, aber eine selbstbewusste, aufgeschlossene und emanzipierte Frau sagt: „Ich brauche keinen Mann, der mich beschützt. Kehre lieber vor deiner eigenen Tür und schaue, wo du Frauen belästigst und diskriminierst.“ Gewalt in der Familie, Gewalt an Frauen, das passiert doch in Österreich genauso. So zu tun, als würde diese Gewalt nur von Männern mit Migrationshintergrund ausgeübt, entspricht nicht der Wirklichkeit und ist nationalistisch, rassistisch und absolut abzulehnen.

TT: Erinnert das nicht an Saudi-Arabien, wo Frauen nicht ohne männlichen „Beschützer“ aus dem Haus dürfen?

Cornelia: Ja natürlich, das ist aber genau das Frauenbild, das die rechten Parteien vertreten. Ein Frauenbild, gegen das die Frauen der ersten Frauenbewegung vor hundert Jahren gekämpft haben, als die Frauen gesagt haben: Ich will arbeiten, ein selbständiges Leben führen und eigene Entscheidungen treffen, ich will keinen Mann als Vormund. Wenn diese Parteien anderen Kulturen vorwerfen, ein rückständiges Frauenbild zu haben, übersehen sie, dass sie ja genau dasselbe fordern. Meiner Meinung nach stehen Machtinteressen dahinter, denn es sind ja in erster Linie Männer, die solche Einstellungen vertreten – auch wenn es Frauen gibt, die diese mittragen und unterstützen.

TT: Sind Feministinnen Männerhasserinnen?

Cornelia: Dazu möchte ich Johanna Dohnal, die erste Frauenministerin Österreichs zitieren: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine weibliche Zukunft, es ist eine menschliche Zukunft, ohne Rollenzwänge, Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.“ Feministin zu sein, bedeutet für mich nicht, Männer zu hassen, sondern für eine Gesellschaft zu arbeiten, in der alle Menschen gleichberechtigt sind und miteinander ein gutes Leben führen können.

TT: Mehr Frauen in Führungspositionen: Kann damit das Problem der Benachteiligung gelöst werden?

Cornelia: Ich würde mir wünschen, dass alle – Männer wie Frauen, Mädchen wie Burschen – dieselben Möglichkeiten haben, sich den Beruf auszusuchen, den sie sich wünschen. Ich denke aber, dass viele junge Menschen nicht den Beruf wählen, der sie interessiert, weil eben die gesellschaftlichen Zwänge zu stark sind. Dasselbe gilt für Führungspositionen. Ich denke nicht, dass Frauen in Führungspositionen automatisch die Welt besser machen, weil ich nicht glaube, dass Frauen bessere Menschen sind. Ein Mann, der emanzipatorisch und feministisch eingestellt ist, kann in einer Führungsposition durchaus mehr für Frauen erreichen, als eine Frau, die nur an ihre Karriere denkt und nicht nach rechts oder links schaut. Führungspositionen werden aber oft über Beziehungen erreicht, und da sind die Männer meistens besser organisiert, deshalb bin ich für die Quotenregelung. Eine Frau soll aber einen Posten nicht bekommen, nur weil sie eine Frau ist, sondern weil sie es kann. In den Köpfen derer, die entscheiden, herrschen aber oft Überlegungen wie, die Frau könnte schwanger werden oder Frauen seien besser für Familie und Kinder geeignet.

TT: Und in den Köpfen der Frauen? Warum bewerben sich nur wenige Frauen auf solche Positionen?

Cornelia: Wenn Frauen ihr Studium abgeschlossen haben, sind sie meist in einem Alter, wo sie sich entscheiden müssen, ob sie Kinder haben wollen. Deshalb denke ich bei Frauenförderung auch an Familienförderung. Es sollte selbstverständlicher werden, dass Männer in Karenz gehen, und ich denke, dass viele Männer auch das Bedürfnis haben, bei ihren Kindern zu sein. Dann können sich auch mehr Frauen für eine berufliche Karriere entscheiden und Führungspositionen besetzen.

TT: Was denkst du über die „Ehe für alle“?

Cornelia: Ich finde sie gut. Ich gehe davon aus, dass es sich um erwachsene Menschen handelt, die freie Entscheidungen treffen. Ich finde, es sollte auch die „Eingetragene Partnerschaft“ für alle geben. Alle sollten alle das Recht haben, die Rechtsform für eine Partnerschaft zu wählen, für die sie sich entscheiden. An der Ehe hängen viele Absicherungen, zum Beispiel, etwas vererben zu können oder dass mich mein Partner oder meine Partnerin, wenn ich schwer krank im Krankenhaus liege, besuchen kann und Auskunft über meinen Gesundheitszustand bekommt. Wenn es der engste und liebste Mensch ist, den ich mir ausgesucht habe, sollte es egal sein, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Das Familienbild mit Vater, Mutter und Kind, das in den 1950er Jahren entstanden ist, hat ja nie wirklich existiert bzw. war es nie nur eine heile Welt.

TT: Was denkst du über das Verschleierungsverbot? Kann man mit Verboten unterdrückten Frauen helfen?

Cornelia: Nein. Ob eine Frau einen Schleier oder ein Kopftuch trägt, sagt meiner Meinung nach wenig darüber aus, ob sie unterdrückt ist oder nicht. Wenn ich den Schleier verbiete, handelt es sich meiner Meinung nach um einen Eingriff in die persönliche Freiheit, mit dem ich eine Frau, die tatsächlich unterdrückt ist, aus der Öffentlichkeit verbanne. Dann ist sie aber erst recht unterdrückt! In Frankreich gibt es das Burka-Verbot ja schon länger, und es gibt Studien, die belegen, dass es überhaupt nichts verändert hat – nicht an der Situation der Frauen, nicht an der Anzahl der Burka-Trägerinnen, gar nichts … Mit so einem Verbot kommt man gegen häusliche Gewalt und Unterdrückung nicht an, sondern es handelt sich um eine politische Propaganda und um einen rassistischen Akt. Die ganze Debatte fördert nur Rassismus und Angriffe auf Frauen, die ein Kopftuch tragen.

TT: Was sagst du zu Feministinnen, die für ein Kopftuchverbot eintreten, weil sie meinen, dass das Kopftuch ein Symbol der Unterdrückung sei?

Cornelia: Das ist eine Position, die ich nicht teile. Ein Kopftuchverbot ist meiner Meinung nach ein Ausdruck von Rassismus, weil wir davon ausgehen, dass alle Frauen, die ein Kopftuch tragen, von ihren Männern dazu gezwungen werden. Aber das ist nur unsere Annahme, woher wissen wir das? Ich habe Kopftuchträgerinnen kennengelernt, von deren Selbstbewusstsein ich mir eine Scheibe abschneiden könnte. Es steht uns einfach nicht zu, über diese Frauen aus unserem Blickwinkel heraus zu urteilen! Das ist ähnlich wie mit der Sexarbeit. Ich bin der Meinung, dass sich solche Verbote gegen die Frauen richten und nicht gegen ihre Unterdrücker. Unterdrückten Frauen kann man nur helfen, indem man sie stärkt, indem man ihnen Räume anbietet, wo sie zusammenkommen, sich frei bewegen und ins Reden kommen können. Und wo sie sich hinwenden können, wenn sie Hilfe benötigen, was den Frauen ja oft nicht so leicht fällt, egal welchen Hintergrund sie haben.

TT: Aber was ist, wenn eine Frau gezwungen wird, ein Kopftuch zu tragen?

Cornelia: Hier geht es doch um Unterdrückung allgemein. Wenn ich erfahre, dass eine Frau von ihrem Mann unterdrückt oder geschlagen wird, kann ich ihr meine Unterstützung anbieten oder den Mann bei der Polizei anzeigen, egal ob sie ein Kopftuch trägt oder nicht. Ich habe lange im Sozialbereich gearbeitet und hatte da mit einer sehr hübschen jungen Frau zu tun, deren Mutter unbedingt wollte, dass ihre Tochter ein Kopftuch trägt. Sie kam dann mit einem knallgelben Kopftuch, einem farblich dazu passenden Minikleid und Leggins in den Kurs. Mit dieser Kleidung hat sie ihren Körper so selbstbewusst präsentiert wie kaum ein anderes Mädchen. Sie hat zwar getan, was ihre Familie von ihr wollte, aber auf eine sehr kreative Art und Weise. Ein Problem ist aber die Arbeitssuche. Es gibt leider immer noch viele Betriebe, die eine Frau mit Kopftuch nicht einstellen. Die Frauen sind deshalb oft gezwungen, entweder das Kopftuch abzulegen oder ihren Berufswunsch aufzugeben.

TT: Du hast schon die Sexarbeit erwähnt …

Cornelia: Hier gibt es unterschiedliche Positionen. Es gibt diejenigen, die meinen, durch ein Verbot werden die Frauen geschützt. Sie setzen oft Sexarbeit mit Menschenhandel gleich. Dann gibt es die andere Position, der ich mehr abgewinnen kann, nämlich die, Sexarbeiterinnen zu stärken und ihnen Rechte zu geben, damit sie die Sexarbeit unter erträglichen Umständen und würdevoll ausüben können. Es ist doch eine Scheinheiligkeit, so zu tun, als ginge es nur um die Sexarbeiterinnen oder um die Männer, die zu ihnen gehen, und nicht um die ganzen Strukturen darum herum. Es handelt sich hier um einen Geschäftszweig, an dem ganz viele verdienen – auch der Staat. Je mehr ich die Sexarbeit unter Strafe stelle, umso mehr treibe ich die Frauen in die Illegalität, wo ihre Situation noch unsicherer ist und sie verstärkt Übergriffen ausgesetzt sind.

Es ist doch so, dass ganz viele Sexarbeiterinnen Migrantinnen sind und unter Bedingungen arbeiten müssen, die einfach nicht fair sind. Wenn sie für ein Zimmer pro Nacht 1200 Euro bezahlen müssen, kann man sich ausrechnen, wie viel diese Frauen einnehmen müssen, damit sie sich dieses Zimmer leisten können, und wie viel ihnen überbleibt. Das ist Ausbeutung! Dazu kommt die Frage, ob diese Frau eine andere Einkommensmöglichkeit hat. Und wenn eine Sexarbeiterin aussteigen und einen anderen Beruf suchen möchte, gibt es die moralischen Vorurteile. Welches Unternehmen nimmt eine Frau auf, die in ihrem Lebenslauf schreibt, dass sie Sexarbeiterin war? Ich bin der Meinung, dass die Frauen gestärkt und unterstützt werden sollten, weil man mit Verboten keine Probleme lösen kann, sondern sie nur verschiebt. Man kann ja nicht einfach so tun, als gäbe es ein Problem nicht, nur weil man nicht hinschaut. Genau das aber tut, so kommt mir oft vor, unsere Politik.

TT: Die MeToo-Debatte ist zurzeit ein großes Thema. Wie sollte man auf sexuelle Belästigung reagieren?

Cornelia: Ich finde es gut, dass jetzt viele Frauen darüber reden, was ihnen passiert ist, weil sexuelle Belästigung kein Kavaliersdelikt ist, sondern, vor allem, wenn sie in der Kindheit und Jugend passiert, eine Traumatisierung hinterlassen kann, die das ganze Leben mitbestimmt. Manche können überhaupt erst nach 30-40 Jahren darüber reden. Viele empfinden es ja oft als Schande oder geben sich selbst die Schuld dafür. Indem man darüber redet, wird deutlich gemacht, welche Auswirkungen solche Übergriffe auf die Betroffenen haben. Und es macht die Übergriffe vielleicht auch weniger. Ich finde es schade, wenn die Debatte ins Lächerliche gezogen wird. Das können nur Menschen tun, die selbst nie so etwas erlebt haben.

Ich denke, dass für den Täter der Schock, auch wenn er spät kommt, ganz heilsam sein kann. Oft sind die Opfer ja Frauen in einem Abhängigkeitsverhältnis, in dem die Täter ihre Machtposition ausnutzen. Da reicht eine Entschuldigung meines Erachtens nicht. Wenn ich von einem Chef abhängig bin und Angst habe, meinen Job zu verlieren, bleibe ich vielleicht still. Nicht alle Frauen sind so selbstbewusst, um zu sagen: Stopp! Jetzt hört der Spaß auf! Dazu braucht es viel Mut. Ich bin mir aber sicher, dass der Mann genau spürt, wann er die Grenze überschreitet, es aber in seiner Selbstüberschätzung vielleicht nicht wahrhaben will. Natürlich kann es auch Fälle geben, wo es Frauen darauf angelegt haben und Männer zu Unrecht beschuldigt werden, das ist aber sehr schwierig auseinander zu halten, sobald ein Machtgefälle da ist.

Einmal waren im Afro-Asiatischen Institut in Salzburg Frauen aus Nicaragua zu Gast, die mir sehr imponiert haben. Sie betreiben den Radiosender „Palabra de Mujer“, in dem sie Männer, die gegenüber ihren Frauen gewalttätig sind, mit Namen nennen und damit an den Pranger stellen. Sie wurden zwar oft mit oft dem Tode bedroht, aber sie waren mit ihrer Strategie erfolgreich. Solange die Gewalt Privatsache war, hat keiner darüber geredet, aber sobald sie öffentlich wurde, haben auch andere Männer mit dem Finger auf die Gewalttäter gezeigt. Das zeigt, wie wichtig es ist, darüber zu reden.

TT: Liegt es nicht an den hierarchischen Strukturen und Abhängigkeitsverhältnisse in unserer Gesellschaft?

Cornelia: Ja genau, darum geht es. Und da schließt sich der Kreis und wir sind wieder bei den Gender Studies, die diese Machtstrukturen untersuchen und aufzeigen, wo es Abhängigkeiten gibt und wie diese aufgebrochen werden können.

TT: Welche Bedeutung hat der Internationale Frauentag für dich? Welche Themen würdest du dir für diesen Tag wünschen?

Cornelia: In Österreich feiern wir heuer 100 Jahre Frauenwahlrecht, deshalb steht der 8. März 2018 ganz klar unter diesem Zeichen. Ich sehe mich in der Tradition dieser Frauen, die sich mit viel Mut dafür eingesetzt haben, dass wir heute so leben können wie wir leben.

TT: Vielen Dank für das Gespräch!


veröffentlicht in Talktogether Nr. 63/2018

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