Afrika: Interview mit Kwambo PDF Drucken E-Mail


Interview mit Kwambo


„Wenn sich die USA von Europa unfair behandelt fühlen, was sollte Afrika sagen?
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TT: Was geht dir durch den Kopf, wenn du die afrikanischen Flüchtlinge siehst, die ihr Leben riskieren, um nach Europa zu gelangen, obwohl sie hier nicht erwünscht sind?

Kwambo: Ich erinnere mich an den Film „Roots“, der zeigt, wie Tausende in Afrika gefangene und entführte Menschen auf Schiffen wie Vieh zusammengepfercht nach Amerika transportiert wurden. Die Grundbesitzer, auf deren Plantagen sie arbeiten mussten, machten durch sie große Gewinne, doch ihnen wurde ein Stempel aufgedrückt, den sie bis heute nicht losgeworden sind. Wenn ich in den Nachrichten die Menschen in den Booten sehe, die verzweifelt versuchen, das Meer zu überqueren, werden die Bilder aus dem Film plötzlich real, und es scheint, dass die Vergangenheit wieder aktuell geworden ist, aber dieses Mal ohne Ketten.

TT:. Was sagst du dazu, dass es heute, im 21. Jahrhundert, wieder Sklaverei gibt?

Kwambo:. Schon vor über tausend Jahren wurden auf dem Gebiet des heutigen Libyen afrikanische Menschen verkauft, zur Arbeit gezwungen und zu Eunuchen gemacht. Inzwischen sind viele Jahre vergangen, aber die Mentalität und die Gier haben sich nicht geändert. Der Unterschied ist nur, dass die Menschen damals in Ketten auf Schiffe und Märkte gebracht wurden, während man sie heute mit dem Versprechen anlockt, sie nach Europa zu bringen. In Wirklichkeit endet ihre Freiheit in einem Lager in Libyen. Dort wird entweder von ihren Verwandten Lösegeld abgepresst, oder sie werden auf dem Markt von libyschen Landbesitzern gekauft, die sie auf ihren Plantagen arbeiten lassen wie einst in Nordamerika.

Als die Menschenhändler damals die Dörfer Afrikas überfielen, kannten die Dorfbewohner keinen Hunger, sie lebten von ihren Feldern und waren freie Menschen, die ihre eigenen Muttersprachen und Kulturen hatten. Es gab auch Kämpfe, aber diese waren nicht vergleichbar mit den Kriegen, die durch Kolonialismus, Sklavenhandel und Waffenimporte nach Afrika gebracht worden sind. Sie hatten keinen Grund, nach Arabien, Europa oder Amerika auszuwandern. Doch die Araber und Europäer hatten einen Grund, sie suchten dort Arbeitskräfte und Ressourcen. Sie waren es, die zuerst nach Afrika kamen, nur heute wollen sie sich nicht mehr daran erinnern.

Die rechten Parteien reden über Wirtschaftsflüchtlinge oder Asyltouristen und behaupten, diese Menschen würden freiwillig nach Europa reisen. Über die geraubten Bodenschätze und Felder sagen sie nichts. Wenn die Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren, machen sie sich auf den Weg nach Europa um zu überleben. Seit der militärischen Intervention in Libyen und dem gewaltsamen Sturz des Gaddafi-Regimes kontrollieren Verbrecherbanden das Land, die mit diesen Menschen ihr grausames Geschäft machen. Europäische Staaten haben die Rebellen gegen Gaddafi unterstützt, um ihn los zu werden. Nun können die EU-Politiker behaupten, sie hätten gewonnen, die libysche Bevölkerung und die Flüchtlinge können das nicht.

TT: Wie sollte deiner Meinung nach die Antwort Afrikas auf die europäische Abschottungspolitik aussehen?

Kwambo: Wenn internationale Unternehmen nur billige Ressourcen aus Afrika wollen, wenn sie die Meere leer fischen und fruchtbares Ackerland aufkaufen, wie können europäische Politiker erwarten, dass die Menschen nicht versuchen, nach Europa zu kommen? Was würden Kickl, Seehofer oder Salvini tun, wenn sie ihre Familien nicht mehr ernähren können, weil man ihnen ihre Lebensgrundlagen raubt? Die Menschen in Afrika arbeiten hart, erzielen aber für ihre Ernte, die in die Industrieländer gebracht und dort verarbeitet wird, nur sehr niedrige Preise. Staatsführer wie Nkrumah, Lumumba oder Sankara haben gesagt: „Wir wollen nicht länger die Kühe für euch füttern und zulassen, dass ihr sie melkt, und wir haben nichts davon.“ Diese Männer wurden jedoch mit Gewalt durch solche ersetzt, die sagten: „Ich werde weiterhin für euch die Kühe füttern, wenn ich genug Milch für mich und meine Familie bekomme.“ Deshalb haben viele afrikanische Politiker Angst, durch einen gehorsameren Kollegen ersetzt zu werden, und sie trauen sich nicht zu sagen: „Ihr habt die Fabriken und wir haben die Ressourcen, wir können beide davon profitieren.“ Wenigstens ein Teil der Ressourcen sollte in Afrika verarbeitet werden, um die dringend benötigten Arbeitsplätze zu schaffen. Dann werden afrikanische Menschen als Urlauber nach Europa kommen und nicht mehr als Flüchtlinge.

TT: Kann man heute immer noch den Kolonialismus für die Probleme Afrikas verantwortlich machen?

Kwambo: Die Antwort lautet Jein. Auf der einen Seite waren Kolonialisierung, Versklavung und Entwürdigung wie Betäubungsmittel, unter deren Nachwirkungen die afrikanischen Gesellschaften bis heute leiden. Die Afrikaner haben dadurch ihr Selbstbewusstsein verloren, so dass sie entweder gleich nachgeben oder aggressiv reagieren. Auf der anderen Seite scheint es für viele afrikanische Politiker bequemer zu sein, sich von den ehemaligen Kolonialherren führen zu lassen, als sich nach den Bedürfnissen ihrer Bevölkerung zu orientieren. Wenn ich einen afrikanischen Präsidenten zusammen mit dem französischen Staatsoberhaupt sehe, sehe ich nicht zwei Amtskollegen, die miteinander auf Augenhöhe verhandeln, sondern ein Kind, das seinem Vergewaltiger im gleichen Raum begegnet und Angst davor hat, wieder vergewaltigt zu werden.

TT: Afrika ist nicht nur ein Rohstofflieferant, sondern auch ein großer Markt für Waren aus den Industrieländern …

Kwambo: Wenn Überschüsse aus den Industrieländern zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen werden, zerstören sie die einheimische Produktion, und wir können weder von wirtschaftlicher Entwicklung noch von Unabhängigkeit reden. Diese Importe tragen dazu bei, Afrika in Armut zu halten und die Menschen nach Europa zu treiben. Mein Appell an die Gesellschaft in den Industrieländern ist: Liebe Freunde und Freundinnen! Behaltet die alten Sachen und schickt sie nicht nach Afrika, damit die Menschen ihr eigenes Hühnerfleisch, ihre Baumwolle und Milch produzieren können und nicht fliehen müssen. Wenn ihr wollt, dass die Menschen in Afrika bleiben und nicht nach Europa fliehen, dann sollt ihr für ihre Produkte einen fairen und angemessenen Preis zahlen!

Einige ostafrikanische Länder wollten den Import der Altkleider verbieten, um ihre eigene Textilindustrie zu schützen. Sofort wurden sie von Trump mit Sanktionen bedroht. Trotzdem würde ich die Einfuhr dieser Waren nicht verbieten, sondern dafür höhere Importzölle verlangen, und dieses Geld in die Industrie investieren. Die EU verlangt genau das Gegenteil von den afrikanischen Staaten, nämlich die Zölle für europäische Waren abzubauen. Mit hoch subventionierten Überschussprodukten aus Europa können afrikanische Kleinbauern und Industrien nicht mithalten. Wer dagegen Waren aus Afrika nach Europa bringt, muss Zoll bezahlen, oder seine Ware wird vernichtet. Heute werfen die USA ihrem Handelspartnern in der EU und China vor, mit ihren Produkten die Märkte zu überschwemmen. Sie wollen ihre Industrien und Arbeitsplätze durch Zölle schützen, und die EU ärgert sich darüber. Wenn sich die USA von Europa unfair behandelt fühlen, was sollte Afrika sagen?

Das Problem liegt nicht nur in den Industrieländern, es gibt leider auch viele Afrikaner, die aus Kurzsichtigkeit diese Abhängigkeit fördern. Warum sollte man gebrauchte Autos nach Afrika schicken? Sie fahren einige Zeit, danach bleibt der Schrott liegen und verschmutzt die Umwelt. Warum sollte man alte Kleider nach Afrika bringen? Wer den Menschen in Afrika helfen will, sollte nicht solche Sachen nach Afrika exportieren, sondern besser Geld zusammenlegen und in Afrika kleine Fabriken errichten, damit die Baumwolle und andere Ressourcen dort bearbeitet werden können.

Sogar bei der so genannten Entwicklungshilfe geht es meistens nur um Absatzmärkte für die Produkte aus den Industrieländern. Brauchen die Afrikaner*innen etwa Tiefkühlpizzas aus Deutschland, um ihren Hunger zu stillen? Die Mehrheit in Afrika kennt überhaupt keine Pizza. Die Behauptung, dass man damit den Menschen in Afrika hilft, klingt fast wie der Ausspruch der französischen Königin Marie-Antoinette, die über ihr Volk gesagt haben soll: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen!“

Nicht nur die wohlhabende Mittelschicht, auch Slumbewohner*innen sind Konsument*innen. Konzerne wie Nestlé ziehen diesen Menschen das wenige Geld, das sie haben, aus der Tasche. Man überredet sie, industriell hergestellte Nahrungsmittel zu kaufen, die aber Gift für ihre Gesundheit und für die einheimische Landwirtschaft sind! Und den Bauern wird eingeredet, dass ihre Landwirtschaft nicht effizient genug sei und sie Saatgut und Dünger von Konzernen wie Monsanto kaufen sollten. Diese Firmen sind wegen ihrer Machenschaften aber schon aus vielen Ländern vertrieben worden. Wenn ein Dieb von der Polizei geschnappt wird, wo geht er hin? Dorthin, wo er Schwäche vermutet und auf leichte Beute hofft. Das hat mit der Gehirnwäsche aus der Kolonialzeit zu tun, denn in Afrika glauben immer noch viele, dass alles aus dem Westen besser sei.

TT: Welche Rolle spielen Hilfsorganisationen?

Kwambo: Ein Mitarbeiter einer islamischen Hilfsorganisation hat mir mit strahlendem Gesicht erzählt, dass er in Afrika Ziegen für die armen Menschen geschlachtet hat. Wer hat sein Flugticket bezahlt? Seine Organisation bittet mit Bildern weinender Frauen und Kinder um Spenden. Doch den Organisationen geht es hauptsächlich um ihre eigene Existenz und dass ihre Mitarbeiter ein Einkommen haben. Dasselbe gilt für christliche und andere Hilfsorganisationen. Die Menschen in Afrika brauchen weder Almosen noch Entwicklungshilfe, sie können sich nur selbst aus dem Kreislauf von Armut und Abhängigkeit befreien. Der junge Mann hat aber selbst erkannt, dass es sinnvoller ist, einen Brunnen zu bauen, als die Menschen mit Ziegenfleisch zu füttern.

TT: Warum sind chinesische Investoren in Afrika erfolgreicher als westliche?

Kwambo: Chinesische Unternehmen sind in Afrika deshalb erfolgreicher, weil sie keine koloniale Vergangenheit haben und auch keinen ideologischen und kulturellen Einfluss ausüben. Sie bauen keine Kirchen und Moscheen, sondern schließen mit afrikanischen Regierungen und Unternehmen Geschäfte ab. Wenn sie in Afrika eine Fabrik bauen, tun sie das wegen der billigen Arbeitskräfte. Sie beuten die Arbeiter*innen aus, aber immerhin schaffen sie Arbeitsplätze, denn ohne die Fabrik hätten die Leute gar nichts. Das ist zumindest besser, als die Rohstoffe billig aufzukaufen und in Europa oder Nordamerika zu verarbeiten.


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TT: Gibt es auch positive Entwicklungen in Afrika?

Kwambo: Es ist als Zeichen von Selbstbewusstsein anzusehen, dass die Afrikanische Union bei ihrem Treffen in Mauretanien Ende Juni 2018 Einigkeit bewiesen und den Plänen der EU, Flüchtlingslager in Nordafrika zu errichten, eine klare Absage erteilt hat. Das ist zwar zu wenig, um die Probleme Afrikas zu lösen, trotzdem bin ich gespannt, wie lange die afrikanischen Politiker in dieser Frage konsequent bleiben.

Es sind einige Beispiele zu erwähnen, die Anlass zur Hoffnung geben. Afrika hat viele kluge, innovative und hoch motivierte Menschen, die nur geeignete Rahmenbedingungen brauchen, damit sie ihre Kreativität entfalten können. Ruanda ist es gelungen, eigene Industrien aufzubauen, und Präsident Kagame fordert andere afrikanische Staaten auf, dem Beispiel Ruandas zu folgen und dies auch in ihren Ländern zu tun. Der neue äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed hat einen Weg der Versöhnung eingeschlagen und bei der Bevölkerung Hoffnungen auf eine friedliche Zukunft geweckt. Viele Staaten wehren sich gegen den Ausverkauf ihres Ackerlandes. Die Kräfte, die dadurch Einfluss und Einnahmen verlieren, warten nur darauf, diese Hoffnungen zu zerstören, wie ein tödlicher Anschlag in Addis Abeba gezeigt hat. Wenn sie vom Ausland unterstützt werden, könnten sie diese Entwicklung umlenken.

Auch Auswanderung und Flucht können Entwicklungshindernisse sein. Ich verurteile niemanden, der aus seinem Land flieht, weil er keinen anderen Ausweg sieht. Ich wünsche mir aber, dass kein Afrikaner mehr in ein Boot steigen oder über einen Zaun klettern muss, sondern dass die Menschen gemeinsam an Lösungen für die Probleme in ihren Ländern arbeiten können.


veröffentlicht inTalktogether Nr. 65/2018

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