Interview mit Mutlu Ertas, Informatiklehrer in Salzburg PDF Drucken E-Mail

Interview mit Dipl. Ing. Mutlu Ertas

Informatik- und Mathematiklehrer, EDV-Betreuer


TT: Du bist als Flüchtling nach Österreich gekommen, heute bist du Lehrer. Wie war der Weg bis dahin?

Mutlu: Als ich vor 16 Jahren nach Österreich gekommen bin, war ich sehr unsicher. Ich hatte keinen Plan, welchen Beruf ich hier ausüben könnte. Weil ich als Asylwerber nicht arbeiten durfte, habe ich mich an der Universität angemeldet und wurde zum Informatik-Studium zugelassen. Mein Studium hat auch einige Jahre lang gedauert, weil es aufgrund der neuen Sprache nicht einfach war, außerdem musste ich mich erst wieder ans Lernen gewöhnen, weil zwischen meiner Matura und dem Studium fünf Jahre Pause waren. Manchmal die habe ich ganze Nacht bis in die Früh durchgelernt.

TT: Was ist das für ein Gefühl, nicht arbeiten zu dürfen?

Mutlu: Den ganzen Tag nur zu Hause zu sitzen, nichts tun zu können und von staatlicher Unterstützung abhängig zu sein, ist kein gutes Gefühl. Ich habe jedoch mehr als zehn Jahre auf meinen Asylbescheid warten müssen und dann erst durch meine Heirat ein Visum bekommen. Zehn Jahre lang nicht zu wissen, wie meine Zukunft aussehen wird, ob ich hierbleiben darf oder wieder zurückgeschickt werde, ist ein sehr belastend. Ich war aber immer ein kämpferischer Mensch und aufgeben war für mich keine Option. Ich habe mir gedacht, wenn ich schon einmal hier bin, sollte ich die Zeit nützen, denn die Jahre vergehen schnell. Ich sagte mir: Ich muss etwas tun, damit ich etwas in der Hand habe, das mich weiter bringt, auch wenn ich hier nicht bleiben kann und irgendwo anders hingehen muss. Wenn man arbeitet und seinen Lebensunterhalt selbst verdient, hat man mehr Selbstvertrauen und fühlt sich in der Gesellschaft sicherer. Heute habe ich das Gefühl, in Österreich angekommen zu sein und einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können, weil ich eine gute Ausbildung und einen guten Beruf habe.

TT: Hast du dir jemals vorgestellt, Lehrer zu werden?

Mutlu: Nein, ich bin Informatiker und habe kein Lehramtsstudium absolviert. Nach dem Studium habe ich jedoch Kurse am Wifi und an der Volkshochschule gehalten. Dabei ist mir aufgefallen, dass mir das mir das Unterrichten liegt und wie viel Freude es mir bereitet. Ich habe sechs Monate als Software-Entwickler gearbeitet, doch da habe ich erkannt, dass dies nicht der richtige Beruf für mich ist. Ich möchte mein Leben nicht damit verbringen, acht Stunden täglich nur vor dem Bildschirm zu sitzen und nur mit dem Computer zu tun zu haben – keine sozialen Kontakte, gar nichts.

TT: Wie siehst du politische Entwicklung von damals bis heute?

Mutlu: Meiner Meinung nach hat sie die politische Situation durch den zunehmenden Nationalismus und Rassismus verschlechtert. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen früher gegenüber Einwanderern freundlicher und lockerer waren. Doch als wegen der Kriege in Afghanistan, im Irak und in Syrien immer mehr Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind, hat sich die Stimmung verändert. Durch die negativen Berichte in den Medien und den Wahlkampf haben Rassismus und Ausländerfeindlichkeit spürbar zugenommen.

TT: Man redet oft über Ängste der Einheimischen, aber nicht über die der Flüchtlinge. Was denkst du darüber?

Mutlu: Die Ängste werden durch die Medien und die Politik geschürt. Leider gibt es keine Partei, die den Menschen wirklich erklärt, wie es den Flüchtlingen geht und aus welchen Gründen sie nach Europa gekommen sind, und wer die Kriege und die Not, vor der die Menschen fliehen, verursacht hat.

TT: Welche Erfahrung hast du als Lehrer mit Migrationshintergrund gemacht?

Mutlu: Ich kann nicht wirklich behaupten, dass ich jemals wegen meiner Herkunft Probleme gehabt habe. Unsere Schule hat nur an die 200 Schülern und Schülerinnen und es herrscht eine sehr humanistische Einstellung. Am Anfang habe ich zwar schon das Gefühl gehabt, dass meine Schüler*innen skeptisch waren und daran gezweifelt haben, ob ich kompetent bin. Aber durch mein Fachwissen und durch meine Gestaltung des Unterrichts konnte ich sie überzeugen. Durch Wissen hat man die Möglichkeit, sich Respekt in der Gesellschaft zu verschaffen.

TT: Was würdest du Menschen empfehlen, die heute in der Situation sind, in der du damals warst?

Mutlu: In erster Linie würde ich ihnen raten, die Sprache zu lernen, in der Gesellschaft anzukommen und sich nicht zurückzuziehen. Das habe ich getan und damit gute Erfahrungen gemacht. Ich habe immer versucht, mit den Menschen zu kommunizieren, egal wo ich war und mit wem ich zu tun hatte. Die Sprache spielt dabei eine große Rolle. Außerdem würde ich den Menschen, egal woher sie kommen, empfehlen, offen zu sein und die Kultur und das Leben hier in Österreich kennenzulernen. Dann hat man die Möglichkeit, die positiven und negativen Aspekte der Kultur mit der des Herkunftslandes vergleichen. Alle Kulturen, Religionen, Nationalitäten haben ihre positiven und ihren negativen Seiten, und man kann positive Teile der neuen Kultur übernehmen, ohne die eigene Kultur und Sprache zu vergessen. Aktiv sein, versuchen, einen Beruf und Freunde finden, offen sein, einander kennenlernen und versuchen, die Probleme des anderen zu verstehen. Eine wichtige Regel dabei ist, Respekt vor dem anderen zu haben.

TT: Was war deine schlechteste Erfahrung in Österreich?

Mutlu: Was mich immer gestört hat, dass viele Menschen in Österreich misstrauisch sind und Abstand zu den Zugewanderten halten. Es ist kein Wunder, wenn Zugewanderte sich zurückziehen, wenn sie immer vor verschlossenen Türen stehen.

TT: Was war deine schönste Erfahrung in Österreich?

Mutlu: Eine der schönsten Erfahrungen war mein Vorstellungsgespräch bei der Direktorin unserer Schule. Sie hat zu mir gesagt, probieren wir es. Ich bin davon ausgegangen, dass es sich um eine vorübergehende Anstellung als Vertretung handelt. Doch nach einiger Zeit hat sie mir dann mitgeteilt, dass sie sehr zufrieden mit mir sei, viele positive Rückmeldungen von Schülern und Eltern bekommen habe und ich an der Schule bleiben könne. Sie hat die Einstellung, dass jeder Mensch eine Chance bekommen soll, und dieser Meinung bin ich auch!

veröffentlicht in Talktogether Nr. 66/2018

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