Gespräch mit Brigitte Promberger, AK Salzburg PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Brigitte Promberger

Betriebsrätin und Arbeiterkammerrätin in der AK Salzburg

TT: Was sind die Schwerpunkte deiner gewerkschaftlichen Arbeit? Wo gibt es besonders gravierende Probleme?

Brigitte: Zu den Schwerpunkten des GLB (Gewerkschaftlicher Linksblock) gehört u.a. die Forderung nach der 30 Stunden Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich und die nach einem gesetzlichen Mindestlohn von zumindest 13 Euro pro Stunde. Seit über vierzig Jahren gab es keine Arbeitszeitverkürzung mehr, obwohl das Ausmaß der realen Arbeit zurückgegangen und die Produktivität gestiegen ist. Den Gesetzlichen Mindestlohn halten wir für nötig, da es Arbeitsbereiche gibt, die keinen Kollektivvertrag und die somit auch keine geregelten Lohn- und Gehaltsschemen haben. Ein weiterer Schwerpunkt, der uns von den anderen Fraktionen unterscheidet, ist die Forderung nach Demokratisierung des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB). Gewerkschaftsmitglieder müssen die Möglichkeit und das Recht auf Mitbestimmung über die Entscheidungen haben. So fordern wir konkret Urabstimmungen bei Kollektivvertragsabschlüssen. Das heißt, die Mitglieder müssen befragt werden, ob sie mit dem Abschluss einverstanden sind oder ob weiterverhandelt werden muss.

TT: Die Spaltung der Arbeiter und Arbeiterinnen erleichtert die Ausbeutung. Die Solidarität ist leider oft zu vermissen. Woran liegt das und was könnte man dagegen tun?

Brigitte: Die Berufswelt hat sich schnell und stark verändert. Die klassische Arbeiter*innenschaft gibt es kaum mehr. Die neoliberale Wirtschaftsidee der Leistungsgesellschaft hat sich durchgesetzt und der Arbeitsdruck hat sich deutlich erhöht. Wegen der Digitalisierung müssen Arbeitsleistungen teilweise im Minutentakt dokumentiert werden. Durch die Auslagerung in sogenannte Billiglohnländer wird die Angst um Arbeitsplätze real. Sehr unterschiedliche Lohnniveaus dienen eher der Neidgesellschaft, als der Solidarität. Slogans wie „Geiz ist geil“ ködern Konsument*innen genauso wie Billig-shops. Hier sehe ich leider auch ein Versagen der Sozialdemokratie und der sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionäre. Die Aufforderung „Gebt uns eure Stimme, wir machen das für euch“ hat mit dazu beigetragen, die Menschen zu veranlassen, ihre Verantwortung abzugeben. Dass die Sozialpartnerschaft – das österreichisches Verhandlungsmodell zwischen Wirtschaft und Gewerkschaften –auf Augenhöhe funktioniert oder jemals funktioniert hat, können nur sozialdemokratische Gewerkschaftsfunktionäre behaupten. Ich sehe das nicht so. Wenn die Wirtschaft vorgibt und die Gewerkschaft „das Beste“ rausholt, ist das nicht „auf Augenhöhe“.

Der Bildungsauftrag, den sich die Arbeiterbewegung seit Beginn selbst gestellt hat, ist leider auch verloren gegangen. Denn wäre es nicht so, müssten alle begreifen, dass Billigstprodukte oder der Besitz von unendlich viel unnützem Zeug nur auf Kosten von anderen Menschen und der Natur gehen kann.

Der Gewerkschaftsslogan „Für ein gutes Leben“ muss deshalb mehr beinhalten, als nur wirtschaftliche Aspekte. Zu einem guten Leben gehört für mich auch, dass ich mitverantworte, dass mein gutes Leben nicht auf Kosten anderer geht. Diese anderen sind Menschen in anderen Ländern und Kontinenten sowie unsere nachfolgenden Generationen.

Was man dagegen tun kann?

Aufklären – immer und überall, so wie ihr das auch macht. Aufklären darüber, dass Konsumieren nur die Konzerne glücklich macht. Aufklären darüber, dass die Welt aufgrund unseres Konsumverhaltens bereits in einem üblen Zustand ist und unsere Kinder bald nicht mehr ernähren können wird. Aufklären darüber, dass wir mit unserem Konsumverhalten ganzen Kontinenten die Lebensgrundlagen entziehen. Aufklären darüber, dass Kriege immer mit Wirtschaftsinteressen zu tun haben und somit in weiterer Folge auch mit unserem Kaufwahn. Aufklären darüber, dass unser Konsumverhalten der Grund für die Flucht von Millionen Menschen ist. Aufzeigen, wer die Profiteure sind – die globalen Konzerne, die Wirtschaftspatriarchen und deren Handlanger, die in der Politik zu finden sind. Und, ganz wichtig, aufzeigen, was wir durch Solidarität erreichen können.

Daher finde ich auch das Wissen über unsere Geschichte so wichtig. Wir können so viel von unseren vorangegangenen Generationen und von Beispielen aus aller Welt lernen, und wir sollten dieses Wissen nutzen. „Gemeinsam sind wir stark“ ist nicht nur ein Slogan, es ist ein Gefühl, und zwar ein sehr gutes, das Kraft gibt!

TT: Viele Arbeiter und Arbeiterinnen sind sich der wichtigen Rolle der Gewerkschaft nicht bewusst. Was tut die Gewerkschaft, um Menschen, die aus anderen Ländern gekommen sind, zu gewinnen bzw. überzeugen?

Brigitte: Die Gewerkschaft ist eine Mitgliederorganisation und vertritt diese. Über Mitgliederrückgang wird zwar geklagt, und bei allen Sitzungen werden wir Betriebsrät*innen aufgefordert, Mitglieder zu werben, doch beschränkt sich die Werbung meist eher auf Betriebe, die bereits organisiert sind, das heißt, wo es bereits Mitglieder gibt. Das ist natürlich auch ein personelles Problem, die Gewerkschaftsangestellten sind arbeitsmäßig mehr als gut ausgelastet, die Betriebsrät*innen sind es auch.

Viele Berufstätige sind aber skeptisch, denn sie befürchten, sich Unannehmlichkeiten mit den Firmen einzuhandeln. Vor allem Menschen, die aus anderen Ländern kommen, haben oftmals sehr schlimme Erfahrungen gemacht, in vielen Ländern wird gegen Gewerkschafter gewaltvoll vorgegangen.

Meine persönliche Erfahrung mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern ist die, dass sie zwar sehr wohl für Aktionen – zum Beispiel der Unterstützung bei der Arbeiterkammerwahl – doch für eine Mitgliedschaft eher schwer zu gewinnen sind. Dennoch ist der persönliche Kontakt die wirkungsvollste Weise, Menschen zu überzeugen.

TT: Die regierenden Parteien (vor allem die FPÖ) haben immer die Zuwanderung von Arbeiterinnen aus Drittstaaten abgelehnt. Nun hat die Regierung beschlossen, mehr Saisonarbeiter_innen nach Österreich zu holen. Außerdem werden arbeitswillige Menschen und Lehrlinge von ihrem Arbeitsplatz abgeschoben. Welche Strategie verfolgt die Regierung deiner Meinung nach?

Brigitte: Diese Regierung hat bereits vor der Wahl mit ihrem Programm die Interessen der Wirtschaft und der Industriellenvereinigung bedient. 12-Stundentag/60-Stundenwoche, die Kürzung der Mindestsicherung und die Zerschlagung der Sozialversicherung sind bereits abgehakt, die Eingriffe in die Arbeiterkammer stehen noch aus. Für mich ist die Strategie der Regierung klar: das Ausschalten der Selbstverwaltung und das Aushebeln der Interessensvertretungen der arbeitenden Bevölkerung und derer, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Die FPÖ ebnet den Weg, damit ja niemand auf die Idee kommt, sich dagegen zu wehren. Sehr zynisch werden dabei Menschen aus anderen Ländern, allen voran Geflüchtete, kriminalisiert und so zu Angst- und Feindbildern gemacht.

TT: Unternehmen nützen heute geschickt unterschiedliche Lebensstandards in verschiedenen Ländern aus, um die Löhne niedrig zu halten. Wie können sich die Lohnabhängigen besser vernetzen, um sich dagegen zu wehren?

Brigitte: Das kann meiner Meinung nach nur gelingen, wenn sich die Lohnabhängigen organisieren und die Gewerkschaften sich über die Ländergrenzen hinweg vernetzen. Das ist ein Bereich, für den man die EU im Sinne der Arbeitnehmer*innen nutzen kann und muss.

TT: Klimaschutz und Schutz von Arbeitsplätzen erscheint oft als Widerspruch. Welche Strategien verfolgt die Gewerkschaft bzw. der GLB?

Brigitte: Von Seiten der Gewerkschaft kann ich keine Strategien erkennen. Wenn es um Arbeitsplätze geht, denken Gewerkschaftsfunktionäre fast ausschließlich „wirtschaftlich“. Um den Flughafen in Salzburg wird mit Zähnen und Klauen gefochten, jede Kritik wird mit scharfen Worten niedergeschmettert. Es ist auch wirklich schwierig, den Menschen ökologische Argumente näher zu bringen, um deren Arbeitsplätze es geht. Für mich ist es deshalb ganz wichtig, dass neben den alteingesessenen Fraktionen nun auch zunehmend mehr kleinere in die Gremien kommen und Sichtweisen über den Tellerrand hinaus einbringen Ich stelle zunehmend mehr Sensibilität für diese Themen fest.

TT: Am Ersten Mai haben die Arbeiter in Chicago für den 8-Stunden Arbeitstag gekämpft. Warum gibt es heute nicht mehr Protest gegen die Einführung des 12-Stundentag bzw. die 60-Stunden Woche?

Brigitte: Der GLB hat bereits bei der Ankündigung des neuen Arbeitszeitgesetzes, das den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche ermöglicht, in Bündnissen zum Widerstand aufgerufen. In Anträgen der Arbeiterkammervollversammlung forderten wir von der Regierung die Rücknahme. Leider agiert die Mehrheitsfraktion (FSG) anders. Statt generellem Protest versuchen sie in den Kollektivvertragsverhandlungen „das Beste“ herauszuholen. Aus meiner Sicht ist das ein Kniefall vor der Wirtschaft und ein Ausschluss all derer, die keine Kollektivverträge haben.

TT: Welche Bedeutung hat der Erste Mai für dich? Dieser Tag wird mit Demos und Feiern begangen. Danach gehen die Leute nach Hause. Warum ist der kämpferische Charakter verloren gegangen?

Brigitte: Diese Frage spricht genau das an, warum ich wieder begonnen habe, mich gewerkschaftlich zu engagieren, und warum ich mich für den GLB entschieden habe. Meine politische Sozialisation geschah in den 1970ern, einer Zeit des Aufbruchs und des Widerstands. Der Solidaritätsgedanke hatte hohen Stellenwert, die Gesellschaft wurde wohlhabender. Die weitere Entwicklung ist ja bekannt – das haben wir bereits besprochen. Früher nannte man den Ersten Mai den „Kampftag der Arbeiterklasse“. Das wissen nur mehr wenige, dieser Jargon schreckt heute eher ab. Allerdings sind in den letzten Jahren die Demonstranten wieder mehr geworden und auch die Inhalte auf den Transparenten. „Widerstand“ ist nun häufig zu lesen und zu hören. Nun ist Widerstand zwar reaktiv, aber immerhin. Wann werden Menschen kämpferisch? Darüber gibt es einige Theorien. „Aus der Komfortzone rauskommen“ ist ein neuerer Spruch. Das heißt für mich, dass da bereits wieder ein Bewusstsein für aktiv sein entsteht.

Für mich ist der Erste Mai der wichtigste politische Tag im Jahr. Auf die Straße gehen, sich sicht- und hörbar machen: „Wir wollen keinen Kuchen, wir wollen die halbe Bäckerei“. Denn, um mit Brecht zu enden: „Wer zuhause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und lässt andere kämpfen für seine Sache, der muss sich vorsehen: denn, wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage […]“.


erschienen in Talktogether Nr. 68/2019

 

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