Alfred und Ali: Schutz vor Gewalt oder Angstmache und Spaltung? PDF Drucken E-Mail

ALFRED UND ALI

Schutz vor Gewalt oder Angstmache und Spaltung?

Wie an allen anderen Tagen trifft sich Alfred nach der Arbeit mit seinem Schulfreund Ali in einem Lokal, um gemeinsam die Übertragung eines Fußballspiels anzusehen. Alfred und Ali sind im gleichen Krankenhaus und gleichem Monat geboren. Sie sind in den gleichen Kindergarten gegangen und haben die gleichen Schulen besucht. Als Jugendliche haben sie alles gemeinsam unternommen. Nun haben sie beide ihre eigenen Familien und sind Väter geworden. Abgesehen von ihren gemeinsamen Erfahrungen verbindet sie der Fußball. Beide sind Fans von Red Bull Salzburg, Bayern München und Barcelona.

Seitdem die Menschen und die Medien über die Sicherungshaft diskutieren, streiten sie jedoch andauernd über dieses Vorhaben des Innenministers. Während Alfred der Meinung ist, dass durch dieses Gesetz die Bevölkerung geschützt werden soll, meint Ali, dass das Vorhaben der Regierung die Bevölkerung spalte. Er macht sich Sorgen um ihre alte Freundschaft. Sobald das Fußballspiel beendet ist und sie anfangen, über Politik reden, ist der Spaß vorbei. Trotzdem verabschieden sie sich mit einem Faustgruß und jeder geht nach Hause. Ali fragt sich auf dem Weg nach Hause, warum er diese Sicherheitshaft gefährlich findet, während sie sein Freund befürwortet. Wie kann sein, dass Alfred etwas gut findet, vor dem er Angst hat? Er versucht, die Sache objektiv aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, um sich eine fundierte Meinung über dieses Thema zu bilden. Er ist entschlossen, beim nächsten Treffen mit seinem Freund darüber zu diskutieren.


Ali: Du, Alfred, du weißt, wir sind beide in dieser Stadt geboren, in den gleichen Kindergarten und in die gleiche Schule gegangen. Wir haben sogar das erste Bier gemeinsam getrunken und gemeinsam den ersten Joint geraucht. Wir haben sogar am gleichen Tag in einem Nachtclub die Jungfräulichkeit verloren, kannst du dich daran erinnern?

Alfred: Ja, ich kann mich erinnern, und auch noch an mehr. Ich erinnere mich daran, als wir bei deiner Tante in Istanbul waren. Wir sind gemeinsam in die Moschee gegangen und du hast mich Ahmet genannt, damit ich nicht auffalle. Und zu Weihnachten waren wir bei meinen Großeltern in Klagenfurt und da warst du der Sepp, erinnerst du dich?

Ali: Ja, natürlich kann ich mich erinnern. Wir waren Freunde aus verschiedenen Kulturen. Wir kannten nur unsere Vornamen, die Nationalität hat für uns nie eine Rolle gespielt. Erinnerst du dich auch an unseren Tormann Abdul? Ich möchte die Freundschaft dieser Zeit wiederhaben. Ich weiß, es ist naiv, das zu sagen. Aber in der jetzigen Zeit tun wir nicht viel dafür, damit wir gemeinsam eine schöne und friedliche Zeit haben.

Alfred: Stimmt. Es war eine schöne und lustige Zeit. Aber die Zeit bleibt nicht stehen und wir bleiben nicht immer jung. Noch dazu kommt, dass die politische Situation anders ist als früher.

Ali: Hm, was willst du damit sagen? Alfred, sei ehrlich: Denkst du, du bist mehr Österreicher als ich?

Alfred: Nein. Warum? Wie kommst du darauf? An so etwas habe ich nie gedacht, und warum sollte ich so etwas denken?

Ali: Weil du immer sagst, dass unsere jetzige Regierung „die Österreicher vor gewalttätigen Ausländern und Asylanten“ schützt. Du hast auch das FPÖ-Video „Ali Pech gehabt“ mit der E-Card lustig gefunden. Ich verstehe nicht, wie jemand wie du über so etwas lachen kann.

Alfred: Ach, das ist doch bloß ein blöder Witz. Was hast du damit zu tun? Warum fühlst du dich überhaupt angesprochen?

Ali: Weil ich Ali heiße und es diskriminierend finde. Wenn einer unser Sozialsystem ausnutzt, ist es im Grund genommen doch egal, ob er Ali oder Matthias heißt. Wir haben doch dafür Behörden, die den Missbrauch ermitteln und Schuldige zur Rechenschaft ziehen. Es beunruhigt mich, wenn alle Alis als Betrüger dargestellt werden. Noch dazu stammt die Geschichte nicht vom Stammtisch im Wirtshaus, sondern von einer Partei, die in der Regierung sitzt und die den Innenminister stellt. Ich bin besorgt, weil ich ein Österreicher bin, der Ali heißt. Ich gehe zum Arzt und zeige der Sprechstundenhilfe meine E-Card. Wie die mich anschaut, vermittelt sie mir den Eindruck, als ob sie damit nicht zufrieden sei und mich fragen wollte: „Ist Ihre E-Card echt, haben Sie einen Personalausweis dabei?“ Wenn ich Sepp geheißen hätte, hätte die Dame diese Vermutung nicht gehabt. Hat diese Partei gute Arbeit für unser Zusammenleben und unsere Freundschaft geleistet? Dann kommt sie auch noch mit der Parole „Wir schützen unsere Bevölkerung“ in die Medien. Für mich bedeutet das aber nicht „schützen“, sondern Spaltung und Angst verbreiten. Wie kannst du so etwas nur gut finden?

Alfred: Aber das betrifft doch gar nicht dich! Wenn es gegen dich gerichtet wäre, würde ich es nicht gut finden, das weißt du auch. 2000 sind wir beide sogar auf eine Demo gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung gegangen. Aber es kann einen Ali geben, der ein Betrüger ist. Diese Sache betrifft dich nicht, denn du bist Österreicher. Die Regierung sagt, dass sie die Bevölkerung vor kriminellen „Ausländern“ schützen will, aber du bist kein Ausländer, sondern einer von uns. Du bist hier geboren, du arbeitest, zahlst Steuern wie alle anderen. Warum fühlst du dich angesprochen? Ich verstehe deine Aufregung nicht. Du bist in Ordnung, vergiss einfach diese Scheiße. Möchtest du noch ein Bier?

Ali: Ja, bitte. Warum ich mich aufrege, kannst du nicht verstehen, weil du nicht betroffen bist. Du heißt Alfred Müller, und nicht Ali Gülhan. Aber ich wünschte mir, dass du zumindest wissen möchtest, warum ich so reagiere. Ich wünschte, du könntest dich in meine Situation hineinversetzen. Ich fühle mich angesprochen, weil ich Ali heiße. Ich reagiere so, weil ich nicht als Verbrecher eingestuft werden und keine willkürlichen Gesetze akzeptieren will, ob ich österreichischer Staatsbürger bin oder nicht. Viele fühlen sich ausgeschlossen und diskriminiert, weil sie ihre Wurzel woanders haben. Ich wünsche mir eine Regierung, die in der Lage ist, die Bevölkerung in dieser Republik zusammenzuhalten, statt sie zu spalten, und Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen, egal woher sie kommen. Noch ein Punkt: Wenn der Gesetzesantrag auf die so genannte „Sicherheitshaft“ durchkommt, was ich mir nicht wünsche, heißt das, dass jeder, der irgendwem verdächtig erscheint, in Schubhaft gesperrt werden kann, und dann heißt es, genau wie es auf der E-Card steht: „Ali Pech gehabt“. So etwas passiert leider in Ländern, in die ich gern auf Urlaub fahren würde, in die ich aber wegen dieser „Sicherheitshaft“ nicht reisen möchte und kann.

Alfred: Du bist kein Asylant, ein Islamist auch nicht. Du bist genauso wenig Muslim, wie ich Christ bin. Warum regst du dich auf?

Ali: Asylant bin ich nicht. Terrorist auch nicht. In Österreich kann man Menschen nicht beliebig einsperren, und sogar ein Verbrecher hat das Recht auf ein faires Verfahren. Denn Österreich ist ein Rechtsstaat und soll es auch bleiben. Auch wenn es manche wegen meines Namens nicht glauben: Darauf bin ich stolz und dafür würde ich kämpfen!

Alfred: Langsam verstehe ich dich und finde diese pauschalen Verdächtigungen absurd. Aber du solltest das nicht persönlich nehmen. Wenn die Regierung die Bevölkerung schützen will, dann meint sie uns alle und nicht nur die Mayers und Müllers. Außerdem wissen wir, wenn die Regierung Ali und Mohamed nicht schützen kann, kann sie auch nicht Mayer und Müller schützen. Wir leben alle im selben Land, und es ist nicht möglich, dass ein Teil der Bevölkerung in Sicherheit lebt und der andere nicht.

Ali: Du hoffst das, weil du ein optimistischer Mensch bist. Aber hast du dich gefragt, warum, seit wir diese Regierung haben, immer mehr Gesetze erlassen werden, die sich gegen Asylsuchende richten? Aber sie haben keine Gesetze erlassen, die Ali und andere Minderheiten vor den Nazis schützen. Darüber wird nicht einmal gesprochen. Noch etwas, ein Terrorist unterscheidet nicht zwischen Österreichern und Nicht-Österreichern. Ein Nazi schon. Nazis gehen gezielt auf bestimmte Personengruppen los, während die Selbstmordattentäter alle töten, die ihnen zufällig über den Weg laufen. Im Grunde genommen sind sie aber vom gleichen Geist beseelt, weil sie Mörder sind. Sie hassen und verachten die Menschen – und sich selber auch.

Alfred: Aber was sollte man mit gefährlichen Asylanten tun? Soll man zuschauen und warten, bis sie jemanden töten? Was schlägst du vor?

Ali: NEIN. Wir sollen natürlich nicht warten, bis sie ein Verbrechen begehen, wie es in Dornbirn der Fall war, sondern Menschen, von denen man weiß, dass sie gefährlich und gewaltbereit sind, festnehmen. Der Täter von Dornbirn war amtsbekannt und hatte in Österreich ein Aufenthaltsverbot. Um ihn festzunehmen, braucht man keine Sicherheitshaft. Laut Medienberichten hat er sogar zugegeben, dass er in der Türkei Menschen getötet hat. So etwas muss die Behörde untersuchen. So einen Verbrecher will bestimmt keiner schützen.

Alfred: Wir können aber nicht vorher wissen, wer wann jemanden tötet. Um das zu verhindern, brauchen wir dieses Gesetz, was hast du dagegen?

Ali: Ich verstehe auch nicht, warum du es gut findest, wenn jeder, der irgendwem verdächtig erscheint, sofort in Schubhaft kommt. Du kritisierst oft die chinesische, die russische oder die türkische Regierung, weil dort kritische Menschen ohne Gerichtsverfahren einfach eingesperrt werden. Hier aber trittst du dafür ein, dass Angehörige einer bestimmten Gruppe auf bloßen Verdacht hin verhaftet werden können. In Österreich stehen die Gesetze über der Politik und nicht umgekehrt. Nun wird aber gewünscht, dass die Gesetze von der Politik gesteuert werden. Das ist gefährlich und kann eines Tages jeden treffen, der sich unbeliebt macht – auch dich. Bis jetzt achtet und befolgt unsere Polizei die Gesetze, hält sich an Vorschriften und leistet gute Arbeit. Die Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen sind gut geschult und können unterscheiden, wer gefährlich ist und wer nicht. Ich gehe davon aus, dass die Behörden den Täter von Dornbirn unterschätzt haben und ihnen Fehler unterlaufen sind. Es kann passieren, dass ihnen erst im Nachhinein klar wird, dass sie ihn hätten einsperren sollen. Das meine ich nicht als Vorwurf. Ich bin mir aber sicher, dass bei diesem Gesetz nicht darum geht, die Bevölkerung vor Gewalttätern zu schützen, sondern darum, die Menschen einzuschüchtern und abzuschrecken, damit keiner mehr auf die Idee kommt, in Österreich um Asyl anzusuchen. So machen sie es auch in Italien, Deutschland oder Schweden. Die Regierungen wollen sich nicht mit den Fluchtursachen auseinandersetzen, stattdessen nennen sie ein Flüchtlingszentrum in Ausreisezentrum um, aber die Fluchtgründe bleiben und die Menschen müssen weiterhin ihre Ländern verlassen.

Alfred: Wo ist das Problem, wenn die Regierung Ausreiszentren baut für diejenige, die kein Recht auf Asyl haben und abgeschoben werden sollen? Wo ist das Problem, wenn gefährliche Asylanten rechtzeitig eingesperrt werden?

Ali: Wenn die Menschen aus Afrika nach Europa fliehen, wenn junge Männer aus Syrien oder Afghanistan in der EU um Asyl ansuchen, sollten die EU-Politiker sich fragen, was ihre Politik mit der Flucht dieser Menschen zu tun hat. Wenn man diese Frage beantworten möchte, sollte man ehrlich und fair sein. Wenn sich herausstellt, dass die Leute fliehen, weil Konzerne aus Europa, Amerika oder aus den Golfstaaten diese Leute ausbeuten, die Küsten leer fischen oder den Menschen das Land rauben, oder weil sie von Waffen „made in EU“ oder „made in USA“ vertrieben werden, dann sollte man entsprechend reagieren, statt sie mit Abschiebung zu bedrohen. Abschiebung und Abschreckung lösen die Probleme nicht.

Alfred: Das verstehe ich schon! Ich habe kürzlich eine Dokumentation über den Senegal gesehen, wo eine französische Baufirma den Sand am Strand abbaut. Dadurch rutschen die Häuser ab und stürzen ein, die Menschen werden obdachlos. Ich weiß auch, dass es Ausbeutung und Ungerechtigkeiten gibt. Ich bin auch sicher, dass Sicherheitshaft und Abschiebungen keine Lösung für unsere globalen Probleme sind. Aber können wir jetzt endlich mit diesen Themen aufhören!

Ali: Mir hat gut gefallen, als du gesagt hast, dass wir alle in einer Republik leben, und es nicht möglich ist, dass ein Teil der Bevölkerung in Sicherheit lebt, während die anderen Angst haben. Ich habe das Bedürfnis, dich noch einmal daran zu erinnern, welche Verbrechen hier in der Vergangenheit begangen wurden. Du weißt besser als ich, dass wir weder Gewalt noch Krieg brauchen. Deshalb möchte ich dich als Freund bitten, die Sache ernst zu nehmen.

Alfred: Ich sehe die Sache aus einer anderen Perspektive als du, was aber nicht heißt, dass mir alles egal ist. Unsere Sicherheit und unseren Wohlstand können wir nur durch Demokratie und einen stabilen Frieden erhalten. Abgesehen davon werde ich alles dafür tun, damit unsere Freundschaft aufrecht bleibt.

Ali: Wir haben den Bombenaschlag auf eine Kirche in Ägypten gesehen und ein Massaker in Moscheen in Neuseeland erlebt. Diese Gewalt muss für uns alle ein Grund sein, gegen religiöse und ideologische Gewalt zu kämpfen. Statt Krieg, Waffen und Hetze brauchen die Menschen auf dieser Welt Bildung und Chancen, damit sie ihr Brot verdienen können.

Alfred: Prost!


erschienen in Talktogether Nr. 68/2019

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