Die kämpferischen Frauen im Sudan PDF Drucken E-Mail

Von Kandaka bis Alaa:

die kämpferischen Frauen im Sudan



Alaa Salah by Lana H. Haroun

Die Architekturstudentin Alaa Salah ist zur Ikone des Aufstands im Sudan geworden. Ihr Widerstand ist aber nicht aus dem Nichts entstanden, denn die Frauen im Sudan können auf eine lange Tradition des Freiheitskampfes zurückblicken.

Am 10. April wurde das Bild der 22-jährigen Alaa Salah, die auf dem Dach eines Autos steht und die protestierende Menge anfeuert, um die ganze Welt geschickt. In ihrem weißen Baumwollkleid folgte sie der Tradition der Frauen, die vor ihr für Unabhängigkeit und Freiheit gekämpft hatten. Mit ihrer Erscheinung trotzte sie dem verbreiteten Vorurteil, dass muslimische Frauen unterdrückt und politisch passiv seien. Die Medien bejubelten ihren Mut, als ob sie eine Ausnahmeerscheinung wäre. Dabei haben die Frauen im Sudan schon seit jeher eine bedeutete Rolle im Freiheitskampf gespielt.

Angefangen von Kandaka, der nubischen Königin von Meroe, die ihr Land 332 v. Chr. erfolgreich gegen die Armee Alexanders des Großen verteidigt hat, gefolgt von Dr. Khalida Zahir, der ersten sudanesischen Ärztin und kühnen Anführerin zahlreicher Proteste gegen die britische Kolonialherrschaft, bis zu Fatima Ibrahim, der ersten Parlamentsabgeordneten, die als Gründerin der ersten Frauengewerkschaft für das Frauenwahlrecht, gleichen Lohn und das Recht auf Mutterschaftsurlaub gekämpft hat, haben Frauen immer die Entwicklung des Landes entscheidend mitgeprägt. Und es waren keineswegs nur Frauen aus der Oberschicht und aus der Hauptstadt, sondern insbesondere die Arbeiterinnen und die Bäuerinnen aus den vernachlässigten ländlichen Regionen, die eine führende Rolle im Widerstand gegen Diktatur und staatliche Gewalt gespielt haben.

Was Alaa sagte und die Welt nicht hören wollte

Während viel über Alaas spektakulären Auftritt geschrieben wurde, ignorierte die internationale Presse zumeist die Worte, die sie an diesem Tag sprach. „Sie sperrten uns ein im Namen der Religion … sie verbrannten uns im Namen der Religion ... sie töteten uns im Namen der Religion“, rezitierte Alaa den sudanesischen Dichter Azhari Mohamed Ali. „Doch nicht der Islam ist dafür verantwortlich. Der Islam spornt uns an, aufzustehen und gegen die Tyrannen zu kämpfen.“

Nach jedem Satz antwortete der Chor der Protestierenden mit dem Ruf „Thawra“ – dem arabischen Wort für Revolution. Mit ihren Rezitationen folgte Alaa der Tradition der Hakamat-Poetinnen und Sängerinnen, die mit ihren Liedern zum Widerstand gegen die Unterdrückung aufrufen. Am bekanntesten sind die nubische Dichterin Meheira bint Aboud, die im 19. Jahrhundert die Krieger anfeuerte, die Widerstand gegen die einfallenden osmanischen Truppen des Mehmet Ali Pascha leisteten, sowie die Sängerin Hawa al-Tagtaga aus Kordofan, die wegen ihrer antikolonialen Lieder, die sie auf Demonstrationen öffentlich vortrug, von den britischen Kolonialbehörden verhaftet wurde. Im bewaffneten Konflikt zwischen den Volksgruppen in Darfur und der Regierung in Karthum leisten Hakamat-Sängerinnen einen wichtigen Beitrag zur Friedensbildung.

Wie viele Frauen vor ihr kritisierte Alaa die Praxis der Regierung, die Religion als Repressionsinstrument zu missbrauchen. Der Islam und die Arabisierung wurden und werden von der herrschenden Elite gerne benutzt, um jeden Protest zu ersticken. Doch die Völker des Sudan haben den Assimilierungskampagnen immer getrotzt. In den 1980er Jahren widersetzten sie sich dem damaligen Diktator Jaafar an-Nimeiry, der der multireligiösen Nation islamische Gesetze aufzwingen wollte und gegen Dissidenten mit Folter und Mord vorging. 1992, drei Jahre nachdem Omar al-Bashir durch einen Militärputsch die Macht ergriffen hatte, erließ er im Namen der Religion eine Reihe repressiver Gesetze, welche die Kinderheirat und Vergewaltigung in der Ehe legalisierten, es Frauen aber verboten, Hosen zu tragen oder ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit zu gehen. Wer wagte, die Regierung zu kritisieren, wurde verfolgt und verhaftet. 2009 erregte der Fall der Journalistin Lubna al-Hussein, die wegen des Tragens einer Hose zu 40 Stockschlägen verurteilt wurde, weltweite Aufmerksamkeit.

Die Gesetze schränkten aber nicht nur die persönliche Freiheit der Frauen ein, sondern bedrohten auch ihre Lebensgrundlage. 2017 verbannte das Regime hunderte Teeverkäuferinnen von den Straßen. Sie wehrten sich und organisierten so lange Mahnwachen, bis der Bann wieder aufgehoben wurde. Diese Frauen, die auf den Straßen für ein paar Cents Tee verkaufen und von den Männern kaum beachten werden, wurden zum Vorbild für die Protestbewegung. So stand auch die Vereinigung der Tee- und Imbissverkäuferinnen von Karthum an der Spitze der Proteste. Frauen aller Regionen schlossen sich in einem Bündnis zusammen und fordern in einem Manifest, dass in einer Übergangsregierung die Hälfte der Posten von Frauen und Menschen aus den Regionen besetzt werden. Außerdem organisieren sie Sit-Ins, um gegen sexuelle Übergriffe zu protestieren – eine Methode, die auch in Ägypten eingesetzt wurde, um protestierende Frauen zum Schweigen zu bringen.

Auch wenn der verhasste Diktator weg ist, hat sich das System noch lange nicht verändert. Die Allianz aus Militärs und Islamisten, die im Land alles dominiert, kämpft mit allen Mitteln, um die Macht zu erhalten, und erhält dafür Millionenbeträge aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Emiraten. Obwohl die Frauen bei den Demonstrationen, die al-Bashir zu Fall brachten, in der Mehrheit waren, wurden ihre Forderungen nach einer 50-prozentigen Beteiligung an einer Übergangsregierung nicht erfüllt. Im kürzlich vereidigten Souveränen Rat sind nur zwei Frauen vertreten. Frauenrechtsaktivistinnen beklagen zudem, dass die politischen Parteien engstirnig seien und die Anliegen der Frauen nicht ansprechen. Trotz dieser Rückschläge werden die sudanesischen Frauen ihren Kampf fortsetzen, denn sie wissen, dass sie wenig zu verlieren aber viel zu gewinnen haben.


Quelle: Nisrin Elamin/Tahani Ismail: The many mothers of Sudan’s revolution. Al Jazeera 4.5.2019. Foto: Lana H. Haroun


veröffentlicht in Talktogether Nr. 69/2019

 

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