Gespräch mit Andreas Praher
Historiker, KZ-Verband / Verband der Antifaschisten und Antifaschistinnen
TT: Was ist der KZ-Verband, wann und von wem wurde er gegründet und was sind seine Ziele?
Andreas: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und nur wenige Tage nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft wurde der KZ-Verband als Opferverband ins Leben gerufen. Als SPÖ und ÖVP 1948 ihre jeweils eigenen Opferverbände gegründet haben, hat sich die Notwendigkeit für einen überparteilichen KZ-Verband ergeben. Dieser sollte nicht nur politische Häftlinge und Widerstandskämpfer, sondern sämtliche Opfergruppen des Nationalsozialismus vertreten.
TT: Heißt das, die Opferverbände der Parteien haben nur ihre eigenen Opfer vertreten?
Andreas: Ja, der Verband sozialistischer Widerstandskämpfer vertrat die sozialistischen Opfer und die ÖVP-Kameradschaft ihre Klientel. Die grundlegende Idee des KZ-Verbands war aber immer eine umfassende. Seit 2014 trägt der Salzburger KZ-Verband den Zusatz Verband der Antifaschisten und Antifaschistinnen. Als solcher hat sich der KZ-Verband zum Ziel gesetzt, antifaschistisches Handeln in Bezug auf die gegenwärtigen Herausforderungen weiterzuentwickeln.
TT: Wofür steht KZ? Kannst du das auch für Leute erklären, die darüber nicht so genau Bescheid wissen?
Andreas: Konzentrationslager sind im weitesten Sinne Arbeits- und Internierungslager. Mit dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze zur Rassendiskriminierung wurden aber nicht nur politische Gegner des Nationalsozialismus, sondern auch andere Bevölkerungsgruppen wie Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, Zeugen Jehovas und Homosexuelle in KZs inhaftiert und zur Arbeit gezwungen. In weiterer Folge wurden diese Menschen systematisch ermordet, wofür eigens Vernichtungslager wie Auschwitz-Birkenau eingerichtet wurden.
TT: Hat es auch schon vor der nationalsozialistischen Herrschaft Konzentrationslager gegeben?
Andreas: Es hat auch schon vor dem Nationalsozialismus Internierungs- und Arbeitslager gegeben, die dem System der NS-Konzentrationslager ähnlich waren, in denen politische Gegner interniert, zur Arbeit gezwungen und ermordet wurden. Diese haben sich aber insofern von den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten unterschieden, weil nicht die rassistische Absicht verfolgt wurde, bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Jüdinnen und Juden systematisch zu ermorden.
TT: Was war der Unterschied zwischen einem Herero, der in Namibia in einem Lager interniert war, und einem Juden in einem KZ der Nationalsozialisten?
Andreas: Die Menschen in Namibia leisteten Widerstand gegen das Kolonialregime und wurden verfolgt. Die europäischen Kolonialherren wollten die Herero unterwerfen und ihnen die Menschenwürde aberkennen. Die Verfolgung kam einem Genozid gleich. Die systematische Massenvernichtung und die Auslöschung bestimmter Bevölkerungsgruppen aus rassistischen Gründen, wie sie im Nationalsozialismus großflächig geplant und umgesetzt wurde, war aber nicht die grundlegende Idee eines Internierungslagers im Kolonialismus.
TT: Sind der Massenmord und die Erniedrigungen jemals verzeihbar? Sind Verständnis und Versöhnung zwischen Opfern und Tätern überhaupt möglich?
Andreas: Das ist natürlich ein schwieriger Prozess. Es gibt in Nachkriegsgesellschaften Projekte, in denen Opfer- und Tätergruppen einander begegnen, und wo versucht wird, einen Versöhnungsprozess einzuleiten. In Afrika passiert das zum Beispiel in Ruanda und Uganda, wo man Opfer und Täter zusammenbringt, sie erzählen und ihre Erfahrungen schildern lässt. Die Dimension der nationalsozialistischen Verbrechen hat alles bis dahin Vorstellbare gesprengt. In Österreich war die Situation zudem eine Besondere, weil sich Österreich als erstes Opfer des nationalsozialistischen Terrors deklariert hat. Da Österreich nach dem so genannten „Anschluss“ als Staat offiziell nicht mehr existent war, konnte sich die nach 1945 gegründete Zweite Republik diesen Opferstatus umhängen. Erst in den 1980er Jahren hat man im Zuge der Waldheim-Affäre begonnen, die gesellschaftliche Beteiligung an den Verbrechen wahrzunehmen. 1991 hat Bundeskanzler Vranitzky als erster offizieller Vertreter die von Österreichern begangenen NS-Verbrechen eingestanden und von einer Mitverantwortung gesprochen. Die historische Aufarbeitung hat also erst viel später begonnen als in Deutschland.
TT: Einerseits gab es viele Österreicher, die mitgemacht und sich an den Verbrechen beteiligt haben, anderseits gab es keinen österreichischen Staat, der verantwortlich gemacht werden konnte. Ist das nicht eine Gratwanderung?
Andreas: Es gibt einen Unterschied zwischen der offiziellen Sichtweise, die ein Staat oder eine Regierung hat, und der gesellschaftlichen Beteiligung und damit Verantwortung am Terrorregime des Nationalsozialismus. Wir wissen heute, dass der Nationalsozialismus von großen Teilen der Mehrheitsbevölkerung in Österreich begrüßt worden ist, und dass es schon lange vor 1938 einen Hinwendungsprozess zur NS-Ideologie in der österreichischen Gesellschaft gegeben hat. Der Antisemitismus war in der Ersten Republik und im Austrofaschismus weit verbreitet. Das ging hinein bis in Kulturorganisationen und Sportvereine wie dem Alpenverein oder dem Österreichischen Skiverband, die zum Teil als Vorfeldorganisationen für den Nationalsozialismus fungierten und enge Kontakte zur NS-Führung im Deutschen Reich pflegten. Es gab auch Österreicher, die vor 1938 ins Deutsche Reich flüchteten, um dort politisch aktiv zu werden und wirtschaftlich Fuß zu fassen. Nicht wenige waren zu diesem Zeitpunkt überzeugte Nationalsozialisten.
TT: Der Salzburger KZ-Verband organisiert jedes Jahr zum Nationalfeiertag eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus am Kommunalfriedhof. Warum sind Erinnerung und Gedenken wichtig? Sind die Menschen überhaupt bereit, aus der Geschichte zu lernen?
Andreas: Das ist eine zentrale Frage, die wir uns immer wieder stellen. Es ist wichtig, die Opfer nicht zu vergessen und gleichzeitig zu ermahnen, dass sich diese Verbrechen nicht mehr wiederholen dürfen. Dieser Aufgabe haben wir uns als KZ-Verband verpflichtet. Erinnern ist aber ein Prozess, der über mehrere Generationen geht. Eine Nachkriegsgeneration, die von den Folgen direkt betroffen ist, geht damit anders um als eine zweite oder dritte Generation. Erinnern ist auch ein schmerzhafter Prozess, der zu inneren Konflikten führen kann, da man oft in der Familie sowohl Opfer als auch Täter hat. Meine Großmutter ist in Rostow am Don geboren und wurde von Nationalsozialisten verschleppt. Sie kam als Zwangsarbeiterin in das heutige Österreich, wo sie als so genannte „Ostarbeiterin“ in der Landwirtschaft arbeiten musste und ausgebeutet wurde. Auf der anderen Seite gab es in meiner Familie auch Angehörige der deutschen Wehrmacht, die eine Mitverantwortung an den Verbrechen getragen haben. Gleichzeitig haben sich die überlebende Soldaten der Wehrmacht aber auch als Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungskriegs gesehen, wenn sie an der Ostfront unter extremen Bedingungen kämpfen mussten.
TT: Also ist die Trennungslinie zwischen Opfern und Tätern nicht immer leicht zu ziehen?
Andreas: Auf der einen Seite gibt es ganz eindeutig die Opfer, auf der anderen Seite die Täter, die zwar auch nicht frei von Zwängen waren, aber schon einen gewissen Handlungsspielraum hatten. Es gab zum Beispiel Deserteure, die sich dem Kriegsdienst verweigerten und deshalb verfolgt und oft auch hingerichtet wurden. Diese sind später als sogenannte „Vaterlandsverräter“ abgestempelt worden, und die Öffentlichkeit tut sich bis heute schwer, mit diesen Opfern umzugehen.
TT: Wir haben am Kommunalfriedhof auch Burschenschafter gesehen. Wie gehst du mit Menschen um, die ein so gegensätzliches Geschichtsbild haben?
Andreas: Das Problem sind vor allem rechte Burschenschaften, die den Holocaust und den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg relativieren und behaupten, das alles hätte es nie so gegeben. Gleichzeitig hegen sie antisemitische Verschwörungstheorien und sprechen von einer Islamisierung der Gesellschaft.
TT: Hast du versucht, mit diesen Leuten zu diskutieren?
Andreas: Ja, ich kenne Menschen, die Mitglied einer Burschenschaft sind, und ich habe probiert, mit ihnen zu diskutieren. Es ist jedoch ziemlich schwierig, mit ihnen auf einer sachlichen Ebene zu diskutieren. Ich habe sie beispielsweise gefragt, woher ihre Großmütter und Großväter waren und sie aufgefordert, die Migrationsgeschichte der eigenen Familie zu betrachten. Sie meinen, sie hätten als einzig wahre Österreicher dieses Land aufgebaut, und sprechen allen anderen, die aus anderen Ländern zugewandert sind, diesen Anspruch ab. Sie meinen, ein Österreicher, der hier geboren ist, sollte mehr Rechte haben, als einer, der zugewandert ist.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Österreich bis in die 1960er Jahre ein Land war, aus dem viele Menschen ausgewandert sind, aus wirtschaftlichen Gründen oder weil sie hier politisch verfolgt und diskriminiert worden sind. In den 1960er Jahren hat sich die Situation umgekehrt, als die heimische Wirtschaft sogenannte „Gastarbeiter“ angeworben hat. Diese Menschen sind auch nicht aus freien Stücken gekommen, sondern weil sie in ihren Herkunftsländern keine Perspektive gesehen haben. Hier haben sie einen Arbeitsplatz vorgefunden, weil die Republik Österreich diese Menschen gebraucht hat, um den Wohlstand aufzubauen, den wir heute haben. Was ich damit sagen will ist: Verdrängungsmechanismen funktionieren sehr gut, wenn es Seiten in der eigenen Geschichte gibt, die man gerne ausblenden will, weil sie nicht ins Konzept einer rechten, nationalistischen Politik passen.
TT: Was sind deiner Meinung nach die Gründe für das Erstarken rechter Tendenzen in Europa und anderswo?
Andreas: Das hat mit politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu tun. Österreich hat eine starke Sozialdemokratie gehabt, die Sozialreformen durchsetzen konnte, die einen sozialen Aufstieg ermöglichten, wodurch eine starke Mittelschicht entstanden ist. Heute ist es jedoch zunehmend schwieriger geworden, aus einer unteren, nicht privilegierten Gesellschaftsschicht aufzusteigen. Die Sozialdemokratie ist jedoch in den 1990er Jahren in eine Krise gerutscht und hat keine Antworten mehr auf die gesellschaftlichen Herausforderungen gefunden. Neoliberale und rechtspopulistische Parteien liefern Antworten, die natürlich verkürzt und verknappt sind und eine Gesellschaft nicht erklären können, aber einfach und für große Teile der Bevölkerung sehr eingängig sind. Dabei wird das Szenario einer Bedrohung geschaffen, die von außen kommt, von Migrant*innen und Flüchtlingen, die scheinbar nach Europa strömen. Wenn eine gewisse Perspektivenlosigkeit da ist und Menschen fürchten müssen, im nächsten Monat ihren Job zu verlieren und vor prekären Arbeitsverhältnissen zu stehen, entsteht Verunsicherung. Rechte Parteien nutzen diese Ängste aus und spielen mit ihnen, auch wenn sie wissen, dass Zuwanderung nötig ist, um das gesellschaftliche Gleichgewicht herzustellen wenn es beispielswiese darum geht, sinkende Geburtenraten auszugleichen. Wir können das in Deutschland beobachten, wo die AfD vor allem in ländlichen Regionen, die wirtschaftlich brach liegen, wo es keine Perspektiven gibt und die Bevölkerung abwandert, an Boden gewinnt.
TT: Warum braucht man Zuwanderung, wenn die Zugewanderten eine Konkurrenz am Arbeitsmarkt darstellen?
Andreas: Das Argument, dass es nicht genügend Arbeitsplätze gibt, stimmt einfach nicht. Es gibt aber immer weniger gesicherte Arbeitsverhältnisse und dafür immer mehr befristete Arbeitsverhältnisse. Das trifft zunehmend auch die Mittelschicht, die immer mehr wegzubrechen droht. Die Kluft zwischen arm und reich wird auch in Europa immer größer, und damit wird der Nährboden für rechtspopulistische Parteien bereitet, die mit ihren primitiven Argumenten versuchen, die Ängste auch noch zu schüren und ein Sündenbock-Szenario entwerfen. Es ist einfacher, soziale und wirtschaftliche Probleme auf Zuwanderungsraten zurückzuführen, als eine falsche Politik einzugestehen. Die Forschung liefert Erklärungen für gesellschaftliche Entwicklungen sowie Fehlentwicklungen und Missstände, diese Erklärungen kommen aber bei den Medien und der Politik meist nicht an.
TT: Kann uns die Demokratie in ihrer jetzigen Form überhaupt ausreichend vor einem Rechtsruck zu beschützen?
Andreas: Ich denke, dass die Demokratie die einzige politische Form ist, die uns davor beschützen kann, weil wir die Möglichkeit haben, zu wählen und unsere Meinung kundzutun.
TT: Aber was ist, wenn rechte Parteien in der EU immer mehr die Oberhand gewinnen? Dann bestimmen ja diese den Diskurs und die Politik.
Andreas: Wählen zu gehen ist nicht das Einzige, was einen demokratischen Bürger ausmacht. Ich denke, wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft. Wir dürfen die Verantwortung nicht immer nur an die Politik übertragen, sondern es sollte sich jeder selbst an der Nase nehmen und in den politischen Diskurs eingreifen. Das passiert meiner Meinung nach noch zu wenig. Da sind Organisationen wie der KZ-Verband aber auch Migrant*innenvereine gefordert, wir können aber auch als Individuum einen Beitrag leisten, indem wir mit Menschen sprechen und versuchen, rechte Argumente zu entkräften.
TT: Aber es gibt doch Menschen, die sich engagieren und ihre Stimme erheben, etwa bei den Donnerstagsdemos in Wien oder den Sonntagsdemos für eine menschlicheres Asylpolitik in Vorarlberg. Doch die Politik reagiert darauf nicht. Wartet man einfach, bis die Leute müde werden und aufhören?
Andreas: Ja, leider schlägt sich das nicht in den Wahlergebnissen nieder. Ich habe den Eindruck, dass sich große Teile der Bevölkerung mit gesellschaftspolitischen Themen gar nicht auseinandersetzen wollen. Es fehlt aber auch an Verständnis zum Beispiel für die Lage der Flüchtlinge. Zum Teil ist es auch eine Abwehrhaltung, weil Menschen unbewusst Angst davor haben, selbst einmal in so eine Situation kommen zu können.
TT: Wie sollte man mit Parteien umgehen, die teilweise eine Ideologie vertreten, die als rechtsextrem bezeichnet werden kann. Sollte es nicht eine Schranke geben?
Andreas: Hier fehlt leider der Schulterschluss bzw. ein Grundkonsens zwischen den linken und liberalen Parteien, nach welchen Werten sich eine demokratische Gesellschaft orientieren sollte. Die EU ist grundsätzlich ein gutes Beispiel für eine Wertegemeinschaft, die aber bröckelt.
TT: Aber welche Werte sind das? Gemeinschaft bedeutet ja, dass man sich gegenseitig hilft. Aber ist es nicht vielmehr so, dass die Mächtigen ihre Interessen durchsetzen?
Andreas: Im Grunde geht es um das Interesse der Wirtschaft, insbesondere der Großkonzerne. Wir können ja weltweit verfolgen, von wem die rechtskonservativen und populistischen Parteien unterstützt werden. Leider haben sich Europas Sozialdemokraten ebenso in den neoliberalen Diskurs verstrickt und sind nicht in der Lage, Antworten auf gesellschaftliche Probleme anzubieten, für die sie mitverantwortlich sind. Die Sozialdemokratie muss sich erst wieder neu erfinden und neu definieren, vor diesem Problem steht auch die SPÖ in Österreich.
TT: Hat der heutige Antisemitismus auch etwas mit der israelischen Politik zu tun?
Andreas: Der Antisemitismus reicht in Europa bis in das Mittelalter zurück und hat bis in die Gegenwart überlebt. Die Vorurteile sind in den Köpfen nicht ausgestorben und werden heute wieder durch Bewegungen am rechten Rand der Gesellschaft genährt. Die Abwehrhaltung richtet sich aber nicht nur gegen jüdische sondern auch gegen muslimische Menschen. Der Antiislamismus ist ja nicht erst durch die Zuwanderung aus islamischen Ländern im 20. Jahrhundert entstanden, sondern reicht in der europäischen Geschichte ja auch schon bis ins Mittelalter zurück, man denke nur an die Kreuzzüge, an die Vertreibung der Mauren in Spanien oder an die Verdrängung der osmanischen Kultur. Es handelt sich also um Vorurteile, die Jahrhunderte überlebt haben, und in Krisen wieder hervorgeholt und geschürt werden, wenn auch in anderer Form. Das hängt meiner Meinung nach auch mit der Geschichte des Nationalismus und des nationalen Denkens zusammen, welche sich in Europa im 19. Jahrhundert im Zuge der Entstehung der Nationalstaaten entwickelt haben. Heute, über 80 Jahre nach Faschismus und Nationalsozialismus, werden diese Denkweisen wieder an die Oberfläche geholt. Kritik an der israelischen Politik im Nahen Osten ist meiner Meinung nach berechtigt, denn dabei handelt es sich sicher nicht um eine Friedenspolitik. Das Problem mit der Kritik an Israel ist jedoch, dass sie schnell in Antisemitismus umschlagen kann bzw. oft auch antisemitisch motiviert ist.
TT: Und wenn nun FPÖ-Mitglieder nach Israel fahren und sich mit Netanjahu treffen, ist das Bindeglied der gemeinsame Hass auf die islamische Welt?
Andreas: Ja, sie verstehen sich, weil sie dort auch auf Nationalisten treffen. Die Rechtspopulisten vertreten eine komplett widersprüchliche Politik, die sie jedoch trotzdem immer wieder verkaufen können – auch in Israel. Die FPÖ unter Strache war darauf bedacht, das antisemitische Image loszuwerden und gab sich plötzlich proisraelisch. Die „Liederbuchaffären“ sprechen jedoch eine andere Sprache.
TT: Heute gibt es viele Möglichkeiten, sich zu informieren. Warum erkennen die Menschen diese Widersprüche nicht?
Andreas: Wir leben in einer globalisierten Welt, in der wir ständig mit einer Fülle an Nachrichten konfrontiert sind. Aber sind wir wirklich informiert? Die Konflikte auf der Welt, wie wir sie heute vorfinden, sind oft sehr komplex, widersprüchlich und nicht einfach zu verstehen. Weil vielen die Bereitschaft fehlt, sich mit den Wurzeln der Konflikte auseinanderzusetzen, nehmen sie gerne die einfachen Lösungen an, die ihnen von politischen Parteien und Medien auf dem Tablett serviert werden. Die Diskussionen sind aber meist sehr oberflächlich. Außerdem stellt sich die Frage, von wem diese Informationen gesteuert und welche Themen und Meinungen verbreitet werden und welche nicht. Aber es da gibt nicht nur eine Bringschuld, sondern auch eine Holschuld. Ich muss mich fragen: Welche Informationen hole ich mir? Bin ich bereit, auch andere Perspektiven wahrzunehmen und die in der Öffentlichkeit transportierten Meinungen kritisch zu hinterfragen?
eröffentlicht in Talktogether Nr. 70/2019
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