Krieg und Frieden. Traum und Realität PDF Drucken E-Mail

Krieg und Frieden - Traum und Realität

von Herbert Hopfgartner

Einige Staatsmänner spielen mit dem Feuer. Beinahe täglich drohen sie einander mit dem Einsatz atomarer Waffensysteme – die übrige Welt, nebenbei die einzige, auf der wir alle leben, hält den Atem an, versteckt sich oder weiß nicht, wie sie reagieren soll. Eines scheint sicher: Kriegerische Auseinandersetzungen werden mit Sicherheit katastrophale Folgen nach sich ziehen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Frieden zwar immer ein Wunsch­gedanke großer Politik war, die Realität offenbarte aber erfahrungsgemäß ein anderes Gesicht.

Krieg als ein politisches Mittel

Ein Spruch überdauert als Menetekel schon zahlreiche Jahrhunderte; er hat viele Regierungen, Machthaber, Kaiser und Könige, Diktatoren und Tyrannen überlebt: „Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.“ Der antike Autor Publius Flavius Vegetius Renatur prägte diese Sentenz im 4. Jahrhundert – und sollte für eine lange Zeit Recht behalten.

Seit dem Westfälischen Frieden (1648) agieren souveräne Nationalstaaten als Entscheidungs­träger über Krieg und Frieden: Das Prinzip „Ius ad bellum“ („Recht zum Krieg“) wurde erstmals als politisches Mittel eines Landes verstanden und moralisch akzeptiert. Nach den napoleonischen Feldzügen und den damit einhergehenden verheerenden Schlachten war es 1815 der Wiener Kongress, der Europa wieder ordnete bzw. für eine längere Zeit befriedete. Auf Wien, Wein und den Walzer konnte man sich also verlassen.

Wahrscheinlich glaubten die Großmächte im Sommer 1914 nach dem Attentat in Sarajewo lediglich an ein kurzzeitiges Scharmützel zwischen Österreich-Ungarn und dem erstarkten Serbien, möglicherweise durchschauten einige Länder aber auch die geheimen Beistands­verträge und Bündnis-Strategien der späteren Kriegsparteien nicht zur Gänze: Die Wirkung war fatal – ein noch nie da gewesener Krieg war die Folge.

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg?

Die Vorzeichen für die im Januar 1919 in und um Paris beginnenden Friedensverhandlungen waren denkbar ungünstig: Der gerade zu Ende gegangene Weltkrieg forderte allein in Europa über zehn Millionen Menschenleben, der Kontinent blutete noch immer, der Hass der einzelnen Völker aufeinander saß tiefer als in den Jahren zuvor. Dauerhafte und gerechte Lösungen hatte der Krieg nicht gebracht, im Gegenteil: Frische ethnisch bedingte Konflikt­herde taten sich auf – allein auf dem Territorium des russischen und österreichisch-ungarischen Reiches entstanden zahlreiche neue Staaten: Mit dem russischen Bürgerkrieg sowie der Niederlage des Osmanischen Reiches musste auch der Balkan bzw. der Nahe Osten neu geordnet werden.

Noch dazu regte sich in vielen Ländern Europas Widerstand gegen die Kontrakte, in Deutschland einte der Kampf gegen die Versailler Verträge sogar die politisch verfeindeten Gruppen. Bei vielen Deutschen setzte sich der Gedanke durch, es „beim nächsten Mal“, gemeint war ein künftiger Krieg (!), besser zu machen. Auch in Österreich herrschte ob der großen territorialen Verluste eine schwere nationale Identitäts­krise.

Die Suche nach dem Frieden

Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson verfolgte schon 1918 ein „Selbst­bestimmungs­recht der Völker“ und die Gründung eines „Völkerbundes“ als Zielvorstellungen für ein friedliches Europa. Demokratische Länder und freie Bürger sollten – so seine Auffassung – eine dauerhafte Aussöhnung und eine friedliche Koexistenz der Völker garantieren. Er verließ sich in seiner Politik auf die pazifistischen Ideen des Historikers und Friedensforschers James T. Shotwell (Nomen non est omen!).

Der französische Außenminister Aristide Briand interpretierte den amerikanischen Entwurf in ein bilaterales Abkommen zwischen Frankreich und der USA um – vermutlich wollte er gegenüber seinen alemannischen Nachbarn ein strategisches Gegengewicht installieren. Nachdem sich die USA bzw. der amerikanische Außenminister Frank B. Kellogg aber nicht von einem europäischen Land instrumentalisieren lassen wollten, schickte Kellogg seinen umfassenden Plan gleichzeitig den Staaten des Völkerbundrates (England, Italien, Japan und Deutschland), wobei Deutschland den Plan sofort und so wie er war, akzeptierte.

Obwohl Gustav Stresemann Tage zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte, reiste er (als erster deutscher Außenminister nach 1867) 1928 nach Paris, wo ihn die Bevölkerung größtenteils frenetisch begrüßte. Briand eröffnete die Konferenz mit zuversichtlichen Worten: „Zum ersten Mal stehen die Großmächte (…) vor aller Welt dafür ein, den Krieg als Werkzeug nationaler Politik vorbehaltlos zu ächten. (…) Von seinem Joch befreit, werden die Völker (…) bald an die Idee gewöhnt sein, dass nationales Ansehen und nationales Interesse nicht mehr länger mit der Gewalt verbunden sind.“ Und weiter: „Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, dass sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.“

15 Staaten unterzeichneten das Schriftstück sofort: Amerika, Frankreich, Deutschland, England, Italien, Japan, Belgien, Polen, Tschechoslowakei, Irland, Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika und Indien. Während der sowjet­russische Außenminister Maxim Litwinow im Februar 1929 mit dem Ostpakt, einer vorzeitigen Ratifizierung des Vertrages, einen großen diplomatischen Erfolg erreichte, folgten weitere 30 Länder bis zum 24. Juli 1929, dem Tag des Inkrafttretens des Paktes – letztendlich unterzeichneten sogar 62 Nationen das Übereinkommen.

Die Zuversicht war groß. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte wurde der Krieg von vielen Staaten geächtet, noch dazu avancierten drei Friedensnobelpreisträger (Briand, Kellogg und Stresemann) zu den Hauptakteuren – indessen, der Schein trog. Wie bei vielen Vertragsunterzeichnungen war der Text eher allgemein formuliert, eine „Weltinstanz“ als Ordnungshüter, die etwaige Sanktionen hätte beschließen können, fehlte. Zudem verurteilte der Kriegsächtungspakt in erster Linie Angriffskriege, während ein Verteidigungsschlag weiterhin akzeptiert wurde.

So darf es nicht wundern, dass Adolf Hitler am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg mit der Erklärung, dass „seit 05 Uhr 45 zurückgeschossen werde“ begann.

„And now – the end is near?“

Die UNO hat den Völkerbund längst abgelöst. Mit „großer Sorge“, bisweilen auch „mit sehr großen Sorgen“ kommentiert der jeweilig amtierende UN-Generalsekretär eine militärische Auseinander­setzung. Man ruft umgehend den Sicherheitsrat ein, nach eingehenden Beratungen ruft man die Konflikt­parteien eindringlich zur Mäßigung auf.

Und …? Zum Glück gibt es keine Globalpolizei bzw. Weltarmee, vor der sich nicht nur wild gewordene Aggressoren, sondern auch alle Erdbewohner*innen fürchten müssen. Der Versuch miteinander zu reden sowie die Schaffung von unabhängigen Institutionen (wie z.B. der Internationale Gerichtshof für Kriegsverbrechen in Den Haag) sind respektive bleiben die im Moment wohl gerechtesten Maßnahmen. Übrigens: Der Briand-Kellogg-Pakt ist völker­rechtlich noch immer in Kraft, er ist in die Charta der Vereinten Nationen aufgenommen – und wartet seit 90 Jahren darauf, ernst genommen zu werden. Heute scheint es ein eindringlicher Wunsch der Weltgemeinschaft zu sein, dass einige Staatenlenker nicht beab­sichtigen, als die letzten großen Kriegsherren in die Geschichte einzugehen.

 


veröffentlicht in Talktogether Nr. 72/2020

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