Interview mit Kwambo über Rassismus und Kolonialismus PDF Drucken E-Mail

Interview mit Kwambo

„Mein Großvater war Opfer des Kolonialismus, das heißt aber nicht,
dass ich ewig ein Opfer bleiben muss.“

TT: Der Tod von George Floyd hat nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt Proteste ausgelöst. Auch in Salzburg sind Tausende gegen Rassismus auf die Straße gegangen. Hat dich das überrascht?

Kwambo: Ja, doch allgemein habe ich das Gefühl, dass wir uns in einer Zeit des Aufbruchs befinden, in einer Zeit, in der sich die Welt verändert. Das hat auch mit der politischen Zuspitzung zu tun, die meiner Meinung nach seit dem Amtsantritt von Donald Trump zugenommen hat. Dagegen regt sich Widerstand. In der Gesellschaft ist eine Spaltung zu beobachten, eine Spaltung zwischen Rassisten und Nicht-Rassisten. Es ist nicht der erste Fall von Polizeibrutalität in den USA, aber die Menschen sind nicht mehr bereit, sich das gefallen zu lassen oder unbeteiligt zu bleiben. Dass ein wehrloser Mann zu Tode gequält wurde, ist für viele Menschen einfach unerträglich.

Auf der einen Seite ist es traurig, dass ein Mensch auf so grausame Weise sterben muss, damit die Menschen aufwachen und beginnen, sich zu wehren. Andrerseits tut es gut zu sehen, dass die Gleichgültigkeit der Mehrheitsbevölkerung abgenommen hat. Würden nur Schwarze auf die Straße gehen, wären die Demos nicht so groß. Es zeigt, dass es nicht um die Hautfarbe geht, sondern um die persönliche Einstellung. Ich hätte nicht erwartet, dass selbst in europäischen Ländern, wo es sehr konservative Regierungen gibt, so viele Menschen auf die Straße gegangen sind, zum Beispiel in Polen. Das zweite interessante Phänomen ist, dass schwarze Menschen, die seit Ewigkeiten in arabischen Ländern oder in der Türkei leben und dort bisher kaum in die Öffentlichkeit getreten sind, das Thema aufgegriffen und ihre Stimme erhoben haben.

Als ich das Video das erste Mal gesehen habe, habe ich mich gefragt, warum sich der Mann nicht gewehrt hat. Dann ist mir aber eingefallen, was Gandhi oder Martin Luther King gesagt haben. Diese beiden Männer sind Symbole für den gewaltlosen Widerstand. Malcolm X dagegen hat gesagt, wenn du mich schlägst, schlage ich zurück, und ich denke, wir brauchen beide Seiten. Wenn George Floyd sich aber verteidigt hätte, hätte er den Polizisten den Vorwand geliefert, dass er gewalttätig sei, und sie hätten ihre Tat damit rechtfertigen können. Ich bin zwar nicht dafür, die andere Backe hinzuhalten, wenn ich geschlagen werde, sehe aber, dass mit Gewaltlosigkeit oft mehr erreicht werden kann, wobei ich dazu sagen muss, dass es von der Situation abhängt.

TT: Im Zuge der Proteste sind auch Statuen von Sklavenhändlern und Kolonialisten gestürzt worden. Auch bei uns gibt es Diskussionen über rassistische Symbole, zum Beispiel über das Emblem des Vorarlberger Mohrenbräus. Wie denkst du darüber?

Kwambo: Ich verstehe nicht, warum eine demokratische und hochentwickelte Gesellschaft noch immer auf solche Stereotypen zurückgreift. Eine umgeworfene oder abmontierte Statue bringt uns weder die geraubte Würde zurück noch die Menschen, die versklavt, denen die Hände abgehackt und die getötet wurden. Es geht aber darum, dass die europäischen Gesellschaften zugeben, dass sie diese Verbrechen begangen haben, dass es ungerecht war, dass der belgische König sich zum Eigentümer des Kongos gemacht und die Menschen dort auf so grausame Weise ausgebeutet hat. Wenn seine Statue heute immer noch dasteht, bedeutet das etwa, dass die europäische Gesellschaft darauf stolz ist? Diese Statue zu schützen, hieße ja, die Verbrechen von damals gutzuheißen. Ich behaupte sogar, wer diese Statuen verteidigt, würde auch heute noch Menschen versklaven und verkaufen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Ein Journalist hat vorgeschlagen, die Statuen dieser Männer nicht zu entfernen, weil man sich an die Geschichte erinnern soll, aber dass stattdessen die Bilder ihrer Opfer und eine Tafel mit Informationen über deren Taten anzubringen. Dann können sich die Menschen selbst ein Bild über diese Personen machen. Zusammengefasst: Was die Europäer den Afrikaner*innen angetan haben, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, aber man muss darüber reden. Das gilt für alle unterdrückten und beraubten Völker.

Was das Mohrenbräu betrifft, verstehe ich nicht, warum man so ein Logo verteidigen sollte. Der Gründer der Brauerei hieß Mohr, darum trägt die Firma seinen Namen, das wäre kein Problem. Aber die Frage ist, wie hat Herr Mohr ausgesehen? Ich vermute, nicht so wie auf diesem Bild. Die Firma hat nun das Logo geändert, und das zeigt, dass man Einsicht etwas kann, wenn man mit den Leuten in den Dialog tritt.

TT: Auch in Salzburg gibt es stereotype Darstellungen, auf denen schwarze Menschen als Diener dargestellt werden. Was sollte damit geschehen?

Kwambo: Ob es sich um Rassismus handelt, wissen wir erst, wenn wir mit den betreffenden Lokalbesitzern gesprochen haben und deren Reaktion kennen. Vielleicht haben sie das Lokal übernommen und sich über das Schild gar keine Gedanken gemacht, wie die Kellnerin, mit der ich gesprochen habe. Aber man muss diese Darstellungen thematisieren und darüber sprechen.

TT: Was denkst du über Leute, die meinen, „das ist unsere Kultur“, oder, „wir meinen das eh nicht so“?

Kwambo: Welchen Normen der österreichischen oder europäischen Gesellschaft entspricht es, jemanden „Neger“ zu nennen? Gehört der Rassismus zur österreichischen Kultur? Wenn jemand seinen Rassismus zugibt, kann ich damit umgehen. Aber wenn dich jemand „Neger“ nennt und dann sagt: „Das habe ich nicht so gemeint“, frage ich mich: Wenn er mich nicht beleidigen wollte, warum hat er das Wort verwendet?

Bewaffnete Männer aus Europa und Arabien haben die Menschen in Afrika überfallen, verschleppt, versklavt und ihnen die Menschenwürde weggenommen. Hätten sich die Afrikaner ihnen die Waffen und Schiffe wegnehmen und sie vor die Wahl stellen können, entweder zurückzukehren oder um Asyl anzusuchen, hätte man das Wort „Neger“ nicht erfunden. Weil sie aber nicht darauf vorbereitet waren und sich nicht wehren konnten, wurden die Völker Afrikas, Amerikas und Asiens besiegt. Auf dieser Gewalt beruhen die Privilegien der Europäer und die Diskriminierung, unter der diese Völker bis heute leiden.

TT: Was ist deiner Meinung die Ursache von Rassismus?

Kwambo: Ich glaube nicht, dass die schwarze Hautfarbe immer schon negativ behaftet war. Diese Abwertung wurde als Rechtfertigung für Kolonialismus und Sklaverei hinzugefügt. Heute kann man das nicht mehr trennen. Meiner Meinung nach entsteht rassistische Verachtung durch die Ungleichheit von Macht und Vermögen. Rassismus ist ein Instrument der Spaltung, und die Hautfarbe ist nicht das einzige Kriterium, durch das du Vor- oder Nachteile hast, es kommt auch auf den Besitz oder den Pass an. Ein Deutscher kann in Österreich leichter leben und arbeiten als beispielweise ein Serbe, der viele Dokumente vorweisen muss. Wenn ein schwarzer US-Star nach Österreich, wird er mit einer Limousine vom Flughafen abgeholt, während man auf schwarze Menschen herabsieht und sie diskriminiert.

TT: Womit ist ein Mensch mit dunkler Hautfarbe in Österreich konfrontiert?

Kwambo: Es genügt, wenn eine Person sagt, es ist ein schwarzer Tag, oder ich sehe schwarz. Wenn der Person dann auffällt, dass du da bist, bekommt sie einen Schreck. Ist das rassistisch oder eine Gemeinheit? Wenn jemand „Neger“ sagt, wird es deutlicher. Es ist eine Gratwanderung zwischen den Gewohnheiten einer Gesellschaft und der Gemeinheit einer bestimmten Gruppe. Ob es bösartig gemeint ist oder nicht, kann man oft nur am Tonfall auseinanderhalten. Diese Begriffe sind jedoch wie eine Nadel, die immer wieder in eine noch nicht verheilte Wunde gestochen wird. Trotzdem wundern sich die Leute, wenn wir darauf reagieren. Was würden sie sagen, wenn ich sie als Kinder von Rassisten und Vergewaltigern bezeichne würde?

TT: Wie reagierst du auf solche Beleidigungen?

Kwambo: Unterschiedlich. Manchmal ignoriere ich es. Meistens versuche ich, mich nicht aufzuregen, sondern mit einer passenden Bemerkung zu reagieren, um die Leute zum Nachdenken zu bringen. Wenn jemand mich mit einem Affen vergleicht, vergleiche ich ihn mit einem Schwein. Einmal hat mich einer „Bananenfresser“ genannt, da habe ich ihn „Kartoffelfresser“ genannt. Das hat er nicht erwartet, und er hat ein rotes Gesicht bekommen. Als ich einmal Wahlbeisitzer gearbeitet habe, ist eine Frau gekommen. Als sie mich gesehen hat, hat sie gesagt: „Schau, ein Neger!“ Nachdem ich festgestellt hatte, dass sie im falschen Lokal war, habe ich zu ihr gesagt: „Kommen Sie, der Neger zeigt Ihnen, wo ihr Wahllokal ist.“ An ihrem Gesichtsausdruck habe ich gemerkt, dass ihr bewusst geworden ist, wie unpassend ihre Aussage war. Solange ich die Möglichkeit habe, darauf zu reagieren, kann ich aber damit umgehen. Früher sagten die Leute über uns, was sie wollten, nun sind wir anwesend, aber man ignoriert uns, um die Vorurteile zu behalten. Was man mir als Kind über die Europäer gesagt hat, hat sich nicht alles bestätigt.

TT: Ist Rassismus vor allem ein Problem der Europäer?

Kwambo: Nein, das würde ich nicht sagen. Rassismus beschränkt sich nicht auf Europa oder auf weiße Menschen, sondern er ist ein weltweites Phänomen. Man redet meistens über den Rassismus der, aber auch die Araber, die Perser, die Türken haben schwarze Menschen versklavt und verkauft, sie haben die gleichen Verbrechen begangen wie die Europäer. Während in Europa oder Amerika über die Vergangenheit geredet werden kann und sich viele Menschen Gedanken über den Rassismus machen, findet diese Debatte in vielen arabischen Ländern gar nicht statt. Wenn dort jemand ein Bild des Sklavenhändlers Siad Barqash oder Tippu-Tipp niederreißen würde, würde er vielleicht sogar getötet. „Black Lives Matter“ kann ich mir beispielweise in Saudi-Arabien oder Dubai nicht vorstellen.

TT: Nicht nur Schwarze, sondern auch Indigene, Roma und Sinti, aber auch Juden und Muslime sind von Rassismus betroffen. Handelt es sich dabei um dieselbe Unterdrückung?

Kwambo: Ich denke, es gibt schon einen Unterschied, ob jemand aufgrund seines Aussehens und der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe diskriminiert wird oder wegen der Religion. Es gibt in christlichen, muslimischen und jüdischen Gesellschaften Rassismus. Die Religionen schützen nämlich vor Rassismus nicht. Sie verbieten z.B. Schweinefleisch zu essen, aber es gibt keine eindeutige Verurteilung der Sklaverei. Das heißt, jemand kann gleichzeitig Opfer- und Täter sein. Für mich gibt es im Grunde nur zwei Gruppen, die Befürworter und die Gegner des Rassismus, und die kann man auf der ganzen Welt finden. Es ist wichtig, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer religiösen Überzeugung und ihrer ethnischen Zugehörigkeit gemeinsam gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung aufstehen. Durch „Black Lives Matter“ ist etwas in Bewegung geraten, und auch andere benachteiligte und diskriminierte Gruppen – etwa Kurden, Indigene oder Dalits in Indien – haben das Thema aufgegriffen und sich den Protesten angeschlossen.

TT: In den USA hat der Fall von Amie Cooper die Diskussion über „weiße Privilegien“ angefeuert. Die Frau hat die Polizei angerufen und fälschlicherweise behauptet, dass er ein schwarzer Mann sie angreift, und ist davon ausgegangen, dass man ihr glaubt, nur weil sie weiß ist. Welche Verantwortung tragen weiße Menschen?

Kwambo: Diese Frau ist für ihre Gemeinheit bekannt geworden. Aber es wäre falsch und ungerecht, alle weißen Menschen in einen Topf zu werfen. Wenn wir das tun, ignorieren wir all die solidarischen Menschen, die weltweit auf die Straßen gehen. Wir brauchen eine gemeinsame Bewegung, die Widerstand leistet, denn Rassismus wurde von den Menschen gemacht und kann nur durch die Menschen beendet werden. Wenn die Europäer die Ungerechtigkeit der Vergangenheit beenden wollen, haben sie die Gelegenheit, das Wissen und die Mittel dazu. Der erste Schritt ist, die Verbrechen der Vergangenheit zuzugeben und nicht länger unter den Teppich zu kehren. Die Europäer haben Afrika und andere Kontinente ausgeplündert und die einheimischen Sprachen und Kulturen vernichtet. Die Vergangenheit ist vorbei, aber die Wunden sind noch frisch. Sie können nur heilen, wenn die Täter ihre Verbrechen eingestehen und Gespräche auf Augenhöhe stattfinden. Durch Verleugnung werden Rachegefühle erzeugt, aber Rache bringt uns noch weiter auseinander.

TT: Was erwartest du von den Ländern, die durch den Kolonialismus profitiert haben?

Kwambo: Als Afrikaner erwarte ich von den Industrieländern, ist, dass sie die systematische Ausbeutung beenden. Sie müssen anerkennen, dass die europäische Industrie die afrikanischen Rohstoffe braucht. Politiker zu bestechen und Waffenlieferungen sind weder eine Lösung für die Probleme der Vergangenheit noch für die aktuellen und zukünftigen Probleme. Daher müssen Wege gefunden werden, wie wir gemeinsam davon profitieren. Sie müssen aufhören, zu erwarten, dass schwarze Menschen als Diener, Flüchtlinge, oder Almosenempfänger den Mund halten. Meine Kritik richtet sich nicht nur an die Europä*rinnen, sondern auch an die Afrikaner*innen, die endlich aus ihrer Opferrolle herauskommen, als Partner auftreten und ihren fairen Anteil verlangen müssen. Mein Großvater war Opfer des Kolonialismus, das heißt aber nicht, dass ich ewig ein Opfer bleiben muss. Dasselbe gilt natürlich für alle anderen unterdrückten und beraubten Völker der Welt.

veröffentlicht in Talktogether Nr. 73 / 2020