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Gespräch mit Mireille Ngosso

Ärztin und stellvertretende Bezirksvorsteherin
des ersten Wiener Gemeindebezirks


Foto: (c) Stefanie Waldegge
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TT: Wie definierst du Rassismus? Was ist der Unterschied zwischen bewussten und unbewussten Rassismus?

Mireille: Rassismus umfasst für mich eine Ideologie, die sich über viele Jahrhunderte in unserer Gesellschaft verankert hat, und die sich heute in der Praxis des Alltagsrassismus widerspiegelt und People of Colour überall auf der Welt trifft. Die Ideologie basiert auf einer sozialen Konstruktion, die Menschen auf ihre Abstammung und Herkunft reduziert, dadurch werden kollektive Merkmale Menschen zugeschrieben, unabhängig von ihren individuellen Eigenschaften, die oft abwertend oder einengend wirken. Als Individuum kann man nur schwer aus diesen Klischees ausbrechen, was das Leben für People of Colour oft sehr schwer macht.

Diese Ideologie kann natürlich bewusst existieren und gewalttätige Formen annehmen. Gewalttaten, die auf rassistischen Motiven beruhen, sehen wir ständig überall auf der Welt. In der Black Lives Matter-Bewegung wird aber auch der unbewusste Rassismus thematisiert, den sich die weiße Mehrheitsgesellschaft oft nicht eingestehen will, und der den Boden schafft für den Alltagsrassismus. Und erst wenn auch die unbewussten Rassismen in einer Gesellschaft reflektiert werden, erst dann kann sich etwas verändern.

TT: Wegen deiner Hautfarbe bist du oft rassistischen Angriffen ausgesetzt. Wie wehrst du dich? Wie findest du die Kraft, trotzdem weiter zu machen?

Mireille: Ja das stimmt. Ich denke, als Schwarze Person, die in der Öffentlichkeit steht, kann man rassistischen Angriffen heutzutage leider nicht entkommen. Aber was wir tun können, ist darüber reden, es öffentlich machen und vor allem auch anzeigen, bei Zara. oder der Dokustelle. Kraft finde ich bei Menschen, die mich unterstützen. Gleichzeitig versuche ich, mich von diesen Erlebnissen, so gut es geht, abzugrenzen. Seitdem wir öffentlich über unsere Erfahrungen reden können und sie ernst genommen werden, merke ich, dass sich auch in mir einiges verändert.

TT: Bekommst du auch Rückhalt und Unterstützung, von wem?

Mireille: Von meinen Freunden, meiner Familie aber auch von vielen anderen Leuten, die in der Öffentlichkeit stehen, seien das jetzt andere Politiker*innen oder Aktivist*innen. Oft habe ich das Gefühl, wir sind eine große vielfältige Bewegung, in der wir uns gegenseitig solidarisch unterstützen.

TT: Wie rassistisch ist, deiner Erfahrung nach, die österreichische Gesellschaft?

Mireille: Hmm, schwer zu sagen. Einerseits gibt es halt nicht die typische, grauenhafte Kolonialgeschichte, wie zum Beispiel die von Frankreich, Deutschland oder England. Andererseits ist genau das auch gefährlich. Denn natürlich hat Österreich von den europäischen Kolonialstrukturen profitiert. Es wurden Sklav*innen nach Österreich gehandelt, und auch der Raub der Rohstoffe aus den Ländern des globalen Südens hat Österreich wirtschaftlich sehr geholfen und tut es noch heute. Dadurch, dass in Wien schon lange Gastarbeiter*innen leben, gibt es eigentlich einen gewissen multikulturellen Hintergrund, dennoch ist die Feindseligkeit gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund enorm, was ich nicht ganz verstehen kann. Aber es ist so, was wir ja auch an den regelmäßigen Wahlerfolgen der FPÖ sehen.

TT: Wie schwer ist es, sich als schwarze Frau in der österreichischen Politik behaupten?

Mireille: Ich würde sagen, schwer. Weil genau die rassistischen Vorurteile und Reduzierungen natürlich auch in der Politik vorhanden sind. Natürlich kommen hier auch oft die verschiedenen Diskriminierungsebenen zusammen, oft weiß ich nicht, ob ich jetzt herablassend sexistisch oder rassistisch behandelt oder nicht ernst genommen werde.

TT: Manche Politiker fordern Integration und Anpassung. Inwieweit ist die österreichische Gesellschaft deiner Meinung nach dazu bereit, neu gekommene Menschen zu „integrieren“?

Mireille: Leider kann ich das Wort Integration nicht mehr hören. Weil genau das ist es. Es geht für mich nicht um Anpassung. Denn auch die Migrationsforschung zeigt uns, dass es auf lange Sicht keinen Sinn macht, wenn man Menschen ihre Identität nimmt und sie zur Assimilation treibt. Denn Sprache, aber auch verschiedene religiöse Rituale oder sonstige Gewohnheiten machen uns als Menschen aus und sind Teil unserer Identität. Für mich geht es um Inklusion. Ein offener interkultureller Zugang, bei dem wir uns als Gesellschaft gegenseitig bereichern können, wäre für mich der richtige Weg.

TT: Was würdest du jungen Menschen empfehlen, die sich aktiv in der österreichischen Gesellschaft und Politik engagieren wollen, und die heute in einer ähnlichen Situation sind wie du früher?

Mireille: Durchhalten, weiterkämpfen, sich nicht klein machen lassen, es lohnt sich. In meinen Dreißigern hatte ich sehr zu kämpfen, aber oft, wenn wir nur lange genug suchen, finden wir unseren Platz in der Gesellschaft. Sucht euch Vereine, Vernetzungsräume und Communities, stärkt euch gegenseitig und tauscht euch aus. Oft seid ihr nicht alleine mit euren Problemen, das System bringt uns alle öfter in sehr schwierige Lagen, da ist das Wichtigste, dass wir zusammenhalten und uns gegenseitig stärken. Niemals gegeneinander arbeiten, sondern immer miteinander, das ist das Motto.

TT: Du hast in Wien die „Black Lives Matter“ Demos mitorganisiert. Wie sollte man deiner Meinung nach vorgehen, um mehr Menschen für Rassismus und rassistische Symbole zu sensibilisieren?

Mireille: Veranstaltungen organisieren, eh wie ihr auch, Artikel schreiben, ganz einfach sichtbar werden. Wichtig ist, dass wir über unsere Erfahrungen sprechen, und dass wir nie wieder damit aufhören und aktiv bleiben.

TT: Du hast deine Stimme für geflüchtete Menschen und gegen die unmenschlichen Zustände an den EU-Außengrenzen erhoben. Wie finden deine Parteigenoss*innen dein Engagement?

Mireille: Ich denke, die SPÖ ist sehr vielfältig, so wie alle großen Parteien. Die Grundsätze der Sozialdemokratie sind die, nach denen ich meine politische Arbeit gestalte, und da ist Solidarität mit flüchtenden Menschen selbstverständlich. Es stimmt, es haben nicht alle Genoss*innen den gleichen Ansatz wie ich, aber doch sehr, sehr viele, also ich bin mit meinem Engagement für Geflüchtete auf keinen Fall alleine.

TT: Die Grünen haben die Juristin Alma Zadic zur Justizministerin ernannt. Denkst du, dass deine Partei den Mut dazu hätte, dich zur Gesundheitsministerin zu ernennen?

Mireille: Puh, noch eine heikle Frage zum Schluss, oder? Ja, mal schauen, dafür müsste ich es auf jeden Fall mal wieder schaffen, öffentlich als Medizinerin und Gesundheitsexpertin wahrgenommen zu werden, was mir auch einfach das wichtigste Thema ist und wofür ich in die Politik gegangen bin, weil in diesem Bereich kenn ich mich am besten aus. Aber derzeit haftet noch das Thema „Black Lives Matter“ an mir, was ich eigentlich eher als Aktivistin und Privatperson machen wollte. Aber ganz abgesehen davon, muss ich es jetzt erst einmal schaffen in den Gemeinderat zu kommen, das wird schon schwer genug, und dann mal schauen, wie mein Weg weitergeht.

TT: Wir bedanken uns für das Gespräch!

veröffentlicht in Talktogether Nr. 73 / 2020