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Geschichte des Waldes
Baumlose Landschaft in Schottland. Foto: Luis Ascenso (CC BY 2.0)
Die Wälder unserer Erde sind nicht nur Heimat unzähliger Tier- und Pflanzenwaren, sie bieten auch Lebensgrundlage für über eine Milliarde Menschen. Wälder regulieren den Wasserhaushalt, speichern Trinkwasser, schützen vor Überschwemmungen und Erosion. Sie erzeugen Sauerstoff und wirken als CO2-Speicher dem Klimawandel entgegen. Die tropischen Wälder Süd- und Mittelamerikas, Afrikas und Asiens beherbergen rund 80 Prozent aller bekannten Arten. Doch täglich werden jedoch riesige Waldflächen abgeholzt oder niedergebrannt, um Bodenschätze abzubauen, Staudämme zu errichten, Viehweiden oder Plantagen anzulegen.
Vor rund 400 Millionen Jahren entwickelten sich aus den Wasserpflanzen die ersten einfachen Landpflanzen, vor 300 Millionen Jahren die ersten Bäume. Im Karbon wuchsen riesige Wälder mit Bärlapp-, Farn- und Schachtelhalmbäumen und speicherten das Kohlendioxid, das wir heute als Kohle, Erdöl und Erdgas verfeuern. Als das Klima trockener wurde, entwickelten sich zuerst die Nadelbäume und später die Laubbäume. Als sich das Klima auf vor etwa einer Million Jahre stark abkühlte, breiteten sich innerhalb weniger hundert Jahre die Eismassen von Arktis, Antarktis und Gebirgen aus und bedeckten große Teile Europas, Asiens, Japans und Nordamerikas. Vier Eiszeiten wechselten mit wärmeren Zwischenzeiten ab. Nach dem Rückzug der großen Inlandvereisungen und der Zunahme der Temperatur eroberte wieder die Vegetation die Flächen zurück. Zunächst wanderten Birken und Kiefern in ein, danach wuchsen Wälder aus Eichen, Linden, Ulmen, Eschen und Buchen.
Der Raubbau an den Wäldern
Man schätzt, dass ursprünglich etwa die Hälfte Erdoberfläche mit Wald bedeckt war. Zuerst waren es große Tiere wie Mammuts, Auerochsen, Nashörner oder Elefanten, die Landschaften in Grasländer und Savannen verwandelten. Seit Beginn der Sesshaftigkeit begann jedoch der Mensch, der Landschaften umzugestalten, um Ackerland und Weideflächen zu gewinnen.
Im Mittelmeerraum setzte mit der militärischen Ausdehnung des Römischen Reicheine eine massive Entwaldung ein. Um Weideland, Ackerland sowie Holz als Bau- und Heizmaterial zu gewinnen, aber auch um Feinden die Möglichkeit von Hinterhalten zu nehmen, wurden große Waldgebiete gerodet, dazu kamen die Verwüstungen durch die Kriege. „Eine Provinz nach der anderen wurde von Rom in eine Wüste verwandelt,“ schrieb der Wirtschaftsgeograph Vladimir Simkhovitch (1874-1959). Latium, Kampanien, Sardinien, Sizilien, Spanien und schließlich Nordafrika dienten als Kornkammern des Reiches und wurden bis zur Erschöpfung bewirtschaftet. Land, das durch Überbeanspruchung unfruchtbar geworden war, wurde aufgegeben und verwandelte sich zu Sümpfen oder Wüsten, da dem Boden die festigenden Wurzeln fehlten.
Anders sah es in Germanien aus, das der römische Historiker Tacitus als „ein Land, bedeckt von schrecklichen Wäldern oder abscheulichen Sümpfen“ beschrieb. Die Germanen liebten den Wald, weil er ihnen half, sich zu verstecken und sich gegen die Römer zur Wehr zu setzen. Feste Städte und Dörfer waren selten, da Siedlungen da meist nach einiger Zeit aufgegeben und von der Natur zurückerobert wurden.
Ab dem Mittelalter wurden jedoch immer mehr Wälder gerodet, um landwirtschaftliche Flächen zu gewinnen. Holz war der wichtigste Brennstoff, ohne den nicht gekocht, kein Brot gebacken, kein Ton gebrannt und kein Eisen geschmiedet werden konnte. Auch für viele Handwerker war Holz als Werkstoff unersetzbar. Die Bauern nutzten die Wälder als landwirtschaftliche Reservefläche, in denen sich Rinder, Ziegen, Schafe und Schweine ihr Futter suchten. Den Auftakt für die Kommerzialisierung des Holzes bildeten die großen Schiffsbau- und Flottenrüstungsprogramme Venedigs (13.–16. Jahrhundert), der Niederlande (16. Jahrhundert) und Englands (16.-17. Jahrhundert). Große Holzmengen benötigten auch der Bergbau, die Glashütten und die Salinen zum Schmelzen und Sieden.
Schottland: Die einst ausgedehnten Wälder Schottlands wurden zuerst von den Römern, dann im Mittelalter und vor allem während der Industrialisierung systematisch abgeholzt, so dass die Landschaft heute fast völlig kahl ist.
Island: Als die Wikinger im 9. Jahrhundert Island besiedelten, war die Insel mit Wald bedeckt, der jedoch gerodet und von Schafen niedergefressen wurde, so dass sich die Vegetation in den kurzen Sommern nicht mehr erholen konnte.
Spanien: Bis ins Mittelalter war die Iberische Halbinsel fast zur Gänze mit Wald bedeckt. Der heutige Steppencharakter ist auf die Entwaldung für den Schiffsbau für die spanische Armada im 15. und 16. Jahrhundert zurückzuführen.
Haiti: Der Plantagenbau in der Kolonialzeit begann den Wald zu verdrängen. 1804 erkämpfte Haiti seine Unabhängigkeit –aber zu einem hohen Preis. Wegen der hohen Reparationen, die Haiti bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts an die ehemalige Kolonialmacht Frankreich zahlen musste, wurden Tropenhölzer abgebaut, so dass 97 Prozent der Wälder abgeholzt wurden – mit weitreichenden Folgen für Mensch und Natur.
Sogar die entlegensten Waldgebiete wurden genutzt, so dass eine Landschaft zurückblieb, deren Störungen noch heute erkennbar sind. Die Bodenerosion führte dazu, dass viele Felder und Siedlungen aufgegeben werden mussten. Angesichts der verheerenden Folgen dieses Raubbaus ging man in Europa dazu über, Nutzungsregelungen zu erlassen. Grundherren unterbaden traditionelle Nutzungen zur Futter- und Düngergewinnung, was besonders in Kriegszeiten zu Versorgungskrisen die führte. Nicht nur im deutschen Bauernkrieg, sondern auch in anderen sozialen und politischen Protesten der ländlichen Gesellschaft spielte der Konflikt um die Nutzung des Waldes eine Rolle. Um den Nachschub an Holz zu sichern, ging man in der Mitte des 19. Jahrhunderts dazu über, Kahlflächen mit robusten Baumarten wie Fichten und Kiefern wiederaufzuforsten. Die Laubbäume wurden dabei dezimiert, weil sie langsamer wachsen als Nadelhölzer, und so entstanden statt natürlicher Mischwälder Monokulturen.
Mit der Kolonialisierung wurde der Angriff auf die Wälder auch auf die tropischen Regionen unseres Planeten ausgedehnt. Immer mehr Regenwälder mussten dem Bergbau, der Anlage von Plantagen und später dem Eisenbahnbau weichen – ein Prozess, der sich bis heute in den Ländern des Südens fortsetzt.Für zahlreiche Tier-, Pflanzen- und Pilzarten ist der Wald der Lebensraum, der ihnen Lebensraum, Nahrung und Schutz bietet. Gesunde Wälder sichern Täler vor Lawinen, Muren und Hochwasser. Die Baumwurzeln verdichten den Boden und verleihen ihm die Struktur, die er benötigt, um Wasser aufzunehmen und zu speichern, wenn es regnet. Damit verhindern sie Überschwemmungen, die fruchtbaren Boden fortspülen. Der Wald filtert Staub, Ruß, Gase und radioaktive Stoffe aus der Luft. Bäume produzieren bei der Photosynthese Sauerstoff, und jeder Hektar Wald absorbiert jährlich rund 10 Tonnen CO2 – je älter die Wälder sind, desto mehr CO2 können sie binden. Doch noch nie zuvor in der Geschichte ist der Wald so schnell geschrumpft. Vor allem in den artenreichen und für das Klima bedeutenden Tropen ist die Zerstörung dramatisch. Jedes Mal, wenn Regenwald abgeholzt wird, wird Boden freigelegt, auf dem über Jahrtausende hinweg Kohlenstoff gespeichert worden sind. Steigende Temperaturen begünstigen zudem immer häufiger verheerende Brände.
Wälder als Zufluchtsort
In den Märchen symbolisiert der der Wald das Unbekannte, das von seltsamen Fabelwesen und Geistern bewohnt wird. In der Literatur wird er auch als Lebensbereich von Outlaws beschrieben, die im Gegensatz zur Feudalherrschaft stehen, wie in Robin Hood oder Schillers Drama „Die Räuber“. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Wälder zur Zuflucht für Deserteure und Partisanen. Bis zu 20.000 jüdische und sowjetische Partisanen und Flüchtlinge sollen im Naliboki-Wald im heutigen Weißrussland Zuflucht gefunden haben. In nach den Bielski-Brüdern benannten Waldstadt „Bielsk-Schtetl“ gab es eine Schule, eine Synagoge, ein Krankenhaus und ein Gericht.
Wälder boten auch Schutz für entflohene afrikanische Sklaven, die den Zuckerrohrplantagen entfliehen konnten. Im Schutz des Regenwaldes gründeten sie die Quilombo-Dörfer, von denen in Brasilien einige noch heute bestehen. Wälder sind aber auch die Heimat vieler indigener Gemeinschaften, die ihren Lebensraum immer vehementer gegen die immer heftiger und brutaler werdenden Angriffe verteidigen und ihr Engagement oft mit dem Tod bezahlen müssen. In Indien tobt schon seit Jahrzehnten ein blutiger Krieg um die Wälder zwischen den Adivasi-Völkern und der Regierung und den Bergbaugesellschaften.
Der Wald als Nahrungs- und Einkommensquelle
Brauchen wir die industrielle Landwirtschaft, um eine wachsende Weltbevölkerung mit Nahrung zu versorgen? In Wirklichkeit ist die Lebensmittelproduktion von Spekulation, Überproduktion und Verschwendung gekennzeichnet. Lebensmittel werden meist für den Export in die Zentren des Wohlstands erzeugt, während die Lebensgrundlagen für indigene Gemeinschaften und Kleinbäuer*innen stetig schrumpfen.
Wälder stehen nicht im Widerspruch zur Entwicklung, sondern können dazu beitragen, Armut und Hunger bekämpfen. Ein gut organisierter Wald kann uns alles bieten, was wir zum Leben brauchen: frisches und sauberes Wasser, gesunde und abwechslungsreiche Nahrung, Medizin, Tierfutter, Baustoffe und Energie. Beinahe auf allen Kontinenten sind Völker bekannt, die ihre Gärten nach dem Beispiel der Natur organisieren. Bei den Waldgärten der Chagga am Fuße des Kilimanjaro in Tansania handelt es sich um ein ausgeklügeltes System, bei dem auf mehreren Stockwerken hunderte verschiedene essbare Pflanzenarten kultiviert werden. Diese Baumgartenkultur hat der Gemeinschaft seit Jahrhunderten ermöglicht, intensive Landwirtschaft zu betreiben. Die Chagga konnten auch gute Gewinne durch den Verkauf von Kaffee erzielen, heute ist ihre Anbauweise jedoch wegen der Abholzung großer Teile des Regenwaldes unterhalb der Grenze des Nationalparks, die auf 1950 Meter liegt, gefährdet.
„Der Imperialismus ist der Pyromane unserer Wälder.“ Thomas Sankara (1949-1987)
In der Sahelzone werden heute gewaltige Anstrengung zur Wiederaufforstung unternommen werden, um die Ausbreitung der Wüste aufzuhalten. Für die dort lebenden Menschen stellen Bäume etwa 80 Prozent des Gesamteinkommens dar, was insbesondere auf die Shea-Butter-Produktion zurückzuführen ist. Als Vorbild dienen die von Wangari Maathai in den 1970er Jahren in Kenia gegründete Green-Belt-Bewegung, Chinas Grüne Mauer und die von Thomas Sankara in Burkina Faso initiierten Aufforstungsprogramme, die allerdings nach dessen Ermordung im Oktober 1987 von seinen Nachfolgern wieder zunichtegemacht worden waren.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 74 / 2020
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