Gespräch mit Klaus Brandhuber, AUGE/UG Salzburg PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Klaus Brandhuber,

Betriebsratsvorsitzender und Landessprecher der AUGE/UG Salzburg

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TT: Der Erste Mai erinnert an die Kämpfe der Arbeiter*innen in Chicago, die 1886 für den 8. Stunden-Arbeitstag demonstrierten. Wie sieht die Situation der Werktätigen heute – nach so vielen Jahren – aus?

Klaus Brandhuber: Natürlich hat sich die Situation zu 1886 stark verändert, dennoch sehen wir in den letzten Jahren wieder deutliche Rückschritte, und sind, ohne gehört zu werden, gegen den 12-Stunden Tag und die 60-Stunden Woche auf die Straße gegangen. Die Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer*innen haben sich wieder verschlechtert. Seit 1975 haben wir in Österreich die 40-Stunden Woche als Normalarbeitszeit verankert, die Verkürzung auf 35 Stunden ist seit vielen Jahren thematisiert, es gibt jedoch – mit Ausnahme über die Kollektivverträge – keine Bewegung in Richtung gesetzlicher Arbeitszeitverkürzung.

TT: In der Corona-Krise hat sich gezeigt, welche Berufe für die Gesellschaft unersetzlich sind. Doch wird die Arbeit dieser Menschen tatsächlich geschätzt und auch entsprechend entlohnt?

Klaus Brandhuber: Gerade in den Arbeitsfeldern, die eine Gesellschaft zur Grundversorgung benötigt, ist die Wertschätzung eher als gering anzusehen. Dies spielt direkt zusammen mit der Entlohnung und den Rahmenbedingungen. Als Beispiele nenne ich Transport, Handel, Pflege und Gesundheit, Sozialberufe ... Eine kurze Zeitspanne lang wurden die Kolleg*innen hier beklatscht, an den Rahmenbedingungen und der Entlohnung hat sich jedoch nichts verbessert. Was die Kolleg*innen in diesen Berufen im letzten Jahr leisten mussten, hat viele an ihre persönlichen Grenzen gebracht.

TT: Besonders der Pflege kommt in der Pandemie eine große Bedeutung zu. Man hört jedoch, dass viele Menschen diesen Beruf aufgeben. Warum?

Klaus Brandhuber: Die Pflege ist von öffentlicher Finanzierung abhängig, und hier wurden über Jahrzehnte hinweg immer mehr Stellen abgebaut, so das die Zeitspanne für die Betreuung der Patient*innen immer knapper geworden ist. Der politische Wille, die Kolleg*innen in der Pflege zu entlasten und damit die Qualität der Arbeit und die Lebensqualität der Patient*innen, Bewohner*innen etc. zu verbessern ist seit langer Zeit nicht spürbar. Die Kolleg*innen stehen unter ständigem Zeitdruck und können ihre Arbeit nicht so leisten, wie sie es gerne machen würden. Es bleibt keine Zeit für persönliche Anliegen, Gespräche oder Wünsche, weil bereits die nächste Glocke schrillt oder ich ins nächste Zimmer muss zur normalen Routinepflege.

Ein weiterer Punkt ist natürlich die Dienstplanungssicherheit. Ich muss ständig damit rechnen, dass ich einspringen muss. In Arbeitsfeldern außerhalb der Kliniken gibt es zudem nicht immer Vollzeitarbeitsplätze sondern Kurzdienste, mit denen eine Vollbeschäftigung an fünf Tagen in der Woche gar nicht möglich ist. Dies trifft auch auf die mobile Pflege zu. In der Seniorenarbeit werden die Bewohner*innen immer älter, die Zahl der Demenzerkrankten ist stark gestiegen, und damit auch der Betreuungsaufwand. Es ist wohl eine Kombination vieler Umstände, die viele Menschen dazu bewegt, den Beruf aufzugeben.

TT: Was sind wesentliche Forderungen des Pflegepersonals?

Klaus Brandhuber: Die Arbeitssituation habe ich ja bereits geschildert. Die Kolleg*innen müssen entlastet werden, hierzu braucht es einen politischen Kraftakt. Es benötigt stark verbesserte Rahmenbedingungen. Dies muss eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit sein, eine bessere Personalausstattung sowie eine bessere Bezahlung. Hierzu brauchen wir klare bundesweite Regelungen. Das öffentliche Bild der Pflege- und Sozialbetreuungsberufe hat sich in Bezug auf die enorme Arbeitsbelastung durch die Medienberichte in der Pandemie leider noch weiter verschlechtert, obwohl wir uns seit Jahren bemühen, mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen. Nun gilt es, den schönen Worten endlich Taten folgen zu lassen.

TT: Generell ist festzustellen, dass der Arbeitsdruck steigt. Was können die Lohnabhängigen dagegen tun?

Klaus Brandhuber: Die Kolleginnen und Kollegen müssen sich organisieren. In Branchen mit sehr vielen Gewerkschaftsmitgliedern sind die Kollektivverträge deutlich besser ausgestaltet als in Branchen mit einem niedrigem Organisationsgrad. In jedem Unternehmen, in dem die gesetzlichen Voraussetzungen zutreffen, muss es einen Betriebsrat geben. Die Kolleg*innen sollten für ihre Rechte aufstehen! Wenn alle Arbeitnehmer*innen organisiert sind, steigt der Druck auf Arbeitgeber*innen bei Kollektivvertragsverhandlungen und auch auf die Regierungen zum Beispiel bei Herangehensweisen zum Thema Pflege, Gesundheit und Soziales.

TT: Inwiefern hat sich die Lage der Lohnabhängigen in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Klaus Brandhuber: Es hat sich sicher in allen Branchen der Arbeitsdruck erhöht, die Bezahlung ist allerdings inflationsbereinigt eher gleichgeblieben. Betrachtet man die Situation am Wohnungsmarkt, hat sich das Leben für Lohnabhängige jedoch stark verteuert. Das Einkommen reicht bei vielen nur mehr für das Nötigste, eine Arbeitslosigkeit ist dann der Auslöser für die Schuldenfalle.

TT: Die Probleme der Werktätigen steigen, doch die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften gesunken. Woran liegt das? Gibt es ein Informationsdefizit?

Klaus Brandhuber: Ich denke, dass sich viele Menschen ihrer Rechte nicht bewusst sind und sich auch nicht damit auseinandersetzen. Hier müssen wir als Gewerkschaften ansetzen. Informationen zu Gewerkschaften, Arbeiterkammer und Betriebsräten gehören bereits in den Schulen und Ausbildungen verankert. Auch Medien sollten dazu viel mehr berichten.

TT: Sind Klimaschutz und Schutz der Arbeitsplätze ein Widerspruch?

Klaus Brandhuber: Natürlich werden durch Klimaschutzmaßnahmen Arbeitsplätze wegfallen, aber dafür werden auch neue entstehen. Wir sind endlich in einem gesellschaftlichen Diskurs und Umbruch angekommen, so steigt für Unternehmen der Druck, durch politische Steuerung aber auch der Anreiz, in den Klimaschutz zu investieren. Dies sollte, auf lange Sicht, eher Arbeitsplätze schaffen. Es ist Aufgabe der Gewerkschaften, sich dafür einzusetzen, dass dieser Umbau sozial gerecht gestaltet wird und nachhaltige und sichere Arbeitsplätze geschaffen werden.

TT: Welche Kampagnen zum Klimaschutz gibt es von Seiten der Gewerkschaften?

Klaus Brandhuber: Auch die Gewerkschaften sind hier im Umbruch und müssen sich der Herausforderung stellen, die ökologischen und sozialen Herausforderungen im Sinne der Arbeitnehmer*innen zu bearbeiten. Das tun wir, indem wir beispielsweise die Fridays for Future-Bewegung unterstützen und auf deren Demos sichtbar dabei sind.

TT: Die Klimaziele können nur global erreicht werden. Wie sieht es mit der internationalen Vernetzung der Gewerkschaften aus?

Klaus Brandhuber: Der Österreichische Gewerkschaftsbund ist im europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) sowie im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) vernetzt und eingebunden, hierzu gibt es auch ein Büro im ÖGB in Wien. Der Vorstand des IGB hat bei seiner Sitzung am 24. und 25. November ein zielorientiertes und ambitioniertes Programm für das kommende Jahr beschlossen und folgende drei Frontline-Kampagnen bewilligt, um über die Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze aufzuklären und zu informieren: 1. ein neuer Sozialvertrag für Erholung und Resilienz; 2. unsere Arbeit klima- und beschäftigungssicher machen mit gerechten Übergängen; 3. Demokratien für die Menschen. (Näheres dazu siehe: www.ituc-csi.org)

TT: Wenn man sich für die Themen Arbeiter*innenrechte und Klimaschutz interessiert, wo kann man mitmachen?

Klaus Brandhuber: Da kann ich nur die AUGE (Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen) empfehlen. Wir arbeiten politisch und finanziell unabhängig, und alle, die sich für diese Themen engagieren wollen, sind bei uns willkommen.


veröffentlicht in Talktogether Nr. 76/2021

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