Wie das Gras, das durch die Risse im Asphalt drängt PDF Drucken E-Mail

Wie das Gras,

das durch die Risse im Asphalt drängt


"Wir befinden uns inmitten von Kriegen und ökonomischen und ökologischen Krisen. Wie können wir da über das Gemeingut und die Commons reden? Genau wegen dieses Gefühls, dass wir auf der Spitze eines Vulkans leben, ist es umso wichtiger zu sehen, dass inmitten dieser ganzen Zerstörung eine andere Welt im Entstehen ist, die, dem Gras gleich, das auf den Gehsteigen durch die Risse im Asphalt drängt, die Hegemonie von Kapital und Staat herausfordert und unsere gegenseitige Verbundenheit und unser Vermögen zur Kooperation stärkt." (Silvia Federici: Die Welt wieder verzaubern)

Was verbindet den Widerstand der indischen Bauern mit dem Kampf um freie Software? Was haben die Privatisierungen von öffentlichem Vermögen, die Schuldenkrise der afrikanischen Staaten, die Vertreibung der Indigenen aus den Regenwäldern und die Zerschlagung der "Eisernen Reisschüssel" in China gemeinsam? Es geht um die Commons und um den Kampf um sie. Es geht darum, wem das Land gehört, auf dem unsere Nahrung wächst, wem die Wohnungen gehören, in denen wir wohnen. Und es geht sogar darum, wer unsere Körper kontrolliert, insbesondere die der Frauen und die von ihnen geleistete reproduktive Arbeit. Die feministische Theoretikerin Silvia Federici stellt sich in ihrem Buch "Die Welt wieder verzaubern" die Frage, wann und wie die Menschen ihre Autonomie verloren haben und wie sie die Kontrolle über ihr Leben wieder zurückgewinnen können.

Enteignung als Strategie des Kapitals

Marx nannte es die ursprüngliche Akkumulation, Federici bezeichnet es als Einhegungen - gemeint ist die Umwandlung eines der allgemeinen Nutzung offenstehenden Areals in eines der speziellen Nutzung. Genauer gesagt handelt es sich um die mit Gewalt durchgesetzte Enteignung der Gemeinschaftsgüter, insbesondere des Ackerlandes, der Wälder und Gewässer, aus denen die Menschen ihre Nahrung beziehen, durch Privatpersonen, Unternehmen oder Regierungen.

Grundlage dieses Raubs im großen Stil ist die Einhegung (das Einzäunen und Wegsperren) von Grund und Boden. Die Vertreibung der Menschen von ihrem Land markierte den Ursprung der kapitalistischen Wirtschaftsweise und spielt Marx zufolge in der politischen Ökonomie eine ähnliche Rolle wie der Sündenfall in der Theologie: "Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von den anderen einen Tribut für das Recht, die Erde bewohnen zu dürfen, wie überhaupt im Grundeigentum das Recht der Eigentümer eingeschlossen ist, den Erdkörper, die Eingeweide der Erde, die Luft und damit die Erhaltung und Entwicklung des Lebens zu exploitieren." (MEW 25, 782)

In Europa setzte die Enteignung der Bauern im 15. Jahrhundert ein. Den Anstoß dafür gab das Aufblühen der flandrischen Wollmanufakturen und das damit verbundene Steigen der Wollpreise. Für die Grundherren wurde es dadurch profitabler, das Ackerland in Weideland für Schafe umzuwandeln. Das konnten sie aber nur tun, indem sie die Landbevölkerung von ihren Höfen und Dörfern vertrieben. Ihres Landes und ihrer Lebensgrundlagen beraubt wurden diese Menschen zu Bettlern und Vagabunden, im Zuge der Industrialisierung stellten sie die Klasse der Lohnarbeiter*innen.

Die Scheidung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln markierte das Ende der Subsistenzwirtschaft (1) und sorgte für die Entstehung zweier Klassen: die der Eigentümer der Produktionsmittel (Land, Fabriken, Maschinen ...) auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die der Proletarier, deren einziger Besitz ihre Arbeitskraft war. Sie bedeutete auch die Schaffung von Elend und Mangel im Weltmaßstab sowie gesellschaftlicher Spaltungen auf Grundlage von Besitz, Geschlecht oder Rasse, und reiht sich ein in eine Serie von Verbrechen wie der transatlantische Sklavenhandel, die Hexenverbrennungen, die irische Hungersnot oder der Völkermord an den amerikanischen Ureinwohner*innen.

Was sind Commons?

Der englische Begriff "Commons" lässt sich mit Allmende oder Gemeingut übersetzen, er wird aber auch häufig als Fremdwort im Deutschen verwendet. Commons sind gemeinsam hergestellte, gepflegte und genutzte Produkte und Ressourcen unterschiedlicher Art. Das können Gewässer, Böden, die Atmosphäre oder die Ozeane sein, aber auch Räume, Produktionsmittel, Software, Saatgut, Fahrräder, Wikipedia oder Erkenntnisse. Diese Ressourcen werden von einer Gemeinschaft genutzt und von einem Regelwerk umrahmt, das von den Nutzer*innenselbst geschaffen wurde.

Die Einhegungen waren kein abgeschlossener Prozess, vielmehr handelt es sich dabei um eine Strategie zur Aufrechterhaltung des Kapitalismus, die immer wieder neu vollzogen und auf globaler Ebene durchgesetzt werden muss - vor allem in ökonomischen Krisen. Die Globalisierung macht aus den Arbeitern und Arbeiterinnen der Welt Umherziehende, Migrant*innen, Flüchtlinge. Die Geschwindigkeit, mit der sich das Kapital bewegen kann, um jeden Tropfen Öl und jedes Mineral aus der Erde herauszupressen, beschleunigt die Zerstörung der Natur. Im Gegensatz zu Marx und Engels, die noch überzeugt waren, dass der Kapitalismus und die Industrialisierung notwendige Entwicklungen waren, weil sie die Menschen aus der Isolation des Landlebens herausrissen und Kooperation und Wissensaustausch im großen Stil überhaupt erst möglich machten, wirft Federici die Vorstellung von der fortschrittlichen Rolle des Kapitals über Bord.

Die Wiedereroberung der Commons

Dass ein Gesellschaftssystem, das alle dazu zwingt, miteinander zu konkurrieren, und in dem der Wohlstand für den einen Teil der Gesellschaft auf Kosten anderer Menschen, der Natur und der kommenden Generationen geschaffen wird, unweigerlich in die Niederlage führen muss, sehen heute immer mehr Menschen ein. Wenn der Kapitalismus nach Jahrhunderten der Ausbeutung nicht einmal in der Lage ist, minimale Bedingungen für den Lebenserhalt großer Teile der Menschheit zu schaffen, kann man auch schwerlich von Erfolg sprechen.

Immer klarer ist auch zu erkennen, dass das kapitalistische System nur aufgrund von Gewalt aufrechterhalten werden kann. Allerdings fehlt vielen die Vorstellung, wie ein anderes, ein gerechteres und nachhaltigeres Wirtschafts- und Gesellschaftssystem aussehen könnte. Federici ist jedoch überzeugt, dass diese neue Gesellschaft bereits im Entstehen ist. Den Schlüssel dafür sieht sie in den Commons, dem Gemeinschaftseigentum, das von Menschen überall auf der Welt in unzähligen Kämpfen verteidigt und zurückerobert wird.

Während früher die Fabrikarbeiter*innen an der Spitze des Kampfes marschierten, finden die heutigen Kämpfe auf den Feldern und in den Wäldern, in den Küchen und Fischerdörfern statt, um die noch bestehenden Commons zu verteidigen. Wohin kann man zurückkehren, wenn man die Arbeit verliert, wo findet man ein Stück ungenutztes Land? Gerade die Pandemie, in der viele Menschen aus den Städten wieder in ihre Dörfer zurückkehrten, hat den Menschen die wichtige Bedeutung der Commons vor Augen geführt.

Federicis Analyse konzentriert sich auf afrikanische Länder wie Nigeria, wo sie in den 1980er-Jahren gelebt hat, auf Lateinamerika sowie auf die aktuellen Kämpfe der Native Americans, die nicht mehr in Reservaten gefangen sein wollen. Frauen spielen in den Kämpfen um die Commons eine führende Rolle. Denn während Lohnarbeit vorwiegend Sache der Männer ist, kümmern sie sich um das Feld, damit die Familie auch zu essen hat, wenn der Lohn ausbleibt. In Afrika werden auf diese Weise 80 Prozent der konsumierten Lebensmittel produziert.

Diese relative Autonomie ist jedoch durch die Einhegungen durch das globalisierte Kapital bedroht. Die Weltbank bekämpft die Subsistenzwirtschaft, indem sie juristische Formen vorantreibt, um individuelle Eigentumstitel durchzusetzen und traditionelle Rechte abzuschaffen. Das Kapital eignete sich sogar die Überlebensstrategien armer Frauen an, um sie mit Mikrokrediten unter die Kontrolle von Geldbeziehungen zu bringen.

Als weiteres Beispiel für die Kämpfe um die Commons führt Federici die Niederschlagung der Proteste auf den Tiananmen-Platz in China 1989 an. Diese werden in der westlichen Presse gern als Fallbeispiel für die Brutalität des kommunistischen Regimes präsentiert, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Während ein Teil der Student*innen für westliche Freiheiten protestiert hat, kämpften die Arbeiter*innen um die "Eiserne Reisschüssel", die beim Übergang zum Kapitalismus zerschlagen wurde. Der Begriff "Eiserne Reisschüssel" stand für das Recht auf sichere Arbeit und lebenslanges Einkommen.

Mit den Commons den Kapitalismus überwinden

"Während in der bürgerlichen Philosophie das Privateigentum ein Symbol für Freiheit war und als Unterscheidung zwischen Zivilisation und Wildheit diente, hing die Freiheit der Ureinwohner*innen von dessen Abwesenheit ab."

Wir leben heute in einer Welt, in der allem - vom Wasser, das wir trinken, bis zum Genom unseres Körpers - ein Preisschild umgehängt wird. Doch während einerseits Commons verlorengehen, entstehen gleichzeitig wieder neue. Die von ihrem Land und ihren Arbeitsplätzen vertriebenen Menschen bilden Communities, besetzen öffentliche Räume, errichten gemeinsam Behausungen, verteilen Lebensmittel, bieten kostenlose medizinische Versorgung an, kochen für die Gemeinschaften und bebauen besetztes Land. Die Schaffung neuer Commons ist für sie eine Überlebensstrategie.

Doch Federici ist überzeugt, dass die Commons auch zu Keimen einer neuen Gesellschaft werden können, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Es gibt nämlich auch Commons, auf die wir keinen Zugriff haben. Innerhalb von Genossenschaften und Stiftungen etwa werden die Ressourcen zwar fair geteilt, aber vor Außenstehenden eifersüchtig bewacht. Soziale Dienstleistungen für die Allgemeinheit werden in ein marktwirtschaftliches Konzept gezwängt, um die Kosten zu senken, und Regierungen versuchen, das Engagement von Ehrenamtlichen zu erhöhen, um die Kürzungen von sozialen Dienstleistungen zu kompensieren.

Food-Coops, Urban Gardening, Kooperativen, Tauschkreise, Gemeinschaftsbanken, lokale Währungen oder Creative Commons Lizenzen können Experimente einer alternativen Produktionsweise sein, sofern sie auf den Prinzipien von Kooperation, Gegenseitigkeit, Verantwortung und Offenheit basieren und nicht als abgeschlossene Gemeinschaften - etwa auf Basis von ethnischer Zugehörigkeit oder Religion - verstanden werden. Es gilt jedoch zu verhindern, dass sich die Kapitalistenklasse die Commons aneignet und sie zu Rettungsinseln für den Kapitalismus umfunktioniert.

Vor einem Jahrhundert hatte Max Weber die "Entzauberung der Welt" als Folge umfassender Rationalisierungen festgestellt. Federici möchte nun "die Welt wieder verzaubern" und ruft in diesem Sinne die Menschen zu gemeinsamen Anstrengungen auf, um die kollektive Entscheidungsgewalt über das Schicksal unseres Planeten wieder zu erobern. Wenn man die Menschen lässt, ist Federici überzeugt, finden sie einen Weg, um zu überleben und miteinander auszukommen. Obwohl das kultivierbare Land, die Wälder, die Fischereigründe auf diesem Planeten endlich sind, ist es möglich, sie fair und friedlich zu teilen, ohne sie über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Der Blick in die Vergangenheit soll uns zeigen, dass eine Gesellschaft der Commons keine unerreichbare Utopie ist, die neuen Commons müssen jedoch aus unseren Kämpfen heraus entstehen.

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(1) In einer Subsistenzwirtschaft produzieren kleine wirtschaftliche Einheiten die für den eigenen Gebrauch notwendigen güter selbst und sind deshalb vom Markt unabhängig.

veröffentlicht in Talktogether Nr. 77 / 2021

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