Araweelo und ihre modernen Nachfolgerinnen PDF Drucken E-Mail

Araweelo und ihre modernen Nachfolgerinnen

In Somalia kennt jeder und jede die Geschichte der mächtigen Königin Ebla, die Araweelo genannt wurde. Sie ist eine der bekanntesten und zugleich umstrittensten Persönlichkeiten der somalischen Geschichte. Für die einen ist sie eine der ersten Feministinnen und eine Friedensstifterin, andere dagegen diffamieren sie als brutale Männerhasserin.


Singende Frauen im Frauendorf Umoja, Kenia. Wouter van Vliet (CC BY 2.0)


Kandaka, die nubische Königin von Meroë im Sudan, die ihr Land gegen die Armee Alexanders des Großen verteidigte, Königin Nzinga von Ndongo und Matamba im heutigen Angola, die Anfang des 17. Jahrhunderts den portugiesischen Eroberungsversuchen widerstand, die Zauberin Nehanda Nyakasikana, die im 19. Jahrhundert in Zimbabwe eine Revolte gegen die britische Kolonialmacht anführte, oder die Königinmutter Yaa Asantewaa, die 1900 in Ghana den letzten großen Aufstand der Ashanti gegen die Briten leitete – Afrikas Geschichte ist reich an legendären Frauenfiguren. Eine davon ist die sagenhafte Geschichte von Araweelo, die sich mit anderen Frauen zusammenschloss, um der Männerherrschaft ein Ende zu bereiten.

Als erster westlicher Forscher schrieb der Brite Ralph E. Drake-Brockman 1912 in seinem Buch British Somaliland über die legendäre Königin. Sie soll vor langer Zeit in Muhiri in der Region Sanaag gelebt haben und in ganz Afrika bekannt gewesen sein. Von manchen wird sie als Monster beschrieben, das Männer ohne Grund verstümmelte und kastrierte. Da es aber keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt und die Geschichte nur mündlich von einer Generation an die nächste weitergegeben wurde, kann man davon ausgehen, dass diese im Laufe der Zeit ausgeschmückt und übertrieben worden ist. Gemeinsam haben jedoch alle Versionen, dass sie die Existenz Araweelos und ihre außergewöhnliche Macht anerkennen.

Auch wenn es keine historischen Belege für ihre Existenz gibt, sind biographische Daten bekannt: Ebla war die älteste von drei Töchtern, ihre Mutter hieß Haramaanyo. Weise alte Menschen erzählen, dass Araweelo in einer Zeit gelebt hat, in der ein erbitterter Krieg zwischen den Clans tobte. Die Kämpfe forderten zahllose Menschenleben und lösten eine bittere Hungersnot aus. Auch Eblas Ehemann wurde bei diesen Kämpfen getötet, ihre zwei Kinder fielen dem Hungertod zum Opfer. Damals war es üblich, dass eine Witwe den Bruder ihres verstorbenen Mannes heiratete, damit die Familie und der Viehbesitz zusammengehalten werden. Da Araweelo aber weder Kinder noch Tiere hatte, wollte niemand sie heiraten, und sie musste zu ihrer Familie zurückkehren. Dort wurde sie jedoch als überflüssige Esserin angesehen, von der man weder einen Beitrag zum Familieneinkommen noch eine Mitgift erwarten konnte.

So verbündete sich Araweelo mit Frauen, die in einer ähnlichen Situation waren wie sie. Zusammen lebten sie in der Wildnis und jagten gemeinsam. Dabei wurden sie oft von Männern angegriffen, denen die unabhängige Lebensweise der Frauen ein Dorn im Auge war. Weil Araweelo in dieser schweren Zeit viel Mut zeigte, wurde sie von den Frauen zu ihrer Anführerin erkoren. Immer mehr Frauen schlossen sich der Gruppe an, so dass sie sich zu einer Macht entwickelte, die man nicht mehr ignorieren konnte. Die Frauen wussten, dass es einen Ort der Zuflucht gab, und fühlten sich gestärkt. Auch Angehörige von Minderheiten fanden dort Schutz.

Nun versammelte Araweelo weise Frauen und Männer um sich, um sich mit ihnen darüber zu beraten, wie der verheerende Krieg gestoppt werden könnte. Gemeinsam entwickelten sie einen Plan: Zuerst sollten die kämpfenden Parteien zusammengebracht und ihnen ein Angebot zur Versöhnung unterbreitet werden. Sollten die Clanführer es ablehnen, würden sie zunächst eine Warnung erhalten. Wenn sie sich danach immer noch weigerten, Frieden zu schließen, würde man mit Gewalt gegen sie vorgehen. Noch während der Verhandlungen formierte die Königin eine schlagkräftige Armee und ließ ein Gefängnis errichten. Dieses war für jene Kriegstreiber bestimmt, die sich hartnäckig weigerten, die Friedenspläne zu akzeptieren.

Die Nachricht von der „Königin des Friedens“ verbreitete sich in jeder Ecke des Landes. Da Somalia eine Gesellschaft ohne zentrale Regierung war, hatte man nie zuvor von so einem Plan gehört, noch ein so großes Gebäude wie das Gefängnis gesehen. Als der Kampf begann, wurden viele Männer eingesperrt und kehrten nicht mehr zu ihren Familien zurück. Viele Menschen fragten sich, warum diese sich nicht gegen die Frauen wehren und aus der Gefangenschaft fliehen konnten. So entstand vermutlich das Gerücht, dass Araweelo die Männer kastrieren ließ. Für diese Behauptungen gibt es jedoch keinerlei Belege.

Das Erbe Araweelos

Königin Ebla war hart zu den Unruhestiftern, aber sie schaffte es, die Menschen von Krieg, Armut und Erniedrigung zu befreien. Als sie 40 Jahre alt war, wurde Araweelo jedoch vom Kriegstreiber Oday Biqay ermordet. Nach ihrem Tod begannen die Clans, sich wieder zu bewaffnen und ihre Kriege fortzuführen. Leider haben die somalischen Männer nicht geschätzt, was Araweelo für ihr Volk getan hat, sondern sie als männerhassende Verrückte abgestempelt. Der Ort, an dem Araweelos Grab vermutet wird, zieht aber noch heute viele Menschen an, die ihn entweder mit Blumen schmücken oder mit Steinen bewerfen.

Die Rechte der Frauen waren durch das Xeer, das traditionelle Rechtssystem der somalischen Nomaden, geschützt; ihr Einfluss hat jedoch mit der Zeit – vor allem durch die Islamisierung – abgenommen. War Araweelo die erste Feministin Somalias? Eignen sich Frauen von Natur her als Friedensstifterinnen, und sind sie deshalb geeignetere Führerinnen? Auch wenn es hierzu unterschiedlicher Meinungen gibt: Bis heute kennt jedes somalische Kind die Geschichte der kriegerischen Königin aus der Vergangenheit, und noch heute wird eine Frau, die energisch ihren Willen einfordert, als Araweelo bezeichnet.

Umoja – Stärke durch Zusammenhalt

Ob die Frauen von Umoja im kenianischen Samburu-Land jemals von Araweelo gehört haben, ist nicht bekannt. Dort gründete Rebecca Lolosoli in den 1990er Jahren das Dorf Umoja (Kisuaheli: Einheit), in dem nur Frauen und Kinder leben. Den Entschluss, einen Ort zu schaffen, um Frauen vor Misshandlung und Zwangsheirat zu schützen, fasste sie, als in im Krankenhaus lag, nachdem sie von einer Gruppe von Männern zusammengeschlagen worden war.

Was als Zufluchtsort für geschlagene und verstoßene Frauen begann, entwickelte sich mit der Zeit zu einer blühenden Dorfgemeinschaft. Zuerst mussten die Frauen allerdings lernen, wie sie auf dem trockenen Boden der Halbwüste etwas anbauen konnten, da sie als Angehörige eines Hirtenvolks damit keine Erfahrung hatten. Mit der Idee, bunten Schmuck aus Glasperlen herzustellen und an Touristen zu verkaufen, gelang es ihnen, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen. Die Frauen waren nun erstmals in der Lage, ihre Kinder gut zu ernähren, ihnen eine Schulausbildung zu ermöglichen und ihre Töchter vor Genitalverstümmelung (FGM) zu schützen.

Doch ihr Erfolg erzeugte auch Neid und Missgunst, so dass es nicht verwunderlich ist, dass Drohungen und Übergriffe von erbosten Männern auf das Dorf nicht ausblieben. Den Frauen ist es jedoch nicht nur gelungen, sich dagegen zu wehren, sondern auch mit ihrer Kultur der Gleichberechtigung umliegende Gemeinden zu inspirieren. Die Frauen, die einige Jahre im Frauendorf gelebt hatten und danach in ihre Dörfer zurückkehrten, waren selbstbewusst genug, um ihre Rechte erfolgreich einzufordern. Inzwischen stehen an die 60 Dörfer unter der Schirmherrschaft von Umoja. Rebecca Lolosoli kämpft zudem mit Aufklärungskampagnen gegen Zwangsheirat, Gewalt an Frauen und FGM. Zu ihren politischen Aktivitäten gehört auch eine Sammelklage gegen die Soldaten eines britischen Militär-Trainingslagers, die während der Zeit von 1970 bis 2003 mehr als 600 indigene Frauen in der Region vergewaltigt haben sollen.

Jinwar – Oase des Friedens

Mitten im Krieg nahmen sich in Nordsyrien Frauen, die Opfer schrecklicher Gewalt geworden und dem Terror der grausamen IS-Milizen entkommen waren, ihre Schwestern in Kenia zum Vorbild. Mit bloßen Händen formten sie aus Erde, Wasser und Stroh Ziegel und bauten damit Häuser, wie es in der Region seit Tausenden von Jahren Tradition ist. Am 25. November 2018 – am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen – war es dann soweit: Das Frauendorf Jinwar (kurdisch: Heimat der Frauen) wurde offiziell eröffnet. Das Projekt folgt drei grundlegenden Prinzipien: Frauenbefreiung, Demokratie und Ökologie. Das Dorf entwickelte sich zu einer Oase des Friedens inmitten einer von Gewalt und Terror verwüsteten Region. Es wurde zum Zufluchtsort für Frauen, die während des Krieges ihre Ehemänner verloren hatten oder die vergewaltigt und versklavt worden waren. Viele der schwer traumatisierten Frauen konnten sich hier nach langer Zeit das erste Mal frei und sicher fühlen. Hier leben sie zusammen mit Frauen, die keine Familie gründen, sondern gemeinsam mit anderen Frauen zusammenleben und kollektiv arbeiten und wirtschaften wollen. Alle Frauen sind in Jinwar willkommen, egal, welcher ethnischen Gruppe oder Religionsgemeinschaft sie angehören.

Die gemeinsame Bewirtschaftung zielt darauf ab, das Dorf ökonomisch unabhängig zu machen. Angebaut wird auf ökologische Weise, elektrischer Strom wird vor allem durch Solarenergie gewonnen. Heute gibt es im Dorf eine Schule, eine Akademie, ein Gesundheitszentrum, eine Gemeinschaftsküche, einen Kinderspielplatz, Getreidefelder und einen Garten, in dem Obst- und Olivenbäume, Tomaten, Gurken, Kartoffeln, Okra, Wassermelonen, Paprika und Auberginen wachsen. Mit einem Heilkräutergarten versuchen sie, traditionelles Wissen zu bewahren und mit dem Verkauf von Kräutertees ein Einkommen zu erzielen. Das Brot, das in der Bäckerei mit selbstangebautem Weizen hergestellt wird, ist auch in den umliegenden Dörfern sehr beliebt. Nicht nur Frauen, auch Männer kommen heute nach Jinwar, wenn sie bei familiären Problemen Hilfe und Rat suchen. Die Bewohnerinnen diskutieren mit Vätern, Ehemännern, Brüdern und religiösen Führern, und so beeinflusst die Idee von Jinwar auch die Gesellschaft in der Umgebung.

Das Dorf steht jedoch vor großen Herausforderungen. Zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie konnten die Frauen gemeinschaftlich Strategien entwickeln, doch ihre Errungenschaften sind durch den Vormarsch türkischer Truppen bedroht. Die Geräusche von Kampfflugzeugen, Panzern und Bomben sind oft im Dorf zu hören. Berichte über Luftangriffe auf ein Nachbardorf beweisen, wie akut die Bedrohung ist. Doch Aufgeben kommt für die Frauen nicht in Frage, denn Jinwar bedeutet für sie die Hoffnung, sich von Unterdrückung zu befreien und eine gerechtere und freiere Gesellschaft aufzubauen.


veröffentlicht in Talktogether Nr. 79/2022

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