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Der Kampf gegen Klimakrise,
Hunger und Patriarchat
Wie ökologische Landwirtschaft die Ernährung verbessert und zugleich die Gemeinschaften stärkt
Die Klimakrise hält das Dorf Bwabwa im Griff. Im nördlichen Malawi regnet es nur noch drei Mal im Jahr, die restliche Zeit wird der Rukuru-Fluss zu einem sandigen Rinnsal, das sich durch ausgedörrtes Land schlängelt. Aber engagierte Bäuerinnen wie Anita Chitaya lehnen es ab, Opfer zu sein. Zusammen mit der Organisation „Soils, Food and Healthy Communities“ arbeiten sie an praktischen Lösungen, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Dazu gehören Lehmöfen, die weniger Holz verbrauchen, Mischkulturen auf den Feldern und neue Kochrezepte. Und weil sie davon überzeugt ist, dass nur gerechte Gemeinschaften gesund sind, setzen sie sich für eine gerechte Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern ein.
Foto: Swathi Sridharan (CC-BY-SA-2.0)
Am Dorfplatz von Bwabwa, einem Dorf mit circa 800 Einwohner*innen, stehen an die hundert Menschen um Töpfe und Kochöfen. Die Kinder sehen kichernd den Kochversuchen ihrer Väter, Onkel und Nachbarn zu. Ein junger Mann zeigt einem Dorfältesten, wie man Süßkartoffel-Doughnuts brät. Auf der anderen Seite lehrt eine Frau ihren Nachbarn, aus Sorghum-Hirse ein nahrhaftes Porridge zuzubereiten. Über das ganze Geschehen wacht die energische Anita Chitaya, während sie den Kindern zeigt, wie man aus Bohnen Laibchen formt. Am Ende des Nachmittags wird das Essen verteilt. Die wohlschmeckendsten Gerichte bekommen einen Preis und sollen in Zukunft den Speiseplan der Familien ergänzen.
Dieser spielerische Wettbewerb ist Teil eines sozialen Experiments, das sich das Ziel gesetzt hat, die Ernährung der Bevölkerung zu verbessern und dabei die Gemeinschaften zu stärken. Es geht um den Erhalt der Bodengesundheit und der Biodiversität, die sparsame Verwendung von Wasser, die Speicherung von CO2 in der Erde, den Abbau der Verschuldung und die Unabhängigkeit vom internationalen Agro-Business, aber auch um eine gerechtere Aufteilung der Arbeitsbelastung zwischen Geschlechtern und Generationen.
Um die Jahrtausendwende haben die Bäuer*innen in Bwabwa noch konventionelle Landwirtschaft betrieben. Damals hatten die Menschen manchmal tagelang nichts zu essen, viele Kinder waren mangelernährt. Nun konnte die Klinik, die sich auf die Behandlung von unterernährten Kindern spezialisiert hat, aus Mangel an Patient*innen schließen. Die Experimente mit neuen Feldfrüchten haben die Gesundheit der Kinder deutlich verbessert. Trotz der COVID-19-Pandemie gibt es heute in Bwabwa heute keinen Hunger mehr.
Mehr als acht Millionen Menschen auf der ganzen Welt nehmen an diesem Experiment teil. Die Erfahrungen, die dabei gemacht wurden, haben bewiesen, welches Potenzial die ökologische Landwirtschaft für die Bekämpfung des Hungers hat. Trotzdem propagierte der UN-Welternährungsgipfel 2021 noch immer die industrielle Landwirtschaft. Die Sponsoren des Gipfels, darunter die Bill & Melinda Gates-Stiftung, setzen auf technische Lösungen und eine „Grüne Revolution“, obwohl längst offensichtlich ist, dass dieses Modell in Afrika gescheitert ist. Weil aber die Befürworter*innen der ökologischen Landwirtschaft zu wenige Ressourcen haben, um ihren Einfluss geltend zu machen, werden ihre Stimmen meist überhört.
Um die Welt mit genügend Nahrung zu versorgen, müsste mehr Nahrung produziert werden, behaupten die Konzerne. Im letzten Jahrzehnt hat die weltweite Nahrungsmittelproduktion jedoch den Bedarf bei Weitem übertroffen. Es wurden mehr Lebensmittel pro Person erzeugt als jemals zuvor, trotzdem hat der Hunger zugenommen. Die globalen und regionalen Ungleichheiten wurden durch die Pandemie noch verstärkt. Kleinbauern und Kleinbäuerinnen werden benachteiligt, obwohl sie es sind, die den Großteil der Menschheit ernähren. Mit anderen Worten: Mehr Nahrungsmittel haben mehr Hunger geschaffen. Hunger entsteht nicht, weil die Nahrung zu knapp ist, sondern weil die Menschen keine Macht haben, um sich Zugang dazu zu verschaffen. Deshalb müssen nicht mehr Nahrungsmittel aus der Erde gezogen werden, sondern festgefahrene Hierarchien und Ungleichheiten bekämpft werden.
Als die US-amerikanische Soziologin und Umweltwissenschaftlerin Rachel Bezner Kerr 2011 nach Malawi reiste, befand sich das Land Malawi mitten in einer Wirtschaftskrise. Weil die Regierung plötzlich die Subventionen für Kunstdünger gestrichen hatte, waren die davon abhängigen Bäuer*innen verzweifelt. Da traf die die Professorin die Krankenpflegerin Esther Lupafya, die ein Ernährungsprogramm in einer Mutter-Kind-Klinik in der Kleinstadt Ekwendi leitete. Zusammen machten sich die beiden Frauen auf die Suche nach Bäuer*innen, die bereit waren, neue landwirtschaftliche Methoden auszuprobieren. Eine davon war Anita Chitaya aus Bwabwa. Wo sich früher künstlich bewässerte Mais-Monokulturen aneinanderreihten, sind die Felder heute kleiner, verbrauchen weniger Wasser und erzeugen eine viel größere Vielfalt an Pflanzen. Der landwirtschaftliche Anbei ist ganz auf die Bedürfnisse der Familien und auf die Belastbarkeit der Böden abgestimmt.
Wie der Hunger gemacht wurde
Das nördliche Malawi hat nicht immer so ausgesehen. Als der Missionar David Livingstone 1858 die Region erreichte, war hier hauptsächlich Buschland. Die offizielle britische Verwaltung gründete 1891 das Protektorat Njassaland, und Tee, Zuckerrohr, Tabak und Baumwolle wurden ins Land gebracht. Um diese Produkte anbauen zu können, mussten zuerst die Einheimischen enteignet und von ihrem Land vertrieben werden. Weil die Plantagenbesitzer auch Arbeitskräfte benötigten, erhoben sie eine Hüttensteuer, die jährlich bezahlt werden musste. Um sie begleichen zu können, mussten die Menschen ihre Tiere verkaufen, bis sie nichts mehr hatten als ihre Arbeitskraft. So sind aus unabhängigen Bäuer*innen und Hirt*innen in Schuldknechtschaft gehaltene Tagelöhner*innen geworden, die für Hungerlöhne auf den Plantagen schuften mussten.
Nachdem Malawi 1964 die Unabhängigkeit erlangte, lebten die Menschen viele Jahre unter dem Joch des diktatorischen Regimes von Hastings Banda, der vom Westen mit großzügigen Krediten bedient wurde. Ziel der Investitionen war die Industrialisierung Malawis, doch die Schuldenrückzahlungen haben das Land an den Rand des Hungers gebracht. Obwohl Malawi im Jahr durchschnittlich 100 Millionen Dollar Schuldenrückzahlungen leistet, gehört es bis heute zu den höchstverschuldeten Ländern der Erde. Das fruchtbarste Ackerland wird für den Anbau von Exportfrüchten genutzt, anstatt Nahrung für die Bevölkerung produzieren. Das hat dazu geführt, dass viele Lebensmittel aus dem Ausland importiert werden müssen. 1992 wurde in einer Studie festgestellt, dass 55 Prozent der malawischen Kinder nicht die ihrem Alter entsprechende Größe erreicht hatten – ein deutliches Indiz für Mangelernährung.
Das globale Nahrungsmittelsystem wurde im Kolonialismus begründet, als die Landwirtschaft und die Besitzverhältnisse in großen Teilen des Südens umgestaltet wurden. Viele Millionen versklavter und in Schuldknechtschaft getriebene Arbeiter*innen wurden um die ganze Welt verschifft, um die Europäer*innen mit Zuckerrohr und anderen tropischen Früchten zu versorgen, an denen sie Geschmack gefunden hatten. Dieses System war mit dem Ende des Kolonialismus nicht beendet, die Abhängigkeiten sind sogar noch stärker geworden. Das liegt an den Bedingungen, die Internationale Finanzinstitutionen verschuldeten Ländern auferlegen. Um ihre Schulden bezahlen zu können, exportieren afrikanische Länder so gut wie alles. Die ökologische Landwirtschaft könnte die ärmsten Menschen der Welt von dieser Abhängigkeit befreien, aber genau deshalb wird sie von den globalen Agro- und Lebensmittelkonzernen als Bedrohung angesehen.
Ökologischer Landbau als Lösung für die Zukunft
Seitdem die Frauen in Malawi begonnen haben, auf ihren Feldern Erdnüsse, Mais und Bohnen mit anderen Feldfrüchten zu kombinieren, hat sich die Fruchtbarkeit der Böden deutlich verbessert und sie brauchen keinen Kunstdünger mehr. Der Anbau von Fingerhirse war zuvor vernachlässigt worden, weil das Getreide auf dem Markt keine Dollars einbringt. Dabei handelt es sich jedoch um eine besonders proteinreiche Getreideart, die auch bei Trockenheit gut wächst. Die am Experiment teilnehmenden Bäuer*innen treffen sich regelmäßig, um ihre Erfahrungen, ihr Wissen und Saatgut auszutauschen, so dass inzwischen mehrere Tausend Haushalte am Projekt teilnehmen. Und da alle Bäuer*innen andere Pflanzen anbauen, werden die Experimente kontinuierlich fortgesetzt.
Bald erkannten die Menschen, dass sie sich zwar von äußeren Abhängigkeiten befreien konnten, nicht aber von der inneren Ungleichheit. Für viele der täglichen Arbeiten wie Kochen, Wasserholen und Kindererziehung sind traditionell die Frauen zuständig. Der Klimawandel hat ihre Arbeitsbelastung vergrößert, da sie für sauberes Trinkwasser weite Strecken zurücklegen müssen. Eine große Sorge der Männer war jedoch, von ihren Freunden ausgespottet werden, wenn sie Frauenarbeit machen. Das hat SFHC dazu bewogen, öffentliche Kochwettbewerbe abzuhalten. Und diese waren ein großer Erfolg: Alle Männer haben mitgemacht – und es hat ihnen Spaß gemacht. Damit konnten nicht nur die Essenskultur, sondern auch die Machtverhältnisse innerhalb der Familien verändert werden. Durch den neuen Speiseplan hat sich zudem die Ernährungssituation deutlich verbessert. In allen am Projekt beteiligten Dörfern haben die Kinder die für ihr Alter übliche Größe erreicht.
Ökologischer Landbau bedeutet nicht nur, auf die Bedürfnisse der Menschen zu achten, sondern auch auf die der Ökosysteme, von denen sie abhängig sind. Um Monokulturen anzubauen, werden spezielles Saatgut, Dünger, Pestizide, Herbizide und große Mengen Wasser benötigt, um die Erträge zu steigern. Im ökologischen Landbau dagegen werden Schädlinge nicht ausgerottet, sondern durch Vielfalt ein ökologisches Gleichgewicht erzeugt. Kleine Ernteschäden werden hingenommen, aber dafür kann durch Biodiversität ein robustes und nachhaltiges Ökosystem geschaffen werden.
Ökologischer Landbau gewinnt angesichts der Zunahme von ex-tremen Wetterphänomenen immer mehr Bedeutung, weist der Ökonom und Ernährungsexperte Raj Patel hin. Als der Hurrikan „Ike“ 2008 Kuba verwüstete, stellte man fest, dass die Felder der Landwirte, die konventionellen Anbau betrieben, sechs Monate brauchten, um sich zu erholen. Felder, auf denen vielfältiger ökologischer Anbau betrieben wird, konnten dagegen innerhalb von zwei Monaten nach dem Sturm wiederhergestellt werden. Das hänge damit zusammen, so Patel, dass deren Humusschicht viel größer sei und deshalb nicht so leicht durch Überflutungen abgetragen werde.
Ökologischer Landbau ermöglicht Kleinbauern und Kleinbäuerinnen ein regelmäßiges Einkommen. Mit konventioneller Landwirtschaft können zwar zur Erntezeit größere Einnahmen erzielt werden, diese gehen jedoch meist in die Rückzahlung der Schulden, die für den Ankauf von Saatgut, Dünger und Pestiziden aufgenommen werden mussten. Mit dem Anbau vieler unterschiedlicher Feldfrüchte können dagegen das ganze Jahr über Einnahmen gemacht werden. Missernten oder sinkende Weltmarktpreise bei bestimmten Landwirtschaftsprodukten können durch andere ausgeglichen werden. Weil die Bäuer*innen nicht von Banken abhängig sind, schaffen sie eigene Wirtschaftskreisläufe. An vielen Orten wurden lokale Getreidespeicher errichtet, um für magere Zeiten vorzusorgen. Bauernfamilien können mit intensiver ökologischer Landwirtschaft nicht nur ihr Einkommen verbessern und sich gesünder ernähren, sondern auch neue Netzwerke aufbauen, um Erfahrungen auszutauschen. Deshalb ist das, was heute in Malawi und anderen Teilen der Welt passiert, von enormer Bedeutung für die Zukunft unseres Planeten.
Quellen: Soils, Food and Healthy Communities: soilandfood.org
Raj Patel: Agroecology Is the Solution to World Hunger. In: Scientific America, November 2021, www.scientificamerican.com
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veröffentlicht in Talktogether Nr. 79/2022
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