Gespräch mit Asha und Sucdi, Wadajir
Somalischer Frauenverein für Frauenrechte,
Bildung und Integration in Wien
Foto: © UNHCR/Stefanie Steindl
TT: Was bedeutet Wadajir?
Sucdi: Wadajir ist ein somalisches Wort, es bedeutet Gemeinschaft, Zusammenarbeit. Wir haben uns diesen Namen für unseren Verein ausgesucht, weil wir überzeugt sind, dass wir gemeinsam mehr erreichen können. Durch Zusammenarbeit und gemeinsame Anstrengungen wollen wir dazu beitragen, dass Frauen, die aus Somalia geflohen sind und jetzt in Österreich leben, hier Fuß fassen und ein besseres Leben führen können.
TT: Worauf bezieht sich das „Gemeinsam“?
Asha: Auf uns Frauen! Wir sind überzeugt, dass wir gemeinsam stärker sind als allein, und dass wir es schaffen können, Hindernisse zu überwinden und unsere Ziele zu erreichen, wenn wir zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen. Frauen sind das Rückgrat einer Gesellschaft. Sie spielen eine wichtige Rolle in der Familie und in der Community. Wenn wir die Frauen erreichen, erreichen wir die ganze Familie.
TT: Was waren die Gründe, diesen Verein zu gründen?
Asha: Wir haben gesehen, dass viele somalische Frauen in Wien sehr zurückgezogen leben und keinen Platz haben, wo sie zusammenkommen können. Manche Frauen gehen nur selten raus und bleiben eher unter sich. Das wollen wir ändern. Wenn wir miteinander reden, können wir uns gegenseitig unterstützen. Wir möchten den Frauen helfen, ihre Scheu zu überwinden, und sie motivieren, aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen.
Sucdi: Den Frauen der somalischen Community fehlen oft wichtige Informationen. Sie lesen keine Zeitungen oder sehen keine Nachrichten im Fernsehen an. Deshalb bekommen sie viele Neuerungen nicht mit. Wir wollen sie informieren, zum Beispiel über neue Asylbestimmungen oder wie jetzt über Corona-Vorschriften. Wir übersetzen diese Informationen in die somalische Sprache und informieren die Frauen. Wir unterstützen uns auch gegenseitig. Wer zum Beispiel zum Arzt muss und Begleitung braucht, schreibt das in unsere Whatsapp-Gruppe, und es findet sich immer jemand, der Unterstützung anbieten kann.
Asha: Viele der somalischen Frauen hier in Wien haben keinen Zugang zu Bildung gehabt. In den letzten 30 Jahren hat in Somalia Krieg geherrscht, deshalb konnten sie nicht in die Schule gehen. Sie sind nach Österreich geflüchtet und haben hier eine Familie gegründet. Sie haben jedoch nicht genug Informationen, sie haben Schwierigkeiten mit der Sprache und verstehen das System hier in Österreich nicht.
TT: Was sind die Ziele eures Vereins?
Asha: Unsere Ziele sind Information und Aufklärung über Bildung, Gesundheit und Gewaltprävention. Ein großes Thema in unserer Community ist FGM, die Genitalverstümmelung von Mädchen. Wir wollen über die schwerwiegenden Langzeitfolgen aufklären, die dieser Eingriff mit sich bringt, damit diese schädliche Tradition endlich abgeschafft wird. Wir informieren sie auch über die gesetzliche Lage und dass FGM in Österreich strafbar ist, aber auch darüber, welche Möglichkeiten es für betroffene Frauen gibt. Vor allem ist Empowerment unser Ziel. Wir wollen die Frauen stärken und ihnen zeigen, welche Möglichkeiten zur Weiterbildung sie hier in Österreich haben.
TT: Ist FGM auch in Österreich ein Problem? Wird dieser Eingriff bei Mädchen durchgeführt, die hier leben?
Asha: Bis jetzt haben wir nicht davon erfahren. In Somalia ist der Druck von der Familie oft sehr stark, dass sich die Frauen nicht dagegen wehren können. Aber die meisten Somalier*innen sind Konventionsflüchtlinge und dürfen gar nicht nach Somalia reisen. Trotzdem ist es wichtig, dafür Bewusstsein zu schaffen, damit wir die Kinder, die hier geboren werden, schützen können. Wir wollen die Mütter stärken, damit sie ablehnen, dass ihren Töchtern so etwas angetan wird. Viele Mädchen und junge Frauen sind aber schon in Somalia beschnitten worden. Sie leiden oft unter gravierenden gesundheitlichen und psychischen Problemen. Wir beraten und informieren sie, welche Möglichkeiten der Behandlung es gibt. Dabei arbeiten wir mit dem Frauengesundheitszentrum FEM-Süd zusammen und organisieren Vorträge, um die Frauen zu informieren, welche Möglichkeiten der Behandlung und Unterstützung es für Betroffene gibt.
TT: Welche Argumente gibt es, die Beschneidung an Mädchen durchzuführen?
Sucdi: Es gibt keine Begründung, außer, dass es eine kulturelle Tradition ist, und dass es schon immer so war. Wenn die Frauen informiert sind und wissen, wie schädlich dieser Eingriff ist, sind sie gestärkt und können sich dagegen wehren, dass er an ihren Töchtern durchgeführt wird.
TT: Wie nehmen die Frauen eure Angebote an?
Asha: Wir haben einen guten Draht zu den Frauen, da wir selbst aus Somalia stammen, wir sprechen die gleiche Sprache, wir kennen die Kultur und wir sind gut in der Community vernetzt. Deshalb vertrauen uns die Frauen.
TT: Sind bei euch nur Frauen Mitglieder, oder gibt es bei euch auch Männer?
Asha: In unserem Verein sind nur Frauen Mitglieder. Wenn Männer oder Kinder sich an uns wenden, informieren und beraten wir sie natürlich auch, aber die Basis unseres Vereins bildet die Solidarität der Frauen.
TT: Wie hat sich die Corona-Krise auf eure Arbeit ausgewirkt?
Asha: Zuvor haben wir einmal im Monat ein Frauencafe in den Räumlichkeiten der MA17 abgehalten. Es diente als Treffpunkt für Somalierinnen in Wien, wir haben aber auch Expert*innen eingeladen, die über bestimmte Themen informiert haben, beispielsweise Mitarbeiter*innen der Wiener Polizei und der Kinder- und Jugendhilfe. Seit Corona ist es leider nicht mehr möglich, uns dort zu treffen. Um weiterhin in Kontakt zu bleiben, haben wir eine Whatsapp-Gruppe gegründet, die derzeit 65 Mitglieder hat.
Sucdi: Über diese Gruppe tauschen wir Informationen aus, zum Beispiel, welche Corona-Maßnahmen gerade gelten. Wir übersetzen die Regeln und verschicken Sprachnachrichten, damit sie auch von den Frauen verstanden werden, die nicht lesen und schreiben können. Wichtige Informationen veröffentlichen wir auch auf Facebook und Twitter. Wir informieren über Online-Deutschkurse und Freizeitangebote für Kinder. Bei Online-Deutschkursen haben die Frauen oft große Probleme mit der Nutzung der Videochat-Programme. Dann erklären wir ihnen, wie ZOOM funktioniert, und meistens klappt es dann auch.
TT: Was sagen die somalischen Männer über eure Arbeit? Gibt es auch manche, die euch nicht mögen?
Sucdi: Nein, nein, von den Männern haben wir nichts gehört. Aber von den Frauen bekommen wir viele positive Rückmeldungen. Sie sagen, dass sie unsere Angebote gerne nutzen und dass sie über unsere Gruppe wichtige Informationen bekommen.
TT: Ist es euch gelungen, alle Menschen somalischer Herkunft zusammenzubringen?
Sucdi: Bei uns machen alle mit. Die Frauen haben die Erfahrung gemacht, dass wir sie mit unserer Expertise unterstützen können, und sie sehen, dass wir allen Frauen helfen, egal aus welcher Region sie stammen oder welcher Gruppe sie angehören. Frauen sind Frauen und haben dieselben Probleme.
TT: Wie können Konflikte innerhalb der somalischen Community gelöst werden?
Asha: Durch Vorbildwirkung. Wir sind eine kleine Gruppe, wir arbeiten zusammen, wir unterstützen alle ohne Unterschied, und die Leute sehen, dass es funktioniert.
TT: Mit welchen Herausforderungen seid ihr konfrontiert?
Asha: Die Pandemie ist eine große Herausforderung. Wir haben auch bis jetzt keine Förderungen bekommen und leisten die ganze Arbeit ehrenamtlich. Ein weiteres Problem ist, dass wir keine Räumlichkeiten haben. Manchmal dürfen wir für unsere Treffen Räume der MA17 oder im Amerlinghaus nutzen.
TT: Wie war euer Leben vor der Flucht nach Europa?
Sucdi: Ich habe vor meiner Flucht in Somalia im Frauenministerium und für eine UN-Organisation gearbeitet, wo ich für die Finanzierung von Projekten zuständig war. Die Themen dieser Projekte waren u.a.: Kampf gegen FGM, die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen, Bewusstsein für HIV/Aids sowie Bildung und Empowerment. Wir haben Frauen auch finanziell mit Kleinkrediten unterstützt, die ein kleines Unternehmen gründen wollten. Zielgruppen waren Frauen zwischen 16 und 30 Jahren, die Projekte wurden in Süd- und Zentralsomalia durchgeführt, aber wir haben auch mit Organisationen in Puntland (Nordostsomalia) und Somaliland (Nordsomalia) zusammengearbeitet.
Asha: Ich habe in Somalia für kleine Frauenprojekte gearbeitet und war im ganzen Land unterwegs, um diese Projekte zu besuchen. Die meisten Menschen in Somalia haben ökonomische Probleme und müssen ums Überleben kämpfen. Oft werden nur die Burschen in die Schule geschickt, die Mädchen müssen sich um den Haushalt kümmern, während die Mutter z.B. als Marktverkäuferin tätig ist, um die Familie zu ernähren. Das von der UNWFP (World Food Programm) finanzierte Projekt „Food for Training“ hat diese Familien mit Essen unterstützt, damit auch die Mädchen in die Schule gehen können. Außerdem habe ich ein Projekt geleitet, das Schulkinder mit Essen versorgt hat. In Somalia gibt es oft Dürren. Damit die Kinder auch während dieser schwierigen Zeit in die Schule gehen können, bekommen sie in der Schule täglich eine Mahlzeit. Wegen der prekären Sicherheitslage konnte ich meine Arbeit jedoch nicht weiterführen und musste das Land verlassen. Durch die Gewalt habe ich viele Kolleg*innen verloren.
Sucdi: Bei mir war es genauso. Die fehlende Sicherheit ist das Hauptproblem in Somalia, vor allem in Süd- und Zentralsomalia.
Asha: Hier in Wien bin ich im Verein Nachbarinnen als Sozialassistentin tätig, ich führe Beratungsgespräche und Begleitungen durch. Ich mache Hausbesuche bei den Familien und frage sie, welche Probleme sie haben, dann besprechen wir gemeinsam mögliche Strategien, die ihre Situation verbessern könnten. Es geht um Gesundheit, Weiterbildung, Schulprobleme der Kinder, familiäre oder psychische Probleme. Ich informiere sie, welche Anlaufstellen es in Wien gibt. Ich habe auch eine Moderations-Ausbildung am Katholischen Bildungswerk absolviert. Bei den Erziehungsgesprächen „eltern.tisch“ treffen sich Eltern bei einer Gastgeberin zu Hause, die einen Gutschein über 20 Euro für Kaffee und Kuchen bekommt. Die Frauen wählen dann ein Thema, das sie gerade beschäftigt, z.B. Kinder stark machen, und tauschen gegenseitig Erfahrungen und Informationen aus. Ich moderiere das Gespräch und rege es durch Fragen an.
TT: Was sind eure Pläne für die Zukunft?
Sucdi: Unser großer Wunsch ist ein Alphabetisierungsprogramm für Frauen. Seit mehr als 30 Jahren herrscht in Somalia Krieg. Viele der Frauen, die nach Österreich geflüchtet sind, sind während des Bürgerkriegs aufgewachsen und haben nie einen Zugang zu Bildung gehabt. Vom AMS werden sie dann in einen Deutschkurs geschickt. Weil sie aber auch in ihrer Muttersprache nicht oder kaum lesen und schreiben können, ist es für sie sehr schwierig, dem Kurs zu folgen, und sie schaffen es nicht, die A1-Prüfung zu bestehen. Für diese Frauen ist es enorm wichtig, zuerst in ihrer Muttersprache Lesen und Schreiben zu lernen. Wir kennen auch genügend junge Frauen, die hier aufgewachsen sind, die die Kompetenz haben, diese Frauen zu unterrichten.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 79/2022
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