„Kommt, hört, tanzt und esst!“
Eindrücke vom Internationalen Romatag in Salzburg
Unter dem Motto „Kommt, hört, tanzt und esst!“ wurde der diesjährige Internationale Romatag im Salzburger Jazzit gefeiert. Seit 1990 wird an diesem Tag weltweit auf die Diskriminierung und Verfolgung von Angehörigen dieser Minderheit aufmerksam gemacht. Das Datum erinnert an den Ersten Welt-Roma-Kongress am 8. April 1971 in London, in dessen Mittelpunkt der nationalsozialistische Völkermord, der Kampf um soziale Gleichberechtigung, Bewahrung von Sprache und Kultur sowie die Ablehnung von diskriminierenden Fremdbezeichnungen (wie Zigeuner oder Gypsy), standen. Ziel war es, die Roma weltweit zu organisieren und zu mobilisieren. Diese erste internationale Zusammenkunft war Zeichen eines neuen Selbstbewusstseins, das seinen Ausdruck in einer eigenen Hymne, (Djelem, Djelem – auf meinem sehr, sehr langem Weg), der eigenen Flagge mit dem roten Speichenrad und der Einigung auf die Selbstbezeichnung Roma fand. Trotz Fahne und Hymne haben die Roma aber keinen eigenen Staat und auch nie einen Anspruch darauf erhoben.
Vesna Kilom (Salzburg), Nicole Sevik (Linz), Erika Thurner (Universität Innsbruck), Sieglinde Schauer-Glatz (Tirol) und Heidi Schleich (Innsbruck).
Starke Frauen als Vorbilder
Eingeleitet wurde die Veranstaltung mit einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Romnja und Sintizze im Gespräch über Anerkennung und Frauenrechte“, die von in Erika Thurner moderiert wurde. Vesna Kilom, die das Fest zusammen mit Alina Kugler organisiert hat, kam Anfang der 1970er Jahre als Kind einer Gastarbeiterfamilie aus dem damaligen Jugoslawien nach Salzburg. Die Eltern schufteten auf der Baustelle und in der Fabrik, der Vater starb früh und Vesna hatte als Kind ein hartes Leben. Später als musste sie sich als alleinerziehende Mutter von drei Kindern durchkämpfen und sparte mühsam das Geld für die Staatbürgerschaft mühsam zusammen, damit es ihre Kinder und Enkel besser haben. Ihr Engagement für die Anliegen der Roma begann, als sie im Jahr 2021 von einer Gruppe von Studierenden des Mozarteums Salzburg eingeladen wurde, sich an der Audioinstallation „Als alle Ohren hören konnten“ im ehemaligen Lager Maxglan zu beteiligen und einen Brief an die Verstorbenen zu verfassen und aufzunehmen.
Nicole Sevik erzählte über ihre Großmutter, die KZ-Überlebende Rosa Winter und ihre Mutter, die Autorin Rosa Gitta Martl, die mit den Büchern Bleib stark (2019) und Uns hat es nicht geben sollen (2004, herausgegeben von Ludwin Laher) über ihre Familiengeschichte berichtete. Rosa Winter wurde als 15-Jährige zuerst in der Salzburger Pferderennbahn (heute Ignaz-Rieder-Kai) und später im Zwangsarbeitslager Maxglan interniert. Dort wurde sie als Komparsin für den Film „Tiefland“ von Leni Riefenstahl engagiert und nach Mittenwald gebracht. Sie floh von den Dreharbeiten, wurde aber aufgegriffen und zur Strafe für ihre Flucht ins KZ-Ravensbrück gebracht. Sie überlebte als einzige von 12 Geschwistern, auch die meisten Angehörigen ihrer Großfamilie wurden im KZ ermordet. Trotz dieser Erfahrungen war sie nie verbittert und hat uns nie Hass mitgegeben, erzählt Nicole.
Doch auch nach der Rückkehr aus dem Konzentrationslager war der Kampf noch nicht zu Ende. Rosa Winter musste für die österreichische Staatsbürgerschaft kämpfen, da sie wie die meisten Rom*njia und Sinti*zze damals als Staatenlose eingestuft war. Erst 1991 wurde Rosa Winter wieder österreichische Staatsbürgerin, erhielt Reisepass und eine kleine Opferrente. „Dieser Erfolg hatte zur Folge, dass andere Sinti und Roma zu meiner Mutter kamen und sie um Hilfe baten“, erzählt Nicole. Sehr viele waren nämlich in einer ähnlichen Situation wie ihre Großmutter. Daraus ist dann der Wunsch entstanden, eine Organisation zu gründen, die die Interessen der Sinti und Roma vertritt.
1996 wurde dann der Verein Ketani von Rosa Gitta Martl und ihrem Bruder Albert gegründet. „Unsere erste Arbeit es war, die NS-Opfer beim Ausfüllen der Antragsformulare zu unterstützen. Alles, was wir hatten, war ein kleiner Computer, der in unserem Wohnzimmer stand, und dort lagen immer viele Papiere herum“, erinnert sich Nicole. Um Entschädigungszahlungen beantragen zu können, mussten nämlich sehr umfangreiche Formulare mit bis zu 14 Seiten ausgefüllt werden. Damit waren die Leute überfordert, denn die wenigsten aus der Generation von Nicoles Großmutter konnten gut Lesen und Schreiben. Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus zögerten auch viele, sich als Rom*njia und Sinti*zze zu deklarieren, doch da die meisten das Geld brauchten, stellten sie die Anträge.
Zur Rolle der Frauen erzählte Nicole, dass die Sinti-Frauen traditionell immer eigenständig gewesen seien, da sie als fahrende Händlerinnen immer ihr eigenes Geld verdient hatten und nie von den Männern abhängig gewesen waren. Trotzdem seien Frauen als Führungspersonen eines Vereins eine Besonderheit gewesen. Es habe sie sehr gestärkt und ermutigt, in ihrer Großmutter und ihrer Mutter zwei so starke Frauen als Vorbilder gehabt zu haben.
Der lange Weg zur Anerkennung
Da Tina Nardai, die Vertreterin der Burgenland-Roma nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte, lieferte die Historikerin Erika Thurner wichtige Eckpunkte der Geschichte der Minderheit, die seit 1993 als autochthone österreichische Volksgruppe anerkannt ist. In Deutschland wurden in den 1950er Jahren Vereine von Roma und Sinti gegründet, 1980 verliehen 12 Sinti-Aktivisten, darunter vier Holocaust-Überlebende und der jetzige Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma Romani Rose, durch einen Hungerstreik im ehemaligen KZ-Dachau ihrer Forderung nach Ankerkennung des Völkermords an den Sinti und Roma Nachdruck. Der Protest löste eine breite Solidaritätswelle aus, die schließlich in der Ankerkennung 1982 durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt mündete.
In Österreich gab es damals nur wenige Roma und Sinti, die sich offen zu ihrer Identität bekannten. Der erste Schritt zur Anerkennung der Volksgruppe war die Einweihung des Mahnmals für die NS-Opfer im ehemaligen „Zigeuner-Anhaltelager“ im burgenländischen Lackenbach im Jahr 1984, ein Jahr danach ließ die Stadt Salzburg das Mahnmal für Roma und Sinti auf dem Gelände der ehemaligen Trabrennbahn errichten. 1988 bekannte Bundeskanzlers Franz Vranitzky erstmals die Mitschuld Österreichs an den NS-Verbrechen und nannte die Gruppe der Roma und Sinti explizit als NS-Opfer. Zwischen 1989 und 1991 wurden erste Roma-Vereine gegründet. Das Attentat im Februar 1995 in Oberwart, dem vier junge Männer zum Opfer fielen, machte landesweit auf diese Bevölkerungsgruppe aufmerksam. Die Polizei verdächtigte jedoch zuerst die Opfer selbst. Kriminalpolizeiliche Untersuchungen bestätigten jedoch, dass es sich um ein rassistisch-motiviertes Sprengstoffattentat gehandelt hat. Die Version von einer internen Fehde wurde trotzdem weiterhin verbreitet und von Jörg Haider für seine rassistische Propaganda verwendet. Durch die mediale Aufmerksamkeit wuchs jedoch auch das öffentliche Bewusstsein für die Anliegen der Minderheit, zahlreiche Bildungsprojekte wurden gefördert, darunter auch die Verschriftlichung des Burgenland-Romanès.
Die Jenischen – eine unbekannte Minderheit fordert Respekt
Weniger bekannt als Geschichte, Kultur und Sprache der Roma ist die Volksgruppe der Jenischen, die von der Mehrheits-bevölkerung oft als Fremde und Eingewanderte eingestuft wurden und deren Sprache und Kultur durch Diskriminierung und Kriminalisierung ins Verborgene gedrängt wurde. Tatsächlich handelt es sich bei den Jenischen um Nachfahren von verarmten Teilen der Bevölkerung vor allem aus Bergregionen, die als Besitzlose in der frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert zu einer umherreisenden Lebensweise gezwungen wurden. Um sich auf ihren Unterhalt zu verdienen, transportierten sie Waren und Nachrichten oder reparierten Gebrauchsgegenstände. Aus dieser fahrenden Lebensweise hat sich eine eigenständige Sprache und Kultur entwickelt. Ähnlich wie Sinti und Roma waren die Jenischen von Ausgrenzung und Diskriminierung durch die sesshafte Bevölkerung betroffen und wurden zu Opfern der NS-Vernichtungspolitik. Im Gegensatz zu letzteren sind sie in Österreich aber bis heute nicht als Volksgruppe anerkannt.
Die Schriftstellerin Sieglinde Schauer-Glatz wurde als uneheliches Kind jenischer Eltern schon als Baby in eine Pflegefamilie gegeben. Sie wuchs bei einer streng katholischen Bauernfamilie auf und musste von klein auf hart arbeiten. Ihre leibliche Mutter war als fahrende Händlerin unterwegs und verkaufte im Tiroler Oberland Textilien, die sie aus Vorarlberg holte. Lange hatte Sieglinde keine Ahnung über ihre Wurzeln. Erst als der jenische Autor Romed Mungenast in den späten 1990er Jahren begonnen hat, die Geschichte der Jenischen in Tirol zu erforschen, deren Kultur zu dokumentieren und Gedichte in jenischer Sprache zu veröffentlichen, begann Sieglinde sich mit der leidvollen Geschichte ihrer Vorfahren auseinanderzusetzen und sich für die Anerkennung der Minderheit zu engagieren.
Jenische haben eine eigene Sprache, die traditionell nur mündlich innerhalb der Familien weitergegeben wird, erklärte die Sprachforscherin Heidi Schleich. Sie habe ihre Wurzeln im Deutschen bzw. in regionalen Dialekten und ist durch zahlreiche kreative Wortschöpfungen gekennzeichnet. Auch Begriffe aus anderen Sprachen, beispielsweise aus dem Romanès, wurden integriert. Auch wenn es regionale und gruppenspezifische Unterschiede gibt, können sich Jenische auch über Ländergrenzen hinweg in ihrer Sprache untereinander verständigen. Man schätzt, dass 500.000 Jenische in Europa (vor allem in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz) leben. Bisher ist es den Jenischen nur in der Schweiz gelungen, 2016 eine Anerkennung als Minderheit zu erkämpfen. In Österreich läuft gerade eine an die Bundesregierung gerichtete Petition um Anerkennung der Jenischen als Volksgruppe. Es geht dabei vor allem um Wertschätzung und Respekt, betont Heidi Schleich.
An der Geschichte der Jenischen können wir Parallelen erkennen zu den Millionen Menschen auf dieser Welt, die durch Armut und Chancenlosigkeit aus ihren Herkunftsländern vertrieben und auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten zur Migration gezwungen werden. Armutsmigrant*innen sind auch im heutigen Europa von Diskriminierung betroffen, haben weder Anspruch auf Sozialleistungen noch freien Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und sind rassistischen Angriffen ausgesetzt.
Nach dieser spannenden und höchst informativen Podiumsdiskussion gab es bei gutem Essen und Live-Musik Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam die Vielfalt der Kulturen zu feiern.
Mehr Infos: Artikel von Erika Thurner: https://www.romarchive.eu/de/collection/p/erika-thurner/ Jenische in Österreich: www.jenische-oesterreich.at/ Initiative Minderheiten: https://minorities.at/jenische/
veröffentlicht in Talktogether Nr. 80 / 2022
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