Traumaweitergabe in verfolgten slowenischen Familien PDF Drucken E-Mail

Vererbte Wunden


In ihrem Buch „Das Gestern im Heute begreifen – Traumaweitergabe in verfolgten slowenischen Familien“ beschreibt die Psychotherapeutin Gitka Opetnik anhand von drei Beispielen, welche Spuren die schwerwiegenden Traumatisierungen der Opfer des NS-Regimes auch noch in den nachfolgenden Generationen hinterlassen haben. Heute, wo der Krieg wieder in Europa Einzug gehalten hat, gibt uns dieses Buch wertvolle Einblicke, welche langfristigen Auswirkungen Gewalt, Ausgrenzung und Abwertung auf Individuen und Gesellschaft haben.

„Die Beschäftigung mit der NS-Geschichte sollte für alle Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen Pflicht sein, ist es aber nicht. Den Folgen des Terrors, mit dem die Nazis Europa überzogen, konnte sich keine Familie entziehen, gleichgültig, ob sie sich auf der Seite der Opfer, der Täter, Mitläufer oder Bystander befand. Auch wenn diese Folgen vergessen oder in Schweigen versenkt wurden, wirken sie noch nach. Auch wenn die Eltern schweigen oder sich in eine ablenkende Kommunikation flüchten, spüren die Kinder das schmerzende Trauma wie einen in der Familie rumorenden Hausgeist und als ein un-finished business. Sie suchen wie im Nebel nach Antworten und Lösungen, die Entlastung bringen.“ (Klaus Ottomeyer)

Während der NS-Zeit wurden die Kärntner Slowen*innen Opfer von Verfolgung, Deportation und Denunziation und waren zudem von der Auslöschung ihrer Muttersprache und Kultur bedroht. Die Folgen dieser tiefgreifenden individuellen und kollektiven Traumatisierungen können jedoch nicht nur bei Personen beobachtet werden, die den Gräueltaten selbst ausgesetzt waren, sondern auch bei deren Nachkommen. Die Nachwirkungen dieser Verbrechen können sogar bis in die dritte und vierte Generation hineinwirken, selbst wenn innerhalb der Familien nie darüber gesprochen wurde.

Die Psychotherapeutin Gitka Opetnik, selbst Angehörige der slowenischen Minderheit in Kärnten, behandelt in ihrer Praxis drei Frauen, deren Eltern und Großeltern Opfer der NS-Verfolgung waren. Die Betroffenen leiden unter Selbstzweifel, Scham- und Schuldgefühlen, Flashbacks und Albträumen, Schreckhaftigkeit und Depressionen. Diese Symptome werden jedoch von den Betroffenen nicht mit den Tragödien der Vergangenheit in Zusammenhang gebracht.

Bei vielen Nachkommen von NS-Opfern zeigt sich auch eine eigentümliche Angst vor einer jederzeit möglichen Katastrophe, die sehr unterschiedliche Formen annehmen kann. Diese Angst kann jedoch durch den Schock oder die Abfolge von Schocks erklärt werden, die der NS-Terror bei ihren Vorfahren ausgelöst hat. Wenn eine Patientin berichtet, dass sie bei Einbruch der Dunkelheit mehrfach kontrollieren muss, ob alle Fenster und Türen verschlossen sind, mag das auf den ersten Blick unverständlich sein. Wenn man aber erfährt, dass ein oder zwei Generationen davor am Abend bewaffnete Angreifer ins Haus eingedrungen waren und die Bewohner*innen misshandelt hatten, ergibt ihre Angst einen Sinn.

Das verborgene Trauma zeigt sich häufig als schwarzes Loch, das erst nach und nach seine Inhalte preisgibt. Durch die behutsame Erforschung ihrer Familiengeschichten gelingt es den Frauen, Schritt für Schritt den Ursachen für ihre unerklärlichen Ängste und Erschöpfungszustände auf die Spur zu kommen. Die vorsichtige Annäherung an die belastenden Szenen ermöglicht den Betroffenen Entlastung und Neuorientierung, um der Trauer und der Anerkennung des Erlebten einen Raum zu bieten und sich in weiterer Folge damit auseinandersetzen zu können.

Mehrfache Traumatisierung

Die Weitergabe von Traumata beschränkt sich jedoch nicht auf die Familie, sondern steht im gesellschaftlichen Zusammenhang. Verstärkt wird sie durch traditionelle autoritäre Gewaltbeziehungen, die nicht nur bei den Familien der Täter*innen, sondern auch bei denen der Opfer zu finden sind. Dadurch werden die Heranwachsenden doppelt traumatisiert.

Die nationalsozialistische Erziehungsdoktrin hat bis heute Spuren hinterlassen. In ihrem 1934 erschienenen gelesenen Ratgeber „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ empfiehlt Johanna Haarer, das schreiende Kind nicht hochzuheben und zu trösten, sondern seine Bedürfnisse zu ignorieren. Das Ziel der Erziehung war es, gefügige, gehorsame und genügsame Menschen heranzuziehen. Noch lange nach dem Krieg wurden diese Ratschläge verbreitet und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Die in der Kindheit erfahrene Härte und Lieblosigkeit führt beim Heranwachsenden jedoch zu mangelnder Einfühlung sowohl in andere als auch in sich selbst, sowie zur Verachtung des vermeintlich Fremden und Schwachen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die slowenische Volksgruppe in Kärnten auch noch lange nach dem Krieg diskriminiert, dem Druck zur Assimilierung ausgesetzt und zur Aufgabe ihrer Muttersprache gedrängt wurde. Das kann einerseits zum Wunsch, nur ja nicht aufzufallen, andrerseits zu einer besonderen Sensibilität gegenüber unterdrückenden Strukturen – etwa im Arbeitsleben – und faschistischen Tendenzen in der Gesellschaft führen, so dass aktuelle politische Ereignisse als bedrohlich erlebt werden und neuerliche Traumatisierungen auslösen können.

Psychodrama und Szenisches Verstehen

Die der Therapie zugrundeliegenden Theorien und die angewandten Methoden werden im Buch ausführlich und in Bezug zur Praxis dargestellt, so dass sie gut verständlich sind.

Das Psychodrama ist eine Methode, die vom österreichischen Arzt Jacob Levy Moreno (1890–1974) in Wien und New York als Therapiemethode entwickelt wurde. Der Klient oder die Klientin erhält auf der Psychodrama-Bühne die Möglichkeit, als Hauptdarsteller*in sein/ihr Thema zu inszenieren, kreative Lösungen auszuprobieren und damit zu experimentieren. Dabei gibt es immer sichtbare und unsichtbare MitspielerInnen: Lebende und verstorbene Familienmitglieder, Gefühle, traumatische Erfahrungen, ungeliebte und kraftgebende Aspekte der eigenen Person, hilfreiche Geister usw. Obwohl ursprünglich als Gruppenpsychotherapie konzipiert, kann das Psychodrama auch als Monodrama in der Einzelarbeit angewendet werden. In Gitka
Opetniks Praxis werden die eingeladenen Mitspieler*innen als Spielfiguren auf der TischbĂĽhne, mithilfe von Zeichnungen oder als StĂĽhle und Kissen im Therapieraum dargestellt.

Darüber hinaus gibt das Buch eine Einführung in die Methode des szenischen Verstehens. Bei dieser von Alfred Lorenzer entwickelten Methode eines tiefenhermeneutischen Interpretierens der Erzählungen der Patientin oder des Patienten, wird deren latenter Sinn über die Wirkung ihrer Worte auf das Unbewusste des Analytikers/der Analytikerin erschlossen. Das bedeutet, dass der Therapeut oder die Therapeutin keine neutralen Außenstehenden sind, sondern selbst die Bühne betreten und sich auf das Spiel mit ihren Patient*innen einlassen.

Gitka Opetnik hat sich in ihrer therapeutischen Selbsterfahrung den Traumata ihrer eigenen Vorfahren gewidmet: Dass ihr Onkel als Mitglied der Zeugen Jehovas und Kriegsdienstverweigerer hingerichtet wurde, hat sie gewusst, dass ihre Großmutter die NS-Psychiatrie überlebt hatte, jedoch erst durch ihre Recherchen erfahren. Die eigenen Narben dienen in Therapieprozess als Sensoren für die leidvollen Erfahrungen der Klient*innen, nicht oder ungenügend versorgte eigene Wunden dagegen können zur Abwehr von deren Traumata führen.Deshalb ist für Therapeut*innen die Erforschung und Verarbeitung der eigenen Familiengeschichte so wichtig.

Die Beschäftigung mit der transgenerationalen Weitergabe von Traumata und mit dem Assimilationsdruck ist nicht nur für die relativ kleine Gruppe der Kärntner Slowen*innen von Interesse, betont der Psychologe Klaus Ottomeyer im Vorwort zum Buch, sondern erhält zusätzliche Aktualität durch den Umstand, dass heute in Europa Tausende von Familien leben, die aus Kriegsgebieten wie dem ehemaligen Jugoslawien, Afghanistan, Somalia, Syrien oder Tschetschenien geflüchtet und durch Gewalterfahrungen gezeichnet sind. Auch wenn die von ihnen erlittenen Traumata in der Gesellschaft weitgehend unsichtbar bleiben, werden sie an ihre Kinder und Enkelkinder weitergegeben. Das Buch von Gitka Opetnik liefert einen wertvollen Beitrag, diese Zusammenhänge besser zu verstehen.


Der Widerstand der Partisan*innen in Kärnten/Koroška


Partisanendenkmal am Peršmanhof. Foto: Harawatschi (CC BY 3.0)

Die Verfolgung der slowenischen Minderheit in Kärnten begann nicht erst mit dem Einmarsch Hitlers. Obwohl die Kärntner Slowen*innen bei der Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 mehrheitlich für den Verbleib bei Österreich gestimmt hatten, wurden die Angehörigen der Volksgruppe mit dem Vormarsch der „Deutschnationalen“ bald Repressalien ausgesetzt. So wurden sie mit Berufsverboten belegt, der Slowenisch-Unterricht in den Schulen wurde abgeschafft und die zweisprachigen Ortstafeln entfernt.

Die Unterdrückung ver­schärfte sich nach dem Anschluss Österreichs an Hitler­deutschland. Das deklarierte Ziel der Nationalsozialisten war, die Zweisprachigkeit in Kärnten auszulöschen und alles Slowenische durch Zwangsassimilation auszuradieren. Die Unterdrückung förderte jedoch den Willen zum Widerstand. Als nach dem Überfall NS-Deutschlands auf Jugoslawien 1941 in Ljubljana die Osvobodilna Fronta (Befreiungsfront) gegründet wurde, desertierten viele Kärntner Slowenen aus der Wehrmacht und schlossen sich an. Als Antwort darauf deportierte das NS-Regime 200 slowenische Familien nach Deutschland, was jedoch die Bereitschaft zum Widerstand nur noch verstärkte. Zu ersten Kämpfen zwischen Partisan*innen und NS-Verbänden kam es im August 1942. Im Sommer 1944 erreichte der bewaffnete Widerstand in Kärnten seinen Höhepunkt. Unterstützt durch britische Waffenlieferungen kämpften bei den Kärntner Partisanenverbänden mehr als 900 Männer und Frauen.

Noch kurz vor Kriegsende, am 25. April 1945, verübten SS-Angehörige am Peršmanhof bei Eisenkappel/Železna Kapla ein Massaker an einer Familie, die Partisanen unterstützt hatte. Elf Angehörige der Familien Sadovnik und Kogoj – vom Kleinkind bis zur Greisin – wurden dabei erschossen, der Hof anschließend in Brand gesteckt, nur vier Kinder überlebten.

Der Kampf der Kärntner Partisan*innen war die einzige Widerstandsbewegung gegen die NS-Herrschaft, die sich drei Jahre lang der NS-Herrschaft widersetzte. Als größte Bewegung des österreichischen Widerstands hat sie einen wesentlichen Beitrag zur Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs geleistet. Trotzdem wurden die KZ-Überlebenden nach dem Krieg nicht mit Respekt offenen Armen aufgenommen, sondern sogar von Vertretern der Regierungsparteien als „Verräter“ gebrandmarkt.

Als die Ausgesiedelten heimkehrten, war die Enttäuschung groß. Die enteigneten Bauernhöfe wurden nur zögerlich zurückgegeben oder befanden sich in desolatem Zustand. Die Wiedergut-machungskommissionen sprachen den geschädigten Slowen*innen nur geringe Beträge zu und Haftentschädigungen wurden vielen sogar gänzlich verwehrt, während die meisten nationalsozialistischen Verbrecher amnestiert, ihre Bezüge nachgezahlt und ihre Dienstzeiten im NS-Staat angerechnet wurden.

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Foto: Denkmal von Marijan Matijević (1907-1971): Die aus zwei Männern und einer Frau bestehende Figurengruppe wurde am 26. Oktober 1947 am Friedhof St. Ruprecht in Völkermarkt enthüllt. In der Nacht vom 9. auf den 10. September 1953 wurde das Denkmal jedoch von unbekannten Tätern gesprengt. Wegen der politischen Verhältnisse in Kärnten konnte es nicht mehr am ursprünglichen Ort aufgestellt werden. Der Sockel auf dem Friedhof wurde „neutralisiert“, die gesprengte Figurengruppe zusammengeschweißt und am 14. August 1983 auf dem Peršmanhof aufgestellt.

veröffentlicht in Talktogether Nr. 83/2022

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