Eine Geschichte von Genuss,
Macht und Ausbeutung
Kakaobaum in Ghana. Foto: talktogether
Alle kennen Schokolade, doch nur wenige wissen, dass der Begriff aus dem Nahuatl, der Sprache der Azteken stammt. Das Wort Xocolatl setzt sich aus „xoco – bitter“ und “atl – Wasser“ zusammen. Es handelt sich demnach um ein bitteres Getränk, das nicht viel mit der süßen Nascherei von heute gemeinsam hat, wenn man davon absieht, dass beide aus Kakaobohnen hergestellt werden.
Von Xocolatl zur Schokolade
Zu den ältesten Belegen für die Verwendung von Kakao zählen Gefäße aus der Zeit 3500 bis 3300 v. Chr., die im Amazonasge- biet im heutigen Ecuador ausgegraben wurden, und in denen man Reste von Kakao nachgewiesen hat. Die Funde legen nahe, dass die Pflanzenart „Theobroma cacao“ vor dort aus bis nach Mittelamerika verbreitet wurde.
Im Tiefland der mexikanischen Golfküste lebten vor etwa 3000 Jahren die Olmeken, die erste Hochkultur Mittelamerikas. Sie waren es, die vermutlich als erste in dieser fruchtbaren Gegend Kakaobäume gezüchtet haben, denn das Wort Kakao leitet sich von „kakawa“ ab, wie die Olmeken die Pflanzenart bezeichneten. Schriftliche Zeugnisse für den Anbau und die Zubereitung von Kakao wurden von den Maya (Blütezeit 250 bis 900 n. Chr.) hinterlassen, die Bücher auf Papier aus Baumrinde schrieben. Aus diesen Aufzeichnungen sowie von Wandmalereien und Gefäßen, die Verstorbenen als Grabbeilage mitgegeben worden waren, wissen wir, dass die Maya aus Kakao, Maisgrütze, Wasser und Gewürzen ein Getränk zubereitet haben. Sie sahen den Kakaobaum als Geschenk der Götter an und verwendeten seine Früchte in vielen ihrer religiösen Zeremonien.
Die Azteken nannten ihr Kakaogetränk Xocolatl. Dafür mischten sie den Kakao mit Wasser, Honig und Gewürzen und schlugen ihn mit einem Holzquirl, heute „Molinillo“ genannt, schaumig auf. Da die Kakaobohne bis zu 60 Prozent Fett sowie viele Mineralstoffe und Vitamine enthält, war es ein nahrhaftes Getränk, das Krieger zur Stärkung vor wichtigen Schlachten tranken. Kakaobohnen enthalten zudem Theobromin, ein Alkaloid, dem eine gefäßerweiternde, herzstimulierende und muskelentspannende aber auch eine aphrodisierende Wirkung bescheinigt wird. Für das wertvolle Getränk, das den höheren Schichten der Gesellschaft vorbehalten war, existierten zahlreiche Rezepte.
Da das Klima auf dem Hochland, wo das Zentrum der Azteken lag, zu kühl für den Kakaobaum war, verfügten die Azteken je- doch über keine eigenen Anbaugebiete, so dass die begehrte Ware über Händler herbeigeschafft werden musste. Nachdem die Azteken zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert große Teile Mittelamerikas erobert hatten, wurden die unterworfenen Völker dazu verpflichtet, ihren Tribut in Form von Kakaobohnen in ausgezeichneter Qualität abzuliefern. So wurde aus dem Kakao nicht nur ein Genuss-, sondern auch ein Zahlungsmittel.
Der Weg nach Europa
Tenochtitlán, die Hauptstadt der Azteken, war größer und reicher als jede europäische Stadt des 15. Jahrhunderts. Doch die Spanier besaßen Feuerwaffen, die die Einheimischen nicht hatten, und fanden zudem Verbündete in den von den Azteken unterworfenen Völkern. Und so hatten die Azteken keine Chance, ihre bemerkenswerte Kultur wurde von den spanischen Eroberern vernichtet und ihre prachtvollen Bauten dem Erdboden gleichgemacht. Von der indigenen Bevölkerung lernen die Spanier aber deren Bräuche und Gewohnheiten kennen. Anfangs fanden sie den Kakaotrunk, dem sie Hexenkräfte zuschrieben, abstoßend, doch mit der Zeit kam es zur Annäherung zwischen den Kulturen. Das Getränk erlebte dabei eine Reihe von Veränderungen. Die Spanier tranken die Schokolade heiß wie die Maya und nicht kalt wie die Azteken. Einheimischen Gewürze wurden durch andere ersetzt, die die Spanier mitgebracht hatten, wie zum Beispiel schwarzen Pfeffer.
Wann und von wem die Schokolade nach Spanien gebracht wurde, ist nicht bekannt. Manche behaupten, dass Hernán Cortez höchstpersönlich die Kakaobohnen nach Spanien gebracht hat, zusammen mit einem Xocolatl-Rezept, das er beim aztekischen Herrscher Montezuma entdeckt hatte. Beweise dafür gibt es allerdings keine. Sicher ist dagegen, dass mit den zurückkehrenden Spaniern auch die Wörter „Kakao“ und „Schokolade“ ihren Weg nach Europa gefunden haben.
1544 wurde das Getränk erstmals am spanischen Hof getrunken. Bald wurde Kakao zum Modegetränk und zu einem lukrativen Geschäft für die Spanier, die lange Zeit den Markt beherrschtenund die indigene Bevölkerung auf ihren Kakaoplantagen schuf- ten ließen. Richtig populär wurde das Getränk aber erst nach der Zugabe von Rohrzucker. 1657 öffnete das erste Schokoladencafé in London, 1673 wurde erstmals öffentlich Schokolade in Bremen ausgeschenkt. Da Kakao und Rohrzucker teuer waren, konnten sich Schokolade jedoch zunächst nur Wohlhabende leisten. Im 18. Jahrhundert wurde die Schokolade erstmals nach St. Petersburg an den Hof von Katharina der Großen gebracht, die das daraus hergestellte Heißgetränk sehr schätzte. Als im 19. Jahrhundert günstigeres Kakaopulver und Rübenzucker verfügbar waren, wurde das Getränk in ganz Russland sehr beliebt und tauchte in den literarischen Werken von Dostojewski, Gogol und anderen russischen Schriftstellern auf. Bis zum Beginn des Ers- ten Weltkriegs gab es in St. Petersburg 170 und in Moskau 213 Schokoladefabriken.
Vom Getränk zur Tafel
Erst im 19. Jahrhundert setzte es sich in Europa durch, Trinkscho- kolade mit Milch zu verfeinern. 1826 erfand der Schweizer Philippe Suchard das Conchierverfahren. Beim Conchieren wird mithilfe einer Mischmaschine dafür gesorgt, dass sich die Kakaobutter gleichmäßig verteilt, wodurch sich der Geschmack verbessert. Damit verlor die Trinkschokolade allmählich an Bedeutung zugunsten von Schokolade in fester Form.
Um das gestiegene Verlangen nach Kakao und Schokolade in Europa zu decken, wurden jährlich etwa 11,5 Tonnen Rohkakao importiert. Zwei Drittel davon stammten aus dem heutigen Venezuela, wo auf den Kakaoplantagen Zehntausende afrikanische Sklav*innen zur Arbeit gezwungen wurde. Durch die europäischen Kolonialmächte gelangten Kakaopflanzen am Ende des 19. Jahrhunderts auch nach Westafrika, wo sie aufgrund des feucht- warmen Klimas ausgezeichnet gediehen. Die Einheimischen wurden jedoch unter menschenunwürdigen Bedingungen zur Ar- beit auf den Kakao-Plantagen gezwungen. Durch exotische Darstellungen von schwarzen Menschen als Werbefiguren warb die Schokoladeindustrie in Europa für ihre Produkte, wobei die rea- len Bedingungen der Schokoladeproduktion jedoch verschleiert wurden.
Der Kakao wird zum Trockenen ausgelegt. Foto: talktogether
Viele Schritte bis zur süßen Köstlichkeit
Kakaobäume benötigen ein feucht-warmes Klima und gedeihen am besten im Schatten größerer Bäume. Zweimal im Jahr können die Früchte geerntet werden, was meist von Hand erfolgt. Danach werden die Kakaobohnen aus der Frucht herausgelöst und fer- mentiert. Erst bei der Fermentation entwickelt sich das typische Schokoladenaroma. Die fermentierten und getrockneten Kakao- bohnen werden dann von Händlern oder staatlichen Stellen auf- gekauft und in zentrale Lagerhäuser gebracht, von wo aus sie weitervermarktet werden.
Heute sind die Republik Côte d’Ivoire und Ghana die größten Kakaoproduzenten, gefolgt von Ecuador, Brasilien und Indonesien. An der Côte d’Ivoire lebt ein Viertel der Gesamtbevölke- rung vom Kakaoanbau. Da der Preis, der am Weltmarkt für die Kakaobohnen erzielt wird, sehr niedrig ist, können sich die kleinbäuerlichen Betriebe die Löhne für erwachsene Erntehelfer*in- nen meist nicht leisten, und so arbeiten häufig auch Kinder unter gefährlichen Bedingungen auf den Plantagen.
In der Fabrik werden die Bohnen geschält, geröstet, gemahlen und gepresst, um Kakaobutter herzustellen. Danach wird diese mit Zucker vermischt, für Milchschokolade wird Milchpulver und je nach Sorte werden Nüsse oder andere Zutaten zugefügt, und zum Schluss wird das Ganze in Tafeln oder andere Formen gegossen. Die Verarbeitung des Rohkakaos findet meist nicht in den Erzeugerländern selbst statt, sondern vorwiegend in Europa oder in den USA, wo auch mit Abstand am meisten Schokolade konsumiert wird. Auf den afrikanischen Markt kommt der Kakao als Nestlé-Fertigprodukt „Milo“, welches sich aber die allerwenigsten Kakaoproduzent*innen leisten können.
Ungleiche Wertschöpfung
Die Wertschöpfung auf dem Kakaomarkt ist sehr ungleich ver- teilt. Vom Verkaufspreis erhalten: Produzent*innen (Anbau, Ernte, Fermentieren und Trocknen): 6,6 Prozent; Transport: 6,4 Prozent; Verarbeitung und Vermahlen: 7,6 Prozent; Schokoladen- herstellung: 35,2 Prozent; Einzelhandel und Steuern: 44,2 Prozent. Die Produzent*innen gehören somit zu den schwächsten Gliedern der Wertschöpfungskette (Public Eye 2017). 2015 ist man von einem Einkommen aus Kakao von 0,50 US-Dollar pro Kopf und Tag in der Côte d’Ivoire und von 0,84 US-Dollar in Ghana – also weit unter der Armutsgrenze – ausgegangen (vgl. Südwind). Eine Handvoll großer Konzerne kontrolliert fast 90 Prozent des globalen Markts für Schokoladeprodukte vom Kakaohandel über die Fabriken bis hin zu den Handelsunternehmen. Nur ein Prozent der weltweit produzierten und gehandelten Schokolade wird in Afrika produziert.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 85 / 2023
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