Ãœber die Entstehung der Klassengesellschaft PDF Drucken E-Mail


Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich*


Studien zufolge besitzt heute eine Handvoll Milliardäre die Hälfte des globalen Vermögens. Es stellt sich die Frage: War es schon immer so, dass die einen reich und die anderen arm sind? Ein Blick in die Vergangenheit der Menschheit beweist
das Gegenteil. Hundertausende Jahre lebten die Menschen ohne Privateigentum, Klassen und Staaten. Sie kannten weder Hierarchien noch Häuptlinge oder Priester, niemand erhob sich über andere. Erst die Produktion von Überschüssen und die fortschreitende gesellschaftliche Arbeitsteilung schufen die Voraussetzungen für die Entstehung von Klassen. Je komplexer die Arbeitsteilung in der Gesellschaft wurde, umso ungleicher wurde auch die Aufteilung von Macht und Besitz. Es bildete sich eine Allianz, die bis heute die Welt regiert: Die von Wohlstand und politischer Macht.


Unter Sozialer Klasse versteht man in der Sozialwissenschaft eine Gruppe von Menschen, die eine bestimmte Position im Wirtschaftssystem einnehmen und ähnliche soziale Interessen haben, vor allem wirtschaftlicher Art, und zwar unabhängig davon, ob sie sich selbst als Klasse begreifen oder untereinander ein Zusammengehörigkeitsgefühl besteht. Bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. erwähnte der griechische Philosoph Aristoteles soziale Klassen. Im Römischen Reich benutzten die Zensoren das Wort classis zur Einteilung der Bevölkerung in Steuergruppen – von den steuerpflichtigen Bürgern bis zu den land- und besitzlosen, aber nicht versklavten Proletariern.

1821 teilte der britische Ökonom David Ricardo die Gesellschaft in drei große Klassen ein – die Grundeigentümer, die Kapitalisten und die Arbeiter – welche sich durch ihre Einkommensquellen (Bodenrente, Profit, Lohn) unterschieden. Davon aufbauend entwarf der deutsche Philosoph, Ökonom und Gesellschaftstheoretiker Karl Marx ab 1842 seine Theorie der Klassen und des Klassenkampfes. Der Marxismus betont den historischen Charakter und die Veränderbarkeit der Klassen: Da die menschliche Gesellschaft nicht immer in Klassen gespalten war, können Klassenunterschiede auch eines Tages überwunden werden.

Weder natürliche Ordnung noch unglücklicher Zufall

Jahrhunderte lang haben Könige, Philosophen und Priester versucht, den Menschen weiszumachen, dass die Einteilung in Klassen eine gottgewollte Ordnung sei. Andere wiederum erklären die gesellschaftliche Ungleichheit damit, dass Gier und Machtstreben zur menschlichen Natur gehören. Wissenschaftlich betrachtet kann das Entstehen der Klassengesellschaft jedoch weder als unausweichlich noch als unglücklicher Zufall begriffen, sondern nur mit der Entwicklung der Produktivkräfte erklärt werden. Unser Verhältnis zur natürlichen Welt wird von der gesellschaftlich verrichteten Arbeit bestimmt. Durch diesen Prozess gewinnen wir die Nahrungsmittel und Ressourcen, die wir für unser Überleben brauchen.

Wie wir aus Forschungen wissen, war die Gesellschaft, bevor sich der Staat, wie wir ihn heute kennen, herausgebildet hat, in auf Blutsverwandtschaft begründeten Verbänden organisiert – die als Gentes (bzw. Clans oder Sippen) bezeichnet werden. Grund und Boden waren gemeinschaftliches Eigentum und wurden gemeinsam bearbeitet. Weil die Produktionsmittel allen Mitgliedern der Gemeinschaft gehörten, war die Möglichkeit der Ausbeutung ausgeschlossen.Erst als die Menschen mit wachsender Produktivität in der Lage waren, Überschüsse zu produzieren, begannen einige Personen, Reichtümer anzuhäufen. Daraus entstand auch das Bedürfnis, diese nicht mit der Gens zu teilen, sondern für die eigenen Nachkommen zu reservieren.

Die neolithische Revolution

Als neolithische Revolution wird das erstmalige Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht bezeichnet. Durch die Domestizierung von Getreidesorten und Wildtieren (Schafe, Ziegen) wurden die Sammler und Jäger zu Bauern und Hirten. 14.000 Jahre v. Chr. wurden bereits in der gesamten Region zwischen dem Zweistromland, Südostanatolien und der östlichen Mittelmeerküste sowie in Ägypten Emmer, Einkorn und Gerste angebaut. Diese Entwicklung mag anfangs nur eine kleine Verbesserung gewesen sein, doch sie markiert die Anfänge eines Prozesses, der die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt grundlegend verändern sollte. Um 8.000 v. Chr. hatte sich diese neue Form der Landwirtschaft im gesamten Nahen Osten, bald darauf auch in Europa und Südasien durchgesetzt. Die Nutzung von Bewässerungssystemen sowie die Verbesserung von Arbeitstechniken garantierten eine regelmäßige Versorgung, so dass erste feste Siedlungen entstehen konnten. Unabhängig davon fand eine ähnliche Entwicklung in China sowie in Teilen Afrikas und Amerikas statt. Sie begünstigte nicht nur die Bildung großer Gemeinschaften, sondern auch das Bevölkerungswachstum.

Trotz der bereits im Keim angelegten Ungleichheit gibt es in dieser Periode noch kaum Anzeichen von Privatbesitz, Ausbeutung oder vererbbarem Vermögen. Dennoch hatte die neolithische Produktionsweise die Voraussetzungen für die Entstehung von Klassengesellschaften geschaffen: die Produktion von Überschüssen und die immer komplexere Arbeitsteilung in der Gesellschaft. Sie ermöglichte die Ausweitung des Handels und regionale Arbeitsteilungen, welche die gegenseitige Abhängigkeit zuvor autarker Siedlungen verstärkte. Die zunehmende Vorratshaltung bedeutete aber auch, dass die Städte Stadtmauern bauen und eine militärische Verteidigung organisieren mussten, um sich gegen Überfälle von nomadischen Hirtenstämmen oder rivalisierenden Städten zu schützen.

Die bedeutsamste Auswirkung des wachsenden Mehrprodukts war aber die Arbeitsteilung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit. Die gesteigerte Arbeitsproduktivität ermöglichte es nämlich, eine kleine Schicht der Gesellschaft von der Arbeit auf den Feldern zu befreien. Die Herausbildung einer Gesellschaftsschicht, die vom Rest der Gemeinschaft erhalten wird, markiert einen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte. Die Spezialisierung der Städte auf die handwerkliche Produktion bedeutete zudem, dass die Stadtbevölkerung sich nicht mehr selbst mit Lebensmitteln versorgte, sondern auf das Mehrprodukt der umliegenden Dörfer zurückgriff. Die Trennung zwischen Stadt und Land ist als weiteres zentrales Merkmal bei der Herausbildung von Klassengesellschaften zu betrachten. Sie brachte mit der Zeit auch neue Eigentumsverhältnisse hervor – den privaten Grundbesitz. Bevor es dazu kam, gehörte das gesamte Land kollektiv den Familien und konnte nicht an andere übertragen werden. Das bedeutete, dass Grund und Boden immer im Besitz und unter der Kontrolle der Gemeinschaft blieben.

Die Macht der Ideen

Friedrich Engels sagte: "Alles, was die Menschen in Bewegung setzen, muss durch ihren Kopf hindurch; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab." Mit der gewandelten Produktions- und Verteilungsweise nahmen auch neue ideologische und religiöse Vorstellungen Form an. Der Glaube, dass allmächtige Götter existieren, die sich in das Leben der Menschen einmischen und deshalb verehrt werden müssen, kommt in Jäger- und Sammlergesellschaften nur selten vor. Schamanen oder spirituelle Führer hatten aber oft aufgrund ihrer Kenntnisse über die Gesetze der Natur eine relativ privilegierte Stellung, aus der sich im Laufe der Entwicklung eine Machtstellung ableitete.

In Ägypten war es die Aufgabe der Priester, die Nilüberschwemmungen vorherzusagen. Auf der mexikanischen Halbinsel Yukatan hielten die Priester der Mayas Zeremonien ab, um die Gunst der Cenoten (natürliche Höhlen mit Grundwasser) sicherzustellen. Uruk in Mesopotamien war neben Ägypten einer der ersten Staaten der Weltgeschichte. Für die Zeit um 3.100 v. Chr. gibt es bereits Beweise für die Existenz einer Klasse von Priestern und Schriftgelehrten, deren Machtzentrum der Tempel war. Diese Gruppe erhob sich über den Rest der Gesellschaft und propagierte eine Ideologie, die ihre sozialen Interessen widerspiegelte. Die Krise und der Abstieg, die Uruk schon bald nach dem Aufstieg der Priesterkönige durchlebte, lassen jedoch vermuten, dass die Herrschenden damals noch nicht über die Mittel verfügten, um die arbeitende Bevölkerung auf Dauer gefügig zu machen.

Vom Feudalismus zur Industriegesellschaft

Auch in Europa lebten die Menschen ursprünglich in bäuerlichen Sippen (Gentes). Im 10. Jahrhundert begann jedoch der Adel, sich die Bauernschaft untertänig zu machen. Dieser hatte sich aus dem Rittertum entwickelt und leitete seinen Führungsanspruch aus militärischen Erfolgen ab.Adelige mussten keine Steuern zahlen, hatten aber das Recht, von den Bauern Abgaben und Dienste einzufordern. Da sie das Monopol auf Waffenbesitz hatten, waren sie auch zu deren Schutz verpflichtet. Später erlaubte der Anspruch auf höhere Beamten- und Offiziersposten dem Adel, seine Vorrangstellung zu erhalten und auszubauen.

Die Eroberung Amerikas, die Kolonialisierung der Welt und der globale Handel schufen neue Absatzmärkte, so dass die Handwerksproduktion bald nicht mehr ausreichte, um die Nachfrage zu befriedigen. Mit der Erfindung der Dampfmaschine setzte sich ausgehend von England die industrielle Massenproduktion bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts durch. Die neue Produktionsweise brachte auch den Aufstieg einer neuen Klasse mit sich: die der Kapital-, Grund- und Fabrikbesitzer – die Bourgeoisie. Durch die bürgerlichen Revolutionen gewann diese immer mehr gesellschaftlichen und politischen Einfluss.

Gleichzeitig bildete sich eine weitere Klasse heraus: das besitzlose Proletariat. Die Industrialisierung hatte Hundertausende von Handwerksgesellen arbeitslos gemacht, die zusammen mit der besitzlosen und verarmten Landbevölkerung in die rasant wachsenden Industriestädte strömten. Die beiden Klassen stehen sich laut Marx in einem unversöhnlichen Interessensgegensatz gegenüber, sind aber gleichzeitig voneinander abhängig. Während die Bourgeoisie über Kapital, Fabriken und Maschinen verfügt, kann die Arbeiterklasse nur ihre Arbeitskraft anbieten, um den Lebensunterhalt zu sichern: "Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbände, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose 'bare Zahlung'." (Marx/Engels, 1848)

Ist die Klassengesellschaft noch zeitgemäß?

Heute wird immer offensichtlicher, dass der Kapitalismus an seine Grenzen stößt. Während sich immer mehr Menschen wegen der Teuerung das Leben nicht mehr leisten können, ist auch in Österreich die Zahl der Superreichen gestiegen. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Kapitalbesitzern zunehmend schwerer fällt, ihr Geld gewinnbringend zu investieren, was zu verschärfter Konkurrenz weltweit und zu kriegerischen Auseinandersetzungen führt. Zudem führt uns die Klimakrise vor Augen, dass die herrschende Produktions- und Wirtschaftsweise ein Hindernis darstellt, um die gigantische Aufgabe zu meistern, die sozialen Bedürfnisse von Millionen von Menschen mit der notwendigen Reduktion von Emissionen zu verbinden. Schließlich ist die Bewältigung der Klimakrise eine Klassenfrage, die eng mit den Eigentumsverhältnissen verknüpft ist: Es sind die großen Unternehmen und die Vermögenden, die die meisten Ressourcen verbrauchen und die meisten Emissionen verursachen, während die Armen am meisten unter den Folgen der Erderhitzung leiden.

* Zitat: Bert Brecht: Reicher Mann und armer Mann


veröffentlicht in Talktogether Nr. 85 / 2023

 

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