Feminismus - damals und heute
Bild: Nina Vasilchenko
Anlässlich des Internationalen Frauentags lohnt es sich, einen Blick auf die Geschichte, die Vielfalt und die Widersprüche der Frauenbewegung zu werfen. Je nach Epoche, Gesellschaftsklasse, ideologischer und kultureller Zugehörigkeit haben Frauen auf unterschiedliche Weise für die Gleichstellung der Geschlechter auf sozialer, politischer und wirtschaftlicher Ebene gekämpft.
Die Anfänge
Zu allen Zeiten und in allen Ländern hat es Frauen gegeben, die Außergewöhnliches geleistet und sich gegen ihre Benachteiligung gewehrt haben. Als eine der ersten modernen Feministinnen könnte die französische Künstlerin und Autorin Olympe de Gouges bezeichnet werden, die am Ende des 18. Jahrhunderts, im Zeitalter der Aufklärung, die Frauen aufrief: „Wacht auf! Was auch immer die Hürden sein werden, die man euch entgegenstellt, es liegt in eurer Macht, sie zu überwinden!“ Die mutige Vorreiterin für die Frauenrechte wurde wegen ihrer politischen Ansichten jedoch 1793 hingerichtet.
Ausgehend von Frankreich erfasste im März 1848 das Feuer der Revolution ganz Europa. Frauen spielten eine bedeutende Rolle bei der Verteidigung der Pariser Commune und kämpften auf den Barrikaden. Mit der Union des Femmes wurde in Paris die erste Frauengewerkschaft gegründet, mit der sich die arbeitenden Frauen von der Ausbeutung befreien wollten. Nach der Niederschlagung der Commune wurde es den Frauen jedoch explizit verboten, politisch aktiv zu sein.
Die Frauen waren aber nicht mehr bereit, sich aus dem öffentlichen Leben drängen zu lassen. Entsprechend ihrer unterschiedlichen Lebenssituationen entwickelten sich zwei Strömungen: die bürgerliche und die proletarische Frauenbewegung. Während die bürgerliche Frauenbewegung die Unterdrückung aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit in den Vordergrund stellte, sah sich die proletarische Frauenbewegung als Teil der Arbeiterklasse, die für ihre Befreiung kämpft. Das 1879 erschienene Buch von August Bebel „Die Frau und der Sozialismus“ wurde zum Bestseller sozialistischer Literatur.
Beiden Teilen der Frauenbewegung gemeinsam war die Forderung nach dem Frauenwahlrecht. Mit passivem Widerstand, der Störung von Veranstaltungen und Hungerstreiks versuchten die sogenannten Suffragetten in England und den USA, es durchzusetzen. In den USA formierte sich die Bewegung für das Frauenwahlrecht parallel zur Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei, bei der sich sowohl schwarze als auch weiße Frauen engagierten. Aber nicht alle Frauenrechtsaktivistinnen zeigten sich solidarisch mit ihren schwarzen Schwestern: Prominente Befürworterinnen des Frauenwahlrechts sprachen sich gegen das Wahlrecht für Schwarze aus, da sie diese für zu ungebildet hielten.
Der Internationale Frauentag
In New York traten 1909 die Textilarbeiterinnen, meist Einwanderinnen aus Europa, 13 Wochen lang in den Streik für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Der Arbeitskampf breitete sich auf andere Bundesstaaten und Branchen aus und zwang die Unternehmer zu wesentlichen Zugeständnissen. 1910 wurde auf der 2. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen der Internationale Frauentag durch Clara Zetkin und ihre Mitstreiterinnen ins Leben gerufen. 1911 gingen in vielen europäischen Ländern Millionen Frauen auf die Straßen, um für den 8-Stunden-Tag, für Mutter- und Kinderschutz und für das freie Wahlrecht auch für Frauen zu protestieren. Am Frauentag 1917 traten die Textilarbeiterinnen in St. Petersburg in den Streik. Zu Tausenden marschierten sie auf den Straßen mit ihrer Forderung nach Brot und Frieden und leiteten damit die Februarrevolution[i] ein. Ihnen zu Ehren wurde der Internationale Frauentag zukünftig auf den 8. März gelegt.
Im Ersten Weltkrieg hatten die Frauen in Massen in den Fabriken gearbeitet und eine aktive Rolle bei Massenstreiks und Hungerprotesten gespielt. Nach Beendigung des Krieges waren sie nicht mehr bereit, sich zurück an den Herd drängen lassen. 1918 wurde in den meisten europäischen Ländern das Frauenwahlrecht durchgesetzt. Im Februar 1919 konnten österreichische Frauen erstmals an Wahlen teilnehmen, acht Frauen wurden ins Parlament gewählt. Frauenrechtsaktivistinnen setzten sich in ihren Parteien und Organisationen für soziale Verbesserungen ein, um den Frauen einen Ausweg aus der Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt zu bieten. Führende Sozialistinnen wie Käthe Leichter forderten auch vehement, wenn auch erfolglos, die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs ein. Der Nationalsozialismus setzte allen Emanzipationsbestrebungen jedoch ein Ende.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich im Westen ein Frauenbild durch, das die Frauen wieder zurück an Heim und Herd drängen sollte. In den Ländern, die sich als sozialistisch verstanden, wurde es dagegen als selbstverständlich angesehen, dass Frauen in allen Berufen arbeiteten und ihnen Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung standen. Auch in vielen arabischen und afrikanischen Ländern genossen Frauen eine Zeit verhältnismäßiger Freiheit und Liberalität, wobei der Kampf für die Frauenrechte meist in gesamtgesellschaftliche Unabhängigkeitskämpfe eingebettet war. Während der Großen Proletarischen Kulturrevolution in China wurde die Befreiung der Frau als Maßstab für die gesamtgesellschaftliche Befreiung angesehen.
Auch das Private ist politisch
Beeinflusst von der Studentenbewegung gründeten sich Ende der 1960er Jahre verschiedene Frauengruppen, die öffentlichkeitswirksam auf ihre Forderungen aufmerksam machten. Die Aktivistin Ingrid Strobl erinnert sich (1):
„Am Beginn der Neuen Frauenbewegung stand für viele von uns: Wut. Eine lang angestaute, und nun nicht mehr zu bändigende Wut über all die Ungerechtigkeiten, mit denen wir uns nicht mehr abfinden wollten. In diesen ersten Anfängen dominierte das „Nein!“ Nein! zur angeblichen Überlegenheit der Männer und Unterlegenheit der Frauen. Nein! zur herkömmlichen Ehe mit allen Nachteilen für Frauen und Vorteilen für Männer. Nein! zum gesellschaftlichen Druck, überhaupt zu heiraten, Kinder zu bekommen, für die Familie den Beruf aufzugeben und ein Hausfrauenleben zu führen. Nein! zu dem Recht der Männer auf sexuelle Belästigung und Erniedrigung von Frauen. Nein! zum Ausschluss von Frauen aus unzähligen Berufen und Bereichen der Gesellschaft. Und Nein! dazu, dass all das angeblich von der Natur so vorgesehen ist. (…)
Doch nach einer Weile ertönten die ersten zögerlichen und dann zunehmend begeisterten Jas: Ja zur eigenen Entscheidung! Ja zu den eigenen Lebensentwürfen jenseits von Hausfrau und Mutter! Ja zu unseren Fähigkeiten und Kompetenzen! Ja zur Solidarität und Freundschaft mit anderen Frauen! Ja zu unserer vollen Gleichberechtigung auf allen gesellschaftlichen und privaten Ebenen! Ja zu einer Sexualität, die uns befriedigt und nicht benutzt oder gelangweilt zurücklässt. Ja zu unserer Bewegung, unserer Revolution, zur Neuen Frauenbewegung!
In Österreich ist der Kampf um die rechtliche Gleichstellung der Frauen untrennbar mit dem Namen Johanna Dohnal verbunden, die wie keine andere die Frauenpolitik in Österreich geprägt hat. „Frauen müssen für ihre Rechte selber kämpfen, geschenkt wird ihnen nichts“, lautete ihr Credo. Die SPÖ-Politikerin musste selbst viele Kämpfe ausfechten. Durch ihr hartnäckiges Engagement gelang es ihr, viele wichtige rechtliche Reformen durchzusetzen, wie die Abschaffung des § 144, der den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte, eine umfassende Reform des Familienrechts, die festlegte, dass der Ehemann nicht länger das Oberhaupt der Familie ist und seiner Ehefrau verbieten kann, berufstätig zu sein, die Beseitigung der Amtsvormundschaft bei ledigen Müttern, die Wegweisung des Täters bei häuslicher Gewalt und das Verbot der sexuellen Belästigung. Außerdem setzte sie zahlreiche Verbesserungen für berufstätige Frauen durch und unterstützte ein von Sozialarbeiterinnen entworfenes Konzept zur Einrichtung von autonomen Frauenhäusern.
Ökofeminismus und Matriarchatsforschung
Mitte der 1970er Jahre entstand die Bewegung des Ökofeminismus, der die Frauenbewegung mit der Friedens- und Umweltbewegung verbinden will und sich an matriarchal organisierten Gesellschaften orientiert. Eine bedeutende Vertreterin ist die indische Physikerin und Aktivistin Vandana Shiva, die im Ökofeminismus eine Antwort auf existenzielle Herausforderungen wie Klimawandel, Umweltzerstörung und Ernährungskrisen sieht. Ökofeministinnen bringen die Unterdrückung der Frau und die Zerstörung der Umwelt durch das Patriarchat in Zusammenhang und argumentieren, dass die Subsistenzwirtschaft auch in kapitalistischen Gesellschaften ein wichtiger Bestandteil sei, da sie der Schaffung und Erhaltung von Leben diene. Diese unterliege jedoch einem ständigen Entwertungsprozess, womit auch eine Entwertung jener Menschen einhergehe, die mit ihr verbunden sind. Gegnerinnen des Konzepts kritisieren die Mythologisierung des Weiblichen und meinen, dass die Hervorhebung der Subsistenzwirtschaft im Gegensatz zur gesellschaftlichen Emanzipation der Frauen durch ihre Teilhabe an der Erwerbsarbeit stehe.
Ãœber welche Gleichheit reden wir?
In den 1970er Jahren wurde auch der Slogan „Global Sisterhood“ propagiert, der eine weltweite Solidarität der Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit voraussetzte. Für viele Frauen aus dem Süden hatte jedoch der Kampf gegen die soziale Ungleichheit, die ungerechte Weltwirtschaftsordnung und den Imperialismus größere Bedeutung als der Kampf der Geschlechter. Sie wehrten sich gegen die bevormundenden Positionen westlicher Feministinnen. Diesen Widerspruch brachte die bolivianische Arbeiterführerin Domitila Barrios de Chúngara auf der Weltfrauenkonferenz 1975 in Mexiko zum Ausdruck. Angesprochen von einer Frau aus der Oberschicht erwiderte sie: „Sagen Sie mir bitte, Señora, hat Ihre Lage Ähnlichkeit mit der meinen? Über welche Gleichheit werden wir reden?“
Auch Schwarze Frauen fühlten sich von den mehrheitlich weißen Feministinnen in ihren Bedürfnissen oft nicht wahrgenommen. In den 1980er Jahren entstand eine Bewegung, die den Anspruch hatte, die Kritik an Rassismus, Sexismus und Kapitalismus zu verbinden. Vorbilder waren Aktivistinnen der Antisklaverei- und der Bürgerrechtsbewegung wie die ehemalige Sklavin Sojourner Truth oder die Schriftstellerin Ida B. Wells. Eine wichtige Vertreterin des Black Feminism war die Schriftstellerin Audre Lorde, die zum Ideen- und Erfahrungsaustauch zwischen schwarzen und weißen Frauen anregte.
Gender Mainstreaming:
Bereits in den 1980er Jahren hatten sich Frauen in vielen Ländern dafür eingesetzt, dass innerhalb der politischen Institutionen aktiv die Gleichstellung von Frauen umgesetzt wird. Seit 1999 ist Gender-Mainstreaming erklärtes Ziel der Europäischen Union. Mit dieser Strategie soll das Geschlechterverhältnis zu Gunsten der Frauen – z. B. bei der Besetzung von Posten – verändert werden. Aus der Perspektive vieler Feministinnen wird Gender-Mainstreaming jedoch als „Instrument neoliberaler Politik“ kritisiert, das ökonomische und soziale Ungleichheiten ignoriere, während gleichzeitig die Mittel zur Frauenförderung gekürzt werden.
Intersektionaler Feminismus:
In den 1990er Jahren entwickelte sich in den USA eine dritte Welle der Frauenbewegung als Reaktion auf das Aufkommen antifeministischer und biologistischer Tendenzen und einer zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber Frauenthemen. Ihr intersektionaler Ansatz will den Eurozentrismus der feministischen Bewegung korrigieren und beschreibt die Überschneidung unterschiedlicher Formen von Diskriminierung. Mit ihrer Schrift „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1990) stieß die US-Amerikanerin Judith Butler die Diskussion über das biologische und das soziale Geschlecht an. Sie geht davon aus, dass Geschlechtsidentitäten nicht festgeschrieben sind, sondern durch gesellschaftliche Zuschreibungen und Erwartungen geformt werden. Der neue intersektionale Feminismus versteht sich als inklusiv und möchte alle vertreten, die sich als Frauen verstehen und unter dem Patriarchat leiden.
#MeToo:
Die Phrase „MeToo“ geht auf eine Kampagne der Aktivistin Tarana Burke aus dem Jahr 2006 zurück, deren Ziel es war, das Bewusstsein für sexuelle Gewalt in der Gesellschaft zu wecken und afroamerikanischen Frauen zu zeigen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht allein sind. Als 2017 der Skandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein publik wurde, griff die Schauspielerin Alyssa Milano den Slogan auf und ermutigte betroffene Frauen, auf der Plattform Twitter über sexistische Bemerkungen und Übergriffe zu berichteten. Seitdem wurde das Hashtag millionenfach genutzt und hat weltweit eine breite gesellschaftliche Debatte angestoßen.
Fazit und Ausblick
Die Frauenbewegung wird manchmal als die erfolgreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Zweifellos hat die Bewegung für die Gleichberechtigung der Frau viele wichtige Erfolge zu verzeichnen, und ihre Themen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Gewalt an Frauen bis hin zum Femizid, die ungleiche Bezahlung und Abtreibungsverbote zeigen jedoch, dass Frauen auch in westlichen Ländern immer noch mit massiver Benachteiligung zu kämpfen haben.
Die Frauenbewegung war von Anfang an von Widersprüchen und Auseinandersetzungen begleitet, die das Patriarchat geschickt auszunutzen weiß. Vielfalt und unterschiedliche Ansätze können aber auch eine Stärke sein. Der Kampf um die Befreiung der Frau geht nämlich mit Zukunftsutopien einher, die auch von Männern geteilt werden. Feministischer Widerstand bedeutet nicht, sich eine bessere Position in der herrschenden Rangordnung zu erkämpfen, sondern für die Beseitigung all jener Strukturen zu kämpfen, die uns unterdrücken. Und: In einer Gesellschaft, in der Frauen frei und selbstbewusst leben können, können sich auch die Männer von ihren Zwängen befreien.
(1) Quelle: Ingrid Strobl, 15.03.2017: Was Feminismus damals wirklich war. ingridstrobl.wordpress.com
[i] nach julianischem Kalender am 23. Februar, nach gregorianischer Zeitrechnung am 8. März
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