Mohammad Sadeghi: Rassismus im Iran PDF Drucken E-Mail


Das Monster des Rassismus im Iran

Von Mohammad Sadeghi

Alles begann mit einem Instagram-Post: „Von gestern Mittag bis heute wurden 28 Babys geboren, 19 davon sind Afghanen.“ Diese Nachricht wurde von einer Krankenschwester des Forqani-Krankenhauses in Qom zusammen mit einem Foto eines Neugeborenen veröffentlicht. Diese Nachricht stieß bei vielen Iraner*innen auf heftige Reaktionen. Sie behaupteten, dass afghanische Menschen den Iran besetzen wollen. Es gab auch andere Nachrichten, die sagten, dass ihre Einreise unkontrolliert erfolge und täglich Tausende afghanische Menschen in den Iran einreisen, die beabsichtigen, das Land zu übernehmen. Danach wurden einige Nachrichten veröffentlicht, in denen gewarnt wurde, dass Afghanen alle Arbeitsplätze besetzen würden.

Bei diesen Nachrichten, die sich später als Lügen und Fälschungen herausstellten, handelte es sich um ängstliche Proteste gegen afghanische Einwanderer, die die Welle der Gewalt und des Rassismus gegen sie verstärkten. Afghanen wurden auf der Straße angegriffen. Bäckereien verkauften kein Brot an Afghanen. In einigen Städten wurden afghanische Häuser mit Stöcken und Steinen angegriffen. Afghanen wurden gewaltsam aus Bussen und Fahrzeugen geworfen oder zum Aussteigen gezwungen. Und kürzlich wurde ein alter afghanischer Mann von einem Rassisten getötet. Außerdem gingen Videos über die Folter von Afghanen in Sozialen Medien viral. All dies geschah vor den Augen der Islamischen Republik, und es gab keine Reaktion seitens der Behörden. Nur wenige iranische Aktivist*innen und Feminist*innen warnten vor der Welle des Rassismus.

Die jüngste Welle des Rassismus ist bereits die dritte Welle des Rassismus gegen afghanische Menschen im Iran. Vor zwanzig Jahren wurde eine Mordserie, bei der sich später herausstellte, dass sie von einem Iraner begangen wurde, Afghanen zugeschrieben, und in staatlichen und privaten Zeitungen wurden gefälschte und falsche Nachrichten darüber veröffentlicht. Damals verschärfte sich die Welle der Gewalt und des Rassismus gegen afghanische Menschen. Dutzende afghanische Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt. Mehrere Afghanen wurden getötet. Auf der Straße hatten afghanische Menschen weder physische noch psychische Sicherheit. Damals reagierte die Islamische Republik nicht angemessen.

Die Menschen im Iran und in der Islamischen Republik haben aus diesen drei Wellen des Rassismus gegen afghanische Flüchtlinge jedoch nichts gelernt, und es wurde nicht vor den Gefahren einer Institutionalisierung des Rassismus im Iran gewarnt. In der Zwischenzeit hat die iranische Gesellschaft dazu geschwiegen und die Verantwortlichen haben nichts getan. Afghanische Geflüchtete leben seit fast vier Jahrzehnten im Iran. Die Migration bzw. Flucht von Afghanen in den Iran begann in größerem Umfang bereits zu Beginn der Islamischen Republik Iran. Von Anfang an gab es keine kodifizierten Gesetze für afghanische Flüchtlinge, die durch den Krieg zwischen Afghanistan und der Sowjetunion vertrieben wurden, und wurden auch in den folgenden Jahren nie erlassen. Afghanische Flüchtlinge gingen zur Ausländerbehörde und erhielten eine grüne Aufenthaltskarte. Diese Green-Card war damals viel wert. Am Anfang lagen den Menschen im Iran die afghanischen Flüchtlinge am Herzen. Außerdem erhielten sie, wie der Rest der iranischen Bevölkerung, Gutscheine für Zucker, Öl und andere Lebensmittel.

Allerdings gab es für Flüchtlinge eine Reisebeschränkung zwischen Städten. Um von einer Stadt in eine andere zu reisen, mussten sie sich an die Ausländerbehörde ihres Wohnortes wenden und eine Reiseerlaubnis einholen. Dieses Schreiben wurde beispielsweise für die Dauer von 20 Tagen ausgestellt und war nach Ablauf dieser Frist nicht mehr gültig. Damals, so die alten Sprichwörter, sei das Verhalten der Menschen gegenüber dem afghanischen Volk gut gewesen. Aber im Laufe der Zeit änderte sich alles. Nach und nach wurden den Flüchtlingen die Green-Cards entzogen und ihnen stattdessen Volkszählungskarten ausgehändigt. Nach und nach wurden Sperrgebiete eingerichtet, und Afghanen durften sich nur in fünf oder sechs der 31 Provinzen Irans aufhalten. Um zwischen diesen fünf oder sechs Provinzen hin und her zu reisen, mussten sie stets eine Reiseerlaubnis einholen. Eine Verkehrsgenehmigung zu bekommen war aber keine leichte Aufgabe und nicht jeder konnte sie bekommen.

Da es von Anfang an keine spezifischen Regeln für Geflüchtete gab, blieben die afghanischen Vertriebenen immer Flüchtlinge und können nie die Staatsbürgerschaft bekommen. Wenn beispielsweise in den ersten Jahren der Revolution der Islamischen Republik eine Million Afghanen in den Iran eingereist sind, sind diese Million und ihre Familien vierzig Jahre später immer noch Flüchtlinge geblieben, an ihrer Flüchtlingssituation hat sich nichts geändert und wird es auch nicht. Außerdem steigt natürlich die Zahl der afghanischen Flüchtlinge und Einwander*innen von Tag zu Tag an, da sie niemals die iranische Staatsbürgerschaft erhalten können.

Institutionelle Diskriminierung

Nachfolgend finden Sie einige Beispiele menschenfeindlicher Gesetze gegen afghanische Einwander*innen als Beispiele für Diskriminierung und Rassismus durch die iranische Regierung und Bevölkerung:

  1. Sie haben nicht das Recht, die iranische Staatsbürgerschaft zu beantragen.
  2. Es ist verboten, Häuser und Grundstücke im Namen von Afghan*innen zu registrieren.
  3. Es ist für sie verboten, SIM-Karten, Mobiltelefone oder Fahrzeuge (Autos, Motorräder usw.) zu registrieren.
  4. Afghanen dürfen nur in von der Regierung aufgeführten Berufen arbeiten, und zwar Jobs wie Hirtenarbeit, Arbeit in Schlachthöfen, Geflügelzucht, Tierhaltung, Landwirtschaft, am Bau, Brunnen graben, Schaf- und Rinderdärme reinigen, Kohle- und Ziegelöfen bauen usw., alles Arbeiten ohne Versicherung und für sehr niedrige Löhne. Für afghanische Geflüchtete gibt es zudem kein Arbeitsschutzgesetz.
  5. Afghan*innen ist es nicht gestattet, in Regierungsämtern zu arbeiten.
  6. Sie dürfen nur in bestimmten Provinzen und Städten leben.
  7. Mangelnde Freizügigkeit zwischen Städten.
  8. Beschränkungen für Einkäufe per Bankkarte: Für afghanische Bankkarten gelten Beschränkungen für Geldtransfers. Es ist nur möglich, bis zu 10 Millionen Tuman pro Einkauf zu überweisen. Wer beispielsweise ein Auto kaufen möchte, das eine Milliarde kostet, muss tausend Male Geld überweisen. Außerdem dürfen Afghan*innen nicht bei allen Banken ein Konto eröffnen.
  9. Bis vor einigen Jahren war es Afghanen nicht gestattet, die Führerscheinprüfung abzulegen. Erst seit ein paar Jahre können sie in begrenztem Umfang und gegen hohe Kosten ein Zertifikat erhalten.
  10. Der Kauf vieler Dinge, wie z. B. Milchpulver für Babys, hängt vom Besitz eines iranischen Personalausweises ab. So können Afghan*innen diese Produkte vielerorts nicht kaufen, weil sie diesen nicht vorweisen können. Somit werden ihnen wichtige und lebenswichtige Güter vorenthalten.
  11. Vielen afghanischen Flüchtlingskindern wird jedes Jahr der Zugang zur Bildung verwehrt, weil sie nicht in die Schule dürfen. Es gibt keine Regeln für die Bildung afghanischer Kinder, und jedes Jahr müssen Kinder auf einen amtlichen Brief warten, ob sie sich bei Schulen anmelden dürfen oder nicht, und dieser Brief kommt immer erst nachdem die Schule schon begonnen hat. Jedes Jahr erwarten deshalb afghanische Kinder den Schulbeginn mit der bangen Frage, ob sie zur Schule gehen dürfen oder nicht.

Entmenschlichung und Ausgrenzung

Im Laufe von vierzig Jahren wurden Afghan*innen entmenschlicht und gegen sie herrscht eine systematische Apartheid. Diese Entmenschlichung wird seit Jahren vom iranischen Radio und Fernsehen sowie von der iranischen Gesellschaft reproduziert. Niedrige, spöttische und schlechte Rollen in Filmen, falsche und erschreckende Nachrichten in Zeitungen und im Fernsehen und weiteres mehr haben dazu geführt, dass sich in den iranischen Gesellschaften ein schreckliches und unrealistisches Bild vom afghanischen Volk gebildet hat. In all diesen Jahren wurde der afghanische Mensch als Mensch der vierten und fünften Klasse und als schreckliches und schwaches Wesen dargestellt. Familien benutzten das Wort Afghani anstelle von Butzemann, um ihre Kinder zu erschrecken, und sagen: „Beruhige dich, sonst kommt ein Afghane und frisst dich“, oder „Geh nicht alleine raus, sonst kommt ein Afghane und schneidet dir den Kopf ab“, sowie ähnliche schlimme Dinge.

In vielen Städten wird Afghan*innen der Zutritt zu Parks, Schwimmbädern und öffentlichen Plätzen verboten, auf deren Eingang „Eintritt für Afghanen verboten“ geschrieben steht. Afghanische Jugendliche wurden auf der Straße schikaniert, weil sie anders aussehen. Sie werden geschlagen, afghanische Frauen und Mädchen werden vergewaltigt, ihr Lohn wird vom Arbeitgeber nicht bezahlt und sie können nichts dagegen unternehmen. Es ist, als ob die iranischen Gesetze nur für Iraner*innen gelten und der afghanische Mensch ein imaginäres Wesen außerhalb dieser Gesetze ist. Aus diesem Grund unterstützen die iranischen Gesetze afghanische Einwanderer in der Praxis nicht. Es gab und gibt verbalen Missbrauch in aller Öffentlichkeit. In iranischen Schulen sind afghanische Schüler*innen die Schwarzen des Irans und erleben alle Arten von Belästigung und Rassismus sowohl von Lehrer*innen als auch von Schüler*innen.

Wie oben erwähnt, hat die iranische Regierung in all den Jahren die afghanischen Flüchtlinge mit einem schrecklichen Gesicht dargestellt. Die Islamische Republik hat den afghanischen Menschen als nützlichstes Wesen und Objekt behandelt und ihn als Brennholz für seine eigenen Interessen eingesetzt – von der Rekrutierung von Afghanen für den Syrien-Krieg bis hin zum Einsatz von Afghanen zur Verzerrung der öffentlichen Meinung. Wo immer die iranische Regierung wenig getan hat und die Schuld jemand anderem in die Schuhe schieben wollte, griff sie auf ihn zurück und schrieb das Verbrechen dem afghanischen Volk zu. Den Afghan*innen wurde die Schuld für die Armut und die chaotische Wirtschaftslage im Iran gegeben. Sie gaben ihnen die Schuld an Attentaten und Sprengstoffanschlägen und nutzten sie als billiges Brennholz, um die öffentliche Meinung aufzuhetzen oder zu verzerren.

Dieses Modell wird von rechten Regierungen auf der ganzen Welt verwendet. Sie beginnen damit, die Einwanderer zu entmenschlichen und, wo immer sie es für nötig halten, für ihre ausgrenzenden Interessen zu nutzen. Die Regierungspropaganda der Islamischen Republik hat in den letzten Jahrzehnten dabei eine wichtige und langfristige Rolle gespielt und war darin weitgehend erfolgreich. Sie entmenschlichte die Geflüchteten und machte sie zu „Others“ – zu Fremden.

Leider ist der Rassismus im Iran institutionalisiert. Im Fall anderer ethnischer Minderheiten, die keine Perser*innen sind, wird der Rassismus sowohl in Gesetzen als auch von Menschen jeden Tag praktiziert. Ein konkretes Beispiel ist der Antiarabismus oder Antisunnitismus, der im täglichen Leben zu beobachten ist. Arabischen Leuten wird es immer noch verwehrt, arabische Kleidung zu tragen und in ihrer Muttersprache Arabisch zu lernen. Der Iran und damit auch die Islamische Republik änderte alle historischen arabischen Namen von Städten, Stadtteilen, Dörfern und Provinzen von Arabisch in Persisch. Der Iran diskriminiert arabische Menschen in Hochschuleinrichtungen und hindert sie daran, Hochschulzentren zu betreten und Schlüsselpositionen wie das Richteramt zu besetzen.

Außerdem gibt es in den iranischen Gesetzen eine offizielle Diskriminierung von Sunniten im Iran. Sie können laut iranischer Verfassung nicht Präsident werden. Der Antisunnitismus im Iran hat sogar gefährlichere Dimensionen als der ethnische Hass, da der Iran seit 2011 mehr als 400 Sunniten hingerichtet hat. Obwohl Millionen im Iran dieser Glaubensrichtung angehören, haben sie immer noch keinen Platz in Regierungsinstitutionen oder im iranischen Parlament. Sunniten haben in Teheran nicht einmal eine Moschee, der Verkauf sunnitischer Bücher gilt im Iran immer noch als Verbrechen. Das belutschische, das kurdische und das türkische Volk sind ebenso wie arabische Menschen im Iran systematischem Rassismus ausgesetzt.

Wenn wir den Rassismus im Iran in Form einer Pyramide betrachten, stehen Afghanen am untersten Ende der Rassismus-Pyramide. Das bedeutet, dass Afghanen im gesamten Iran Rassismus ausgesetzt sind, während selbst die Iraner in den oberen Schichten dieser Pyramide Opfer von Rassismus sind. Das Problem des Rassismus im Iran ist sehr gefährlich. Es sollte so schnell wie möglich untersucht und praktische Maßnahmen zur dessen Bekämpfung ergriffen werden. Bildung und Sensibilisierung sollten dabei als Komponenten zur Beseitigung von Rassismus betrachtet werden.


veröffentlicht in Talktogether Nr. 86/2023

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