Gespräch mit Agnes Menapace, Frauennotruf Salzburg PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Agnes Menapace,

Frauennotruf Salzburg


TT: Seit wann gibt es den Frauennotruf und wie ist er entstanden?

Agnes: Der Frauennotruf Salzburg wurde 1984 als Verein gegründet. Zusammengefunden haben sich die Gründerinnen schon im Herbst/Winter 1983. Es war eine Grassroots-Bewegung von Frauen, die aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen gesagt haben, wir brauchen etwas, es braucht eine Unterstützung für Frauen. Am Beginn haben sie sich einfach ein Telefon besorgt, das sie rund um die Uhr bewacht haben. Der Frauennotruf war die erste Gewaltschutzeinrichtung in Salzburg, die sowohl für Betroffene von häuslicher als auch von sexualisierter Gewalt da war. Die gesamte Arbeit wurde damals ehrenamtlich geleistet. Daher kommt der Name „Frauennotruf“, auch wenn wir heute, 40 Jahre später, keine 24-Stunden-Betreuung mehr anbieten. Wir sind inzwischen eine klassische Beratungseinrichtung geworden, mit normalen Bürozeiten wie in anderen Einrichtungen auch.

TT: Was sollte eine Frau tun, wenn sie am Wochenende ein Problem hat?

Agnes: Dann meldet sie sich am besten bei der Frauen-Helpline 0800 222 555 oder bei einer der anderen Krisenhotlines, die auf unserer Homepage zu finden sind. Im Zweifelsfall – also immer, wenn man überlegt, die Polizei anzurufen – sollte man das auch tun und den Notruf 133 wählen.

TT: Auf eurer Homepage steht, dass ihr euch als feministische Einrichtung versteht. Was wollt ihr damit ausdrücken?

Agnes: Der Frauennotruf sieht sich als feministische Einrichtung, weil die Thematik, mit der wir uns beschäftigen, eine feministische ist. Und weil unserer Arbeit – sowohl der Präventionsarbeit als auch der Arbeit mit Betroffenen – eine feministische Grundhaltung zugrunde liegt. Damit meinen wir, dass wir unsere Tätigkeit im Bewusstsein unserer gemeinsamen Betroffenheit als Frauen ausüben und dadurch den Betroffenen Solidarität geben, die Solidarität von gemeinsam Betroffenen. Außerdem wollen wir den Frauen vermitteln, dass das, was ihnen widerfährt, nicht an einer Eigenschaft liegt, die sie als Individuum haben, sondern dass es daran liegt, dass sie Frauen sind. Wir wollen ihnen vermitteln, dass es sich um eine diskriminierende Gewalt handelt, eine Gewalt, die sie trifft, weil sie weiblich sind, eine Gewalt, die in den patriarchalischen Strukturen unserer Gesellschaft ihren Ursprung hat.

Was will ich damit sagen? In unserer Gesellschaft herrschen bestimmte Verhaltensmuster, Vorstellungen, Programme und Haltungen vor, durch die Frauen Benachteiligungen erfahren. Diese sind heute zwar nicht mehr so offensichtlich wie vor hundert Jahren, aber sie sind definitiv noch da. Und eine der gewichtigsten Benachteiligungen ist die Gewalt gegen Frauen. Das heißt, indem wir den Frauen dieses Bewusstsein vermitteln, können wir sie stärken, weil sie sich dann für das, was ihnen passiert ist, nicht mehr individuell verantwortlich fühlen. Und das hilft ihnen, eine Haltung einzunehmen, um sich gegen die diskriminierenden Strukturen zu stellen, sich dagegen aufzulehnen und sich aktiv gegen die Gewalt zu stellen.

TT: Mit welchen Problemen können sich Frauen an euch wenden?

Agnes: Grundsätzlich können sich Frauen mit allen Frauenthemen an uns wenden. Wenn wir dafür zuständig sind, übernehmen wir die Unterstützung selbst, ansonsten verweisen wir die Rat- und Hilfesuchenden an geeignete Einrichtungen weiter. Spezialisiert sind wir auf sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen ab dem 14. Lebensjahr. Frauen können sich an uns wenden, wenn sie entweder biologische Frauen sind oder sich als Frauen identifizieren. Es können sich auch Bezugspersonen an uns wenden, und zwar unabhängig von Alter und Geschlecht. Also auch Verwandte, Freund*innen oder professionelle Betreuer*innen, die Hilfe für eine Betroffene in ihrem Umfeld besorgen wollen oder selbst Beratung brauchen, weil sie schwer mit dem Thema umgehen können, sind bei uns an der richtigen Stelle.

TT: Was genau versteht man unter sexualisierter Gewalt?

Agnes: Sexualisierte Gewalt umfasst ein breites Spektrum und kann nicht nur auf das Strafrecht reduziert betrachtet werden. Unsere Einrichtung bietet Beratung im kompletten Bereich der sexualisierten Gewalt. Wenn es sich um einen strafrechtlichen Tatbestand handelt, bieten wir der Betroffenen auch psychosoziale und juristische Prozessbegleitung an. Das heißt, sie bekommen von uns kostenlos psychosoziale Betreuung und juristische Vertretung, wenn sie sich für eine Anzeige entscheiden. Sexualisierte Gewalt im weiteren Sinne bedeutet eine Grenzüberschreitung der sexuellen Selbstbestimmung eine Frau. Solche Grenzüberschreitungen können zu Beispiel auch sogenannte Cat-Calls sein – das unaufgeforderte Äußern von sexualisierten Anmach-Sprüchen oder sexistischen Kommentaren gegenüber einer Frau. Auch wenn das nach österreichischem Strafrecht nicht strafbar ist, fällt es ebenso unter sexualisierte Gewalt, weil damit die sexuelle Integrität einer Frau beeinträchtigt wird. Immer, wenn eine Frau das Gefühl hat, dass ihre Grenzen überschritten worden sind, oder wenn sie sich darüber informieren möchte, kann sie sich an uns wenden.

TT: Wie versucht ihr, die Frauen zu stärken, um sich gegen sexualisierte Gewalt zu wehren?

Agnes: Vorneweg möchte ich festhalten, dass es nicht Aufgabe der Betroffenen ist, sexualisierte Gewalt durch Gegenwehr zu verhindern. Das ist die Verantwortung der gewaltausübenden Personen, und diese Verantwortung wollen wir auch dort lassen, wo sie hingehört. Gewalt im Allgemeinen, aber im speziellen sexualiserte Gewalt löst eine Hypostressreaktion aus, in der Gegenwehr oft physiologisch unmöglich ist. Wenn es darum geht, wie ich mich als Person wehren kann, arbeiten wir in der Beratung daran, das Bewusstsein der Frau zu stärken, damit sie selbst ihre Grenzen besser kennt und definieren kann. Es geht darum, Situationen rechtzeitig einschätzen zu können, sodass eine Reaktion noch möglich ist. Deshalb ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu kennen und ein Bewusstsein für diese zu entwickeln. Wenn es darum geht, sich strafrechtlich zu wehren, möchte ich ganz klar sagen, dass niemand von uns dazu gedrängt wird, eine Anzeige zu machen. Das ist eine individuelle Entscheidung, die jede Frau für sich selbst treffen kann und darf. Wir bieten Informationen und eine Reflexionsfläche an, damit die Betroffene für sich eine gute Entscheidung treffen kann.

TT: Wie erfahren die Frauen von euch?

Agnes: Frauen erfahren über unterschiedliche Wege von uns. Einerseits über unsere Öffentlichkeitsarbeit, wir haben eine Webseite und sind auf Facebook und Instagram, unser Info-Material liegt auf allen Polizeistationen im Bundesland Salzburg auf, wir werden in den Broschüren der Stadt und des Landes Salzburg sowie als offizielle Opferschutzeinrichtung des Bundes bei der Polizei angeführt. Wir betreiben eine Online-Plattform, über die sich Frauen auch anonym an uns wenden können. Viele erfahren auch durch Mundpropaganda von uns.

TT: Gibt es auch Beratung in anderen Sprachen?

Agnes: Unsere Beraterinnen können derzeit die Beratung auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch anbieten. Wenn andere Sprachen gebraucht werden, arbeiten wir mit Dolmetscher*innen. Viele Frauen, die nicht gut Deutsch können, lösen das Problem über Bekannte, die sie bitten, für sie anzurufen. Wir haben auch Folder in Arabisch, BKS, Deutsch, Englisch, Farsi, Rumänisch, Somali, Spanisch, Türkisch, Ungarisch, ebenso in leichter Sprache.

TT: Seit wann arbeitest du beim Frauennotruf und wie bist du dazu gekommen?

Agnes: 2020 habe ich beim Frauennotruf die Leitungsfunktion von meiner Vorgängerin Frau Dr. Andrea Laher übernommen. Zum Frauennotruf bin ich gekommen, weil mich das Leben zur Feministin gemacht hat. Wer als Frau durchs Leben geht, erlebt von klein auf immer wieder Diskriminierung, allein aufgrund der Tatsache, weiblich zu sein. Deshalb habe ich mich schon immer für diesen Bereich interessiert, auch im Studium. Als ich dann die Stellenausschreibung gesehen habe, habe ich mich beworben, und seitdem bin ich hier und darf diese Arbeit machen.

TT: Im vergangenen Jahrhundert wurden für die Frauen zweifellos viele Verbesserungen erreicht. Trotzdem gibt es Gewalt gegen Frauen und sexuelle Übergriffe. Was sind deiner Meinung nach die Ursachen?

Agnes: Zuerst möcht ich betonen, dass die Veränderungen, von denen wir heute profitieren, von mehreren Wellen feministischer Bewegungen hart erkämpft worden sind. Viele Frauen sind ins Gefängnis gegangen, damit wir die heutigen Rechte und die Gleichstellung haben. Wir stehen auf den Schultern von Riesinnen. Wir haben zwar gewisse Veränderungen erreicht, trotzdem hat ein gesellschaftliches Umdenken noch nicht in dem Ausmaß stattgefunden, wie es notwendig wäre.

Bisher wurden immer nur Maßnahmen gegen bestimmte Probleme gesetzt. Strafrechtlich hat sich da in Österreich schon viel getan. Darüber hinaus brauchen wir aber einen Diskurs, der in der ganzen Gesellschaft geführt wird. Wir müssen uns bewusst machen, dass Sexualstraftäter keine pathologisch auffälligen Triebtäter sind, die aus Büschen springen und Frauen überfallen, sondern Menschen, die ein ganz normales Leben führen. Genauso wie die Betroffenen ganz normale Frauen sind, deren Leben sich jedoch sehr stark verändert, nachdem sie so etwas erleben mussten. So wie jede Frau Opfer von sexualisierter Gewalt werden kann, kann auch jeder zum Gewaltausübenden werden. Es handelt sich um ein Problem, das aufgrund der Strukturen, die in unserer Gesellschaft herrschen, existiert. Gewalt gegen Frauen ist nicht ein Problem der anderen, sondern eines, dass uns alle angeht. Gewalt ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs, daneben gibt es alle möglichen Formen der Diskriminierung von Frauen, denen nicht alleine mit Gesetzen beizukommen ist. Dazu braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Umdenkprozess. Ich denke, es ist wichtig, diese Thematik auch im Bildungssystem zu behandeln. In einer idealen Welt, sollte – unabhängig von Sexualerziehung – altersgerecht über diese Thematik diskutiert werden, um damit solchen Gewaltformen vorzubeugen.

TT: Was bedeutet für dich Feminismus?

Agnes: Feminismus bedeutet für mich das Bewusstsein, dass es in unserer Gesellschaft nach wie vor Machtstrukturen gibt, die Frauen ganz klar benachteiligen. Es ist nicht so, dass der Feminismus seine Aufgabe erfüllt hätte, nur weil Frauen heute Hosen anziehen dürfen oder weil sie das Recht haben, zu wählen und arbeiten zu gehen. Es geht auch nicht darum zu sagen, Frauen und Männer sind gleich – das sind sie nicht, sie sind ganz offensichtlich verschieden – aber es geht um Gleichstellung und das Recht, dass ihre Bedürfnisse und ihre Grenzen respektiert werden. Und hier kann und muss die Gesellschaft noch vieles leisten. Wir sehen ja, dass die Grundhaltungen, die das Ungleichgewicht aufrechterhalten, oft versteckt sind und nicht bewusst von den Akteur*innen erlebt werden. Im Bereich der Gewalt gegen Frauen äußert sich das beispielsweise auch in der Tatsache, dass es nur in einem sehr geringen Ausmaß zu Verurteilungen kommt.

TT: Welche Bedeutung hat für dich der 8. März?

Agnes: Der Weltfrauen-Kampftag ist für mich ein Tag, der dazu da ist, unsere Kräfte zu vereinen und gemeinsam Zeichen zu setzen. Es ist ein Tag, der festgelegt wurde, um in gemeinsamen Aktionen auf das Ungleichgewicht und die daraus resultierenden Forderungen hinzuweisen. Es ist ein wichtiger Tag für mich, an dem ich jedes Jahr auf die Straße gehe. Der Internationale Frauentag ist aber nicht als Feigenblatt gedacht, um an diesem Tag die Frauen zu feiern und es die anderen Tage im Jahr nicht zu tun. Deshalb ist für mich jeder Tag Weltfrauentag.

Agnes: TT: Möchtest du noch etwas hinzufügen?

Agnes: Wichtig ist, dass es einen offenen Dialog zum Thema sexualisierte Gewalt gibt. Dieser betrifft jedoch zwei Bereiche, auf die Menschen sehr sensibel reagieren, nämlich Sexualität und Gewalt. Deshalb sollten wir mit sehr viel Sensibilität an das Thema herangehen, und nicht mit Anschuldigung und verhärteten Fronten, denn es ist wichtig die Problematik als ganzheitliches, systemisches Problem zu sehen, dass nicht nur Frauen, sondern die Gesellschaft als Gesamtes betrifft und daher auch nur gemeinsam gelöst werden kann.

Frauennotruf Salzburg – Frauenberatungsstelle bei sexueller Gewalt:
5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 14
www.frauennotruf-salzburg.at │ Tel:
0662 881100
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann.


veröffentlicht in Talktogether Nr. 87 / 2024

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