Als die Arbeiterinnen in Wien auf die Barrikaden stiegen PDF Drucken E-Mail

Wiener Arbeiterinnen auf den Barrikaden

Von der Märzrevolution bis zur Praterschlacht im Oktober 1848

Im Jahr 1848 wurde ganz Europa von revolutionären Aufständen erschüttert. Sie waren das Ergebnis tiefgreifender sozialer Spannungen, die sich in gewaltsamen Auseinandersetzungen entluden. Die Revolutionen erfassten sowohl Regionen, die bereits industrialisiert waren, als auch solche, die wie weite Teile der Habsburgermonarchie noch rein agrarisch strukturiert waren. Getragen wurden sie nicht nur von Bürger*innen und Student*innen, sondern auch von der Arbeiterklasse. Im Oktober 1848 organisierten die Erdarbeiterinnen in Wien die erste Frauendemonstration der österreichischen Geschichte.

Auf dem Wiener Kongress der Jahre 1814-1815 hatten sich die Herrscher Europas unter der Leitung des damaligen österreichischen Außenministers Fürst Clemens von Metternich in Wien getroffen, um sich zu beraten, wie sie trotz des Aufkommens neuer Strömungen wie Nationalismus, Liberalismus und Sozialismus ihre Macht erhalten konnten. Die Mitbestimmung der Völker und liberale Freiheiten waren in ihrem Plan nicht vorgesehen. Um die absolute Herrschaft des Kaisers zu sichern, wurden in Österreich weitreichende Zwangsmaßnahmen wie Zensur, Bespitzelung und die Einschränkung der Wissenschaften eingeführt und jegliche Freiheitsbestrebungen unterdrückt.

Die Märzrevolution in Österreich

Als Ende Februar 1848 die Nachricht von der erfolgreichen Revolution in Frankreich und der dortigen Ausrufung der Republik nach Österreich drang, formierten sich auch in Österreich die Bürger*innen,Standesvertretungen und Student*innen. Sie verlangten unter anderem eine geschriebene Verfassung, die Wahl eines Parlaments und die Abschaffung der Zensur.

Die Revolution von 1848 hatte ihre Gründe jedoch nicht nur im Polizeistaat und in der Unterdrückung der Meinungsfreiheit, sondern vor allem in den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen. Die Einführung neuer Maschinen in den Fabriken hatte zu Massenentlassungen und Lohnkürzungen geführt und großes soziales Elend verursacht. Missernten, die Kartoffelfäule und eine zyklische Wirtschaftskrise verschärften die Situation und brachten tausendfachen Hungertod mit sich.

Die wirtschaftliche Not im Hungerwinter 1847/1848 traf die ärmsten Bevölkerungsgruppen am härtesten. Arbeitslosigkeit, Teuerung und Wohnungsnot kennzeichneten die Lage der Arbeiterklasse; Rechtlosigkeit gegenüber der Grundherrschaft und bittere Not die der Bauernschaft, aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Handwerker waren prekär. Die Verzweiflung und die Wut auf das politische System waren kurz vor dem Überlaufen und machten die Lage explosiv.

Im Frühjahr 1848 weiteten sich die Kämpfe auf ganz Wien aus. In den Vorstädten wurden Fabriken gestürmt, Geschäfte geplündert und Mauthäuser in Brand gesetzt, in denen Steuern auf die Lebensmittel abgegeben werden mussten, die anschließend in der Stadt zu hohen Preisen verkauft wurden.

Die Nachricht von den Kämpfen in Wien führte am 15. März schließlich dazu, dass der revolutionäre Geist auch auf die Kronländer Österreichs übergriff. Gefordert wurde die Abschaffung der Vorrechte des Adels, die Aufhebung der Leibeigenschaft und eine Landverteilung an die Bauern. In Böhmen, im Königreich Ungarn und im oberitalienischen Königreich Lombardo-Venetien kam es zu heftigen Aufständen, in denen die jeweiligen Volksgruppen auch für ihre Emanzipation innerhalb des habsburgischen Herrschaftsgebietes kämpften.

Auf den Barrikaden erkämpfen die Aufständischen ihre ersten Siege. Wegen der Unruhen in den Vorstädten stimmte die Obrigkeit der Bewaffnung der Bürger und Studenten zu und bewilligte die Aufstellung einer Nationalgarde und der Akademischen Legion. Schließlich dankte der verhasste Kanzler Metternich ab und der Kaiser floh aus der Stadt.

Errungenschaften der Revolution

Nach der Märzrevolution hatte das Bürgertums weitgehende Rechte für sich erkämpft. Obwohl weiterhin eine kaiserliche Regierung im Amt war, wurde am 25. April 1848 eine Verfassung vorgelegt, die ein Zwei-Kammern-System bestehend aus einem vom Adel dominierten Senat und einem bürgerlich dominierten Abgeordnetenhaus sowie ein indirektes Männerwahlrecht ab dem 24. Lebensjahr vorsah. Das bedeutete, dass die Wahlberechtigten ihre Stimme nicht direkt für Parteien oder Abgeordnete abgeben konnten, sondern für Wahlmänner. Frauen, Arbeiter, Dienstleute und Personen, die vom Staat abhängig waren, waren jedoch vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Auch die Arbeiterschaft organisierte sich, um ihre Forderungen nach Lohnerhöhungen und einer Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden durchzusetzen. Am 26. Mai wurde das erste „Arbeiterkomitee“ formiert, am 24. Juli initiierte Friedrich Sander die Gründung des „Ersten Allgemeinen Arbeitervereins“. Am 4. Juli 1848 brachte Hans Kudlich im Wiener Reichstag den Antrag auf Aufhebung des bäuerlichen Untertänigkeitsverhältnisses ein, der nach langen Beratungen am 7. September 1848 zum Gesetz wurde und die größte Eigentumsverschiebung in Österreichs Geschichte einleitete.

Viele der demokratischen Errungenschaften waren dagegen nur von kurzer Dauer. Die Wirtschaft steckte in einer Krise und die Arbeitslosenzahlen explodierten. Um diese Probleme zu lösen, wurden „Notstandsarbeiten“ organisiert, wobei Erdarbeiten im Prater und in der heutigen Brigittenau den größten Umfang hatten. Tausende Frauen, Männer und Kinder errichteten Straßen, schütteten Erdwälle auf, regulieren Flüsse und bauten Dämme. Allein im Prater waren fast 3000 „Erdarbeiterinnen“ beschäftigt. Für zwölf Stunden Arbeit erhielten Erwachsene 20 Kreuzer und Kinder 15 Kreuzer. Damit konnten sich die Menschen kaum über Wasser halten. Wenn nicht gearbeitet wurde, wie bei Regen oder an Sonn- und Feiertagen, bekamen sie gar keinen Lohn.

Als dann noch verkündet wurde, dass der Tageslohn für Frauen auf 15 Kreuzer und der für Kinder auf 10 Kreuzer gesenkt werden sollte, war es den Erdarbeiterinnen zu viel. Mit Fahnen ausgestattet, aber unbewaffnet, marschierten die Frauen am 21. August in die Innere Stadt. Mit Töpfen und Kochlöffeln veranstalteten sie eine lautstarke „Katzenmusik“ und besetzten Straßen und Plätze. Es war die ersten Frauendemonstration in Wien. Doch der Arbeitsminister verweigerte die Rücknahme der Lohnkürzungen mit den Worten: „Eher sollen 10.000 Arbeiter niedergeschossen werden, ehe ich von meinem Entschluss abstehe.”

Die Praterschlacht


Quelle: https://wasbishergeschah.at/artikel/Artikel_Protest/2023-08-25_Praterschlacht-1848.html

Aus Empörung über diese Verachtung kam es zwei Tage später erneut zu einer Demonstration. 3000 Arbeiter und Arbeiterinnen formierten sich zu einem „Leichenzug“, der vom Prater bis in die Innere Stadt führen sollte. Die „Trauergemeinde“ schritt einer Bahre hinterher, auf der eine aus Lehm geformte und in Lumpen gehüllte Puppe lag, die den Arbeitsminister darstellen sollte. Den Umstehenden wurde erzählt, dass der arme Mann fünf Kreuzer verschluckt habe und daran erstickt sei. Damit waren jene fünf Kreuzer gemeint, die der Minister den Frauen und Kindern vom Lohn abgezogen hatte.

Am Praterstern wurde der Demonstrationszug jedoch von Mitgliedern der Nationalgarde und der Akademischen Legion aufgehalten. Doch die Demonstrierenden wollten sich nicht aufhalten lassen und beschimpften die Soldaten. Irritiert vom Verhalten der Frauen, die so gar nicht dem herrschenden Rollenbild entsprachen, reagierten die Soldaten mit aller Brutalität. Sie schlugen auf die protestierenden Menschen ein, die sich verzweifelt mit Schreien und Steinen wehrten. Das Resultat waren 18 tote Arbeiter*innen, vier tote Soldaten und 282 Verwundete.

Der deutsche Schriftsteller Robert Blum, der sich am Arbeiteraufstand beteiligt hatte, schreib am 17. Oktober 1848 an seine Frau: „Wien ist prächtig, herrlich, die liebenswürdigste Stadt, die ich je gesehen; dabei revolutionär in Fleisch und Blut. Die Leute treiben die Revolution gemütlich, aber gründlich. Die Verteidigungsanstalten sind furchtbar, die Kampfbegier grenzenlos. Alles wetteifert an Aufopferung, Anstrengung und Heldenmut. Wenn Wien nicht siegt, so bleibt nach der Stimmung nur ein Schutt- und Leichenhaufen übrig, unter welchem ich mich mit freudigem Stolz begraben lassen würde.“ Blum wurde nach der Niederschlagung des Aufstands verhaftet und zum Tode verurteilt, das Urteil wurde am 9. November vollstreckt.

Friedrich Engels beschreibt die Gründe für das Scheitern der Revolution, nämlich Klassenspaltung und Desorganisation, wie folgt: „In Wien herrschten unterdessen Verwirrung und Ratlosigkeit. Die Bourgeoisie war nach dem Sieg alsbald wieder ihrem alten Misstrauen gegen die ‚anarchische‘ Arbeiterklasse verfallen. […] Die Akademische Legion, die darauf brannte, gegen den kaiserlichen Despotismus zu kämpfen, war völlig außerstande, den tieferen Sinn der Entfremdung zwischen den beiden Klassen zu verstehen oder die Erfordernisse der Lage sonst zu begreifen. Verwirrung herrschte in den Köpfen des Volkes, Verwirrung in den führenden Kreisen.“

Die revolutionären Kräfte waren endgültig gespalten. Dass das Bürgertum sich nicht mit dem Kampf der Arbeiterschaft für ihre Rechte solidarisierte, hat es der kaiserlichen Armee, die sich reorganisiert hatte und durch die Siege von General Radetzky in Italien gestärkt war, leicht gemacht, die Revolution niederzuschlagen. Viele der demokratischen Errungenschaften der Märzrevolution gingen somit wieder verloren, und Österreich trat in die Phase des Neoabsolutismus ein. Geblieben sind nur die Aufhebung der Leibeigenschaft sowie die Verstaatlichung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung.

Das brutale Vorgehen gegen die demonstrierenden Arbeiterinnen hatte jedoch auch bürgerliche Frauen erschüttert. Wenige Tage nach der „Praterschlacht“ versammelten sie sich im Salon des Wiener Volksgartens und gründeten den „Demokratischen Frauenverein“, den ersten Frauenverein Österreichs. Sie unterstützten zwar nicht den Kampf der Arbeiterinnen, sammelten aber Geld für die Familien der Verletzten.

Veröffentlicht in Talktogether Nr. 88 / 2024