Gespräch mit Déogratias Nsengiyumva
IT-Fachmann und Betriebsrat in den Salzburger Landeskliniken
TT: Du bist als Betriebsrat für die AUGE/UG engagiert. Wie bist du dazu gekommen?
Déogratias: In der AUGE-UG ist man meiner Erfahrung nach nicht auf einmal dabei. Ich hatte schon zehn Jahre lang im Landeskrankenhaus gearbeitet, bevor ich in der Periode 2010-2014 erstmals für den Betriebsrat kandidiert habe. Mit der AUGE/UG bin ich wesentlich früher in Kontakt gekommen. Ich habe meine Meinung kundgetan, und so ist man auf mich aufmerksam geworden und hat festgestellt, dass es hier jemanden gibt, der auf Ereignisse im Betrieb reagiert. Die damalige Vorsitzende der AUGE/UG in der SALK hat mich dann gefragt, ob ich mitkandidieren will. Ich habe drei Mal nein gesagt, doch schließlich hat der, dann amtierende AUGE-Vorsitzende mich überzeugt, und so habe ich beim vierten Mal ja gesagt. An der AUGE/UG gefällt mir, dass sie offen für Diskussionen ist und man keiner Partei angehören muss (dafür steht UG – Unabhängige Gewerkschafter) um Teil der AUGE/UG zu sein.
TT: Was waren deine Gründe, dich als Betriebsrat und in der Gewerkschaft zu engagieren?
Déogratias: Das Interesse an meinem Betrieb war ausschlaggebend. Aber in späterer Folge stellte ich fest, dass die Gewerkschaft eine Institution ist, in der ich mich nicht wohl fühlte, deshalb habe ich bewusst die Gewerkschaft verlassen und mich auf meine Rolle als Betriebsrat beschränkt. Um nicht falsch verstanden zu werden, ich bin für die Gewerkschaft und halte sie für eine sehr wichtige Institution. Doch in Österreich habe ich leider den Eindruck, dass hier ein Kampf zwischen den Parteien stattfindet. Ich gehöre keiner Partei an, natürlich habe ich Präferenzen, möchte mich aber nicht an solchen Diskussionen beteiligen.
TT: Welche Vor- und Nachteile hat es, kein Parteimitglied zu sein?
Déogratias: Der Nachteil ist, einem manche Informationen vorenthalten werden, der Vorteil ist, dass man in deren Kämpfe nicht involviert ist. Dass das so ist, finde ich für die Gewerkschaft sehr schädlich, weil wir im Interesse derer, die wir vertreten, zusammenhalten sollten.
TT: Welche Aufgaben hat ein Betriebsrat?
Déogratias: Ich könnte auf § 38 des Arbeitsverfassungsgesetzes1) verweisen, der besagt: „Die Organe der Arbeitnehmerschaft des Betriebes haben die Aufgabe, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern.“ Der Betriebsrat vertritt also die Interessen der Mitarbeiter*innen in einem Betrieb. Die Konkretisierung dieser Aufgabe besteht für mich darin, die Kollegen und Kolleginnen in ihrer Arbeitsumgebung zu unterstützen und sie gegenüber dem Dienstgeber zu vertreten. Das bedeutet, ein offenes Ohr für jene zu haben, die über ihre Probleme reden wollen, zum Beispiel über eine für sie unhaltbare Situation am Arbeitsplatz. Dabei kann es auch um den Schutz vor Gewalt, Übergriffen und Beleidigungen, um die physische und psychische Gesundheit unserer Beschäftigten oder um den Datenschutz gehen. Es ist wichtig, dass die Kolleg*innen über ihre Rechte aber auch über Gefahren Bescheid wissen. Viele Dinge sind in Gesetzen und in Betriebsvereinbarungen festgelegt, und der Betriebsrat schaut, dass diese Regeln auch eingehalten werden.
TT: Erreicht ihr die Leute und haben sie genug Informationen, um zur Wahl zu gehen oder selbst im Betriebsrat mitzuarbeiten?
Déogratias: Wählen tun sie auf jeden Fall, die Frage ist eher, wie man sie auch dazu motivieren kann, sich zu engagieren. Manchen muss man zuerst erklären, wofür ein Betriebsrat überhaupt da ist. Es herrscht oft eine Abwehrhaltung vor. Leider ist allgemein ein weit verbreitetes Desinteresse festzustellen, sich sozial zu engagieren. Das ist schade, weil es wichtig ist, dort mitzureden, wo man einen großen Teil seines Lebens verbringt. Die Leute glauben aber nicht, dass sie die Macht haben, mitzubestimmen und etwas zu ändern. Sie sind der Meinung, dass sowieso immer wer anderer über sie bestimmt. Der kleine Bereich aber, in der Mitbestimmung möglich ist, wird oft nicht wahrgenommen.
TT: Warum ist ein Betriebsrat wichtig? Was kann man tun, wenn es in einem Betrieb keinen Betriebsrat gibt?
Déogratias: In jedem Betrieb mit mindestens fünf Beschäftigten kann ein Betriebsrat errichtet werden, für dessen Mitglieder ein besonderer Kündigungsschutz besteht. Der Arbeitgeber darf die Betriebsratswahl nicht verhindern. Das Arbeitsverfassungsgesetz spricht vom Interessensausgleich zum Wohl der Beschäftigten und des Betriebes. Ein Dienstgeber, in welcher Branche auch immer, will seine Ziele möglichst optimal – sprich mit minimalen Kosten – erreichen, und der Dienstnehmer stellt seine Arbeitskraft zu gewissen Konditionen zur Verfügung. Der Betriebsrat muss hier schauen, dass die geltenden Regeln eingehalten werden und auch, dass die Arbeitsbedingungen verbessert werden, wo es Verbesserungsmöglichkeiten und Notwendigkeiten gibt. In Betrieben ohne Betriebsrat kann man nur raten, einen Betriebsrat zu gründen. Auch wenn sich gewisse Firmeninhaber dagegen sträuben, glaube ich, dass ein Betriebsrat dazu beitragen kann, dass sich das Arbeitsklima wesentlich verbessert. Wenn ein Bediensteter Probleme hat, kann er natürlich auch die Gewerkschaft und die Kammer für Arbeiter und Angestellte um Hilfe bitten, aber es ist ein schwieriges Unterfangen, wenn sich diese Institutionen in ein konkretes Unternehmen einmischen sollen. Wenn seine Rechte verletzt werden, können sie ihm dabei helfen zu klagen, aber zuerst sollte meiner Meinung nach der einfachere Weg der Konfliktlösung im Betrieb gesucht werden.
TT: Wie viel Macht und Einfluss hat ein Betriebsrat?
Déogratias: Unser Einfluss ist natürlich begrenzt, aber es gibt die Möglichkeit, zu verhandeln. Bei einer Kündigung oder einer unvorteilhaften Versetzung muss der Betriebsrat informiert werden und seine Zustimmung geben. Der Betriebsrat spricht dann mit den Betroffenen, und wenn diese tatsächlich falsch behandelt worden sind, kann er sie zum Arbeitsgericht begleiten oder auf andere helfende Stellen verweisen.
TT: Was sind deiner Meinung nach die Gründe für die Probleme im Gesundheitssystem?
Déogratias: So gestellt kann ich die Frage gar nicht beantworten, denn das Gesundheitssystem umfasst sehr unterschiedliche Bereiche, in die ich als Betriebsrat gar keinen Einblick und Durchblick habe: Man sehe sich nur die Bevölkerungsstruktur, die Gesundheitsdienstleister, die Finanzierung usw. an! Im Pflegebereich habe ich jedoch den Eindruck, dass die Leute älter werden. Die meisten sind im Alter zwischen 40 und 60 Jahren, also in einem Alter, in dem die Belastbarkeit abnimmt. Ein neues Problem, das bei uns auch oft angesprochen wird, ist die Unterscheidung zwischen dem Pflegepersonal mit Uni-Abschluss und der alten Pflege. Und natürlich der Personalmangel.
TT: Woran genau liegt das Problem?
Déogratias: Allgemein gesprochen muss man sich die zur Verfügung stehende Arbeitskraft als Ressource vorstellen, um die viele Betriebe konkurrieren. Diese Ressource ist knapp. Die Ökonomen würden behaupten, dass der Bestbieter die besseren Ressourcen bekommt. Aber wer ist der Bestbieter, wenn die Vorstellungen auseinandergehen? Um konkret zu sein: Jetzt im Spital, wo ich Betriebsrat bin, wie bringt man einen jungen Menschen dazu, hier unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu arbeiten? Rahmenbedingungen wurden und werden sicher verbessert aber die Frage stellt sich immer: „Ist es trotzdem ausreichend für mich persönlich?“ Mein Eindruck ist, dass das System Krankenhaus, unabhängig vom Standort, nicht flexibel und attraktiv genug ist für die Ansprüche, die Menschen heute stellen. Einfach gesagt, die Leute wollen Freizeit haben. Aber in den Stationen muss immer jemand da sein, egal ob am Wochenende oder an Feiertagen. Es gibt 24-Stunden-Dienste, die kommen zwar nicht jeden Tag vor, aber jeden Tag muss sie jemand tun.
TT: Was sind die Hauptforderungen des Gesundheitspersonals? Geht es ums Geld oder eher um die Arbeitsbedingungen bzw. Arbeitszeiten?
Déogratias: Hier handelt es sich nicht um ein „entweder oder“, sondern um ein „sowohl als auch“. Was in dieser Frage vor allem fehlt, ist die Wertschätzung. Auf die Frage, warum die Stunde Bereitschaftsdienst eines Arztes drei Mal so viel Wert ist als die eines anderen Krankenhausangestellten, antwortete ein ehemaliger Salzburger Landesrat: „Diese Leute haben sieben Jahre lang studiert“. Das bezeugt für mich die mangelnde Wertschätzung, die dem Pflegepersonal entgegengebracht wird. Die Situation hat sich zwar seitdem gebessert, aber bin mir nicht sicher, ob sich auch die Einstellung dahinter geändert hat.
TT: Man hört auch, dass viele in der Pflege beschäftigten den Beruf aufgeben. Woran liegt das?
Déogratias: Die Gesellschaft muss anerkennen, dass der Pflegeberuf ein sehr anstrengender ist. Warum Leute den Beruf aufgeben? Weil sie es nicht mehr aushalten; weil sie ein „normales Leben“ führen wollen! Man stelle sich doch vor, was ein regelmäßiger 24-Stunden Dienst oder ein Wochenenddienst bedeutet für ein Familienleben. Ich bin kein Pfleger, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, was für eine Belastung es ist, ständig unter Stress zu arbeiten.
TT: Welche Beschwerden und Verbesserungsvorschläge hörst du als Betriebsrat?
Déogratias: Beschwerden sind meistens auf persönlicher Ebene, sie betreffen die stressige Arbeit; Konflikte am Arbeitsplatz, die mangelnde Wertschätzung oder Willkür. Viele wünschen sich zusätzliche Kolleg*innen, engagierte und ehrliche Vorgesetzte, sowie eine bessere Kommunikation und mehr Transparenz. Was ich persönlich problematisch finde, ist die überall zu hörende Antwort, man müsse Pfleger*innen* aus anderen Teilen der Welt anwerben. Nicht nur fehlen die Genannten in den jeweiligen Ländern, die in deren Ausbildung investiert haben, sie sind auch umkämpft. Die Krise ist ja nicht nur auf Österreich begrenzt! Und wenn die Leute schon da sind, sollten die Erfahrungen aus den 1970er Jahren allen eine Grundlage für die Integration dieser neuen Arbeitskräfte liefern. Damals hat man so genannte „Gastarbeiter“ geholt, sie aber nicht integriert. Diese Leute kämpfen heute noch damit, dass sie „die Ausländer“ sind, aber nicht nur sie, sondern auch deren Kinder und Enkelkinder. Wenn ich aber als junger Mensch hierherkomme, möchte ich nicht nach 40 Jahren immer noch als Ausländer angesehen werden. Leider scheinen die Zuständigen nicht auf eine neue Migrationsbewegung wirklich vorbereitet zu sein.
TT: Was sollte sich ändern, damit der Pflegeberuf wieder attraktiver wird?
Déogratias: Es wäre vermessen, wenn einer, der nicht einmal in diesem Beruf arbeitet, mit Lösungsvorschlägen daherkäme. Aber ich bin überzeugt, dass eine Pflegekammer ähnlich der Ärztekammer, die über die jeweils gültige Situation nachdenkt und Lösungsvorschläge für die Pflege erarbeitet, Verbesserungen herbeiführen könnte. Manche werden wahrscheinlich den Kopf schütteln und meinen, wir haben genügend Interessenvertretungen. Trotzdem finde ich, dass eine eigene gute Interessenvertretung der Pflege sehr guttun würde.
TT: Immer mehr Menschen, die aus dem Ausland stammen, arbeiten heute in Österreich. Wie kann man ihnen bewusst machen, wie wichtig Institutionen wie ein Betriebsrat oder die Gewerkschaften sind?
Déogratias: Man muss diese Menschen erreichen, was nicht immer ganz einfach ist. Manche sind sehr auf ihre Communities konzentriert, was für sie aber zum Nachteil ist. Es ist wichtig, einen Schritt nach außen zu tun, Fragen zu stellen und sich zu informieren. Viele wissen auch nicht, was ein Betriebsrat ist, da sie das aus ihrem Herkunftsland nicht kennen. Deshalb braucht es Offenheit, um herauszufinden, wo ich Unterstützung finden kann, wenn ich Probleme habe. Manche meinen auch, sie werden irgendwann wieder nach Hause gehen. Doch das ist ein Selbstbetrug, denn sobald ich einmal längere Zeit in einer anderen Umgebung und Kultur lebe, gibt es das Zuhause von damals nicht mehr. Ich könnte theoretisch wieder zurück nach Ruanda gehen, aber zu Hause bin ich dort nicht mehr.
TT: Könnte jemand, der in der Reinigung oder in der Essensausgabe arbeitet, auch zu dir kommen, obwohl diese Arbeiten an externe Firmen ausgelagert sind?
Déogratias: Prinzipiell bekommen alle, die zum mir kommen und mich um Rat fragen, eine Information. Wenn ich selbst nicht weiß, wie ich dieser Person helfen kann, weiß ich, wo ich nachfragen kann. Die Firma, die hier die Reinigung organisiert, ist aus St. Pölten und hat dort auch einen Betriebsrat. Zu dem kann ich den Kontakt vermitteln. Die Einschränkung, du gehört nicht zu meinem Betrieb, deshalb helfe ich dir nicht, gibt es für mich nicht. Ich bin für alle da, die hier im Landeskrankenhaus oder anderswo in der SALK arbeiten.
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(1) Arbeitsverfassungsgesetz, Fassung vom 15.04.2024: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008329
veröffentlicht in Talktogether Nr. 88 / 2024
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