Weil Nachhaltigkeit eine soziale Frage ist
In den Medien wird hĂ€ufig der Eindruck vermittelt, dass die Klimabewegung von weiĂen Menschen dominiert wird. TatsĂ€chlich hat die heutige Klimabewegung ihre Wurzeln jedoch zu einem wesentlichen Teil in sozialökologischen Bewegungen, die von KleinbĂ€uer*innen und Indigenen im Globalen SĂŒden und Afroamerikaner*innen in den USA ins Leben gerufen wurden.
Wenn wir von der Klimakrise sprechen, denken wir in erster Linie an die Erderhitzung, die durch das CO2 verursacht wird, das seit Beginn der Industrialisierung tĂ€glich in die AtmosphĂ€re ausgestoĂen wird. Nun ist die Industrialisierung aber auch untrennbar mit dem Kolonialismus und der damit einhergehenden AusplĂŒnderung der kolonialisierten LĂ€nder Amerikas, Afrikas, Asiens und der Pazifischen Inseln verbunden. Diese verursachten nicht nur Leid und groĂe Ungerechtigkeit fĂŒr die Menschen, sondern auch massive VerwĂŒstungen ihrer natĂŒrlichen Umwelt, die sich allen Klimakonferenzen zum Trotz bis heute fortsetzen.
Unterschiedliche FuĂabdrĂŒcke
Als ökologischer FuĂabdruck wird ein MaĂstab bezeichnet, der berechnet, wie viel FlĂ€che ein Mensch verbraucht und wieviel CO2 durch seine Lebensweise freigesetzt wird. Dieser FuĂabdruck unterscheidet sich jedoch wesentlich. Laut einer Oxfam-Studie verursachen die reichsten 10% der globalen Bevölkerung 52% der weltweiten CO2-Emissionen, wĂ€hrend die Ă€rmsten 3,5 Milliarden Menschen fĂŒr gerade einmal 10% der Emissionen verantwortlich sind. Man kann also sagen: Je reicher ein Mensch ist, desto klimaschĂ€dlicher ist sein Verhalten.
Die Menschen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, sind jedoch von deren Konsequenzen am meisten betroffen. Obwohl sie es sind, die sich seit Jahrzehnten an Ăberschwemmungen, DĂŒrren, ErnteausfĂ€llen und kollabierende Ăkosysteme anpassen mĂŒssen, finden ihre Forderungen nur wenig Gehör, denn auch in der Klimapolitik geben die reichen Staaten den Ton an. Statt Energie einzusparen, setzen diese vor allem auf den Ausbau erneuerbarer Energien und grĂŒne Technologien.
Dabei werden die UmweltschĂ€den jedoch oft ausgelagert, wie etwa bei der Herstellung von Akkus fĂŒr Elektroautos. Die Erzeugung von 1 kg Lithium in den Anden benötigt fast 2.000 Liter Wasser â und das in einer der trockensten Regionen der Welt. Die Folgen sind ein sinkender Grundwasserspiegel, die Austrocknung von Wiesen und Feuchtgebieten, GesundheitsschĂ€den durch Staub, Bodenerosion sowie das Aussterben einheimischer Tier- und Pflanzenarten. So verfestigt der Green Deal Armut, Ausbeutung und wirtschaftliche AbhĂ€ngigkeit.
Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit
Ihre historischen Wurzeln hat die heutige Klimabewegung nicht nur in der europĂ€ischen und amerikanischen Naturschutzbewegung, die sich im 19. Jahrhundert entwickelt hat, als man begann, besonders schöne Naturlandschaften als schĂŒtzenswert zu betrachten, sondern vor allem in der Bewegung fĂŒr Umweltgerechtigkeit. Diese verbindet den Kampf fĂŒr eine intakte und gesunde Umwelt mit dem fĂŒr soziale Gerechtigkeit.
Eine der ersten Bewegungen mit dieser Zielsetzung formierte sich 1973 in der indischen Himalaya-Region und erlangte weltweite Bekanntheit unter dem Namen âChipko-Movementâ (Chipko bedeutet auf Hindi umarmen). Sie richtete sich gegen die staatliche Forstpolitik, die Industriefirmen die Abholzung der WĂ€lder erlaubte, wĂ€hrend sie den Zugang und die Nutzung des Waldes fĂŒr die lokale Bevölkerung einschrĂ€nkte. Um die FĂ€llung der BĂ€ume zu verhindern, klammerten sich die Dorfbewohner, vor allem die Frauen, an die BĂ€ume. Da sie mit dieser gewaltfreien Methode erfolgreich war, wurde die Bewegung zum Vorbild fĂŒr zahlreiche Widerstandsbewegungen gegen Umweltzerstörungen und Enteignungen im Namen von âEntwicklungsprojektenâ â wie StaudĂ€mme oder Minen â in Indien und weltweit.
Teilnehmerinnen der Chipko-Bewegung treffen sich 2004 am 30. Jahrestag. Foto: Ceti (CC BY-SA 3.0)
Die Bewegung fĂŒr Umweltgerechtigkeit, die sich in den 1980er Jahren in den USA formierte, beschĂ€ftigt sich mit der statistisch nachweisbaren Tatsache, dass diejenigen, die in den am stĂ€rksten verseuchten Umgebungen Amerikas leben, meist Menschen mit geringem Einkommen sind, wobei Afro-Amerikaner*innen und Angehörige der amerikanischen Urbevölkerung besonders betroffen sind. Ein berĂŒchtigtes Beispiel ist die sogenannte âCancer Alleyâ am Mississippi in Louisiana, wo unzĂ€hlige petrochemische Industrieanlagen krebserregende Stoffe freisetzen. Auch Native Americans sind ĂŒbermĂ€Ăig von gesundheitsgefĂ€hrdenden Umweltbelastungen betroffen, da sich die meisten Uranabbaugebiete in ihren Siedlungsgebieten befinden.
Als in der mehrheitlich von Afro-Amerikaner*innen bewohnten Gemeinde Afton in Warren County im Jahr 1982 bekannt wurde, dass eine SondermĂŒlldeponie errichtet werden sollte, sorgten sich die Menschen, dass toxische Stoffe ins Trinkwasser gelangen könnten. Als die Behörden ihre EinwĂ€nde zurĂŒckwiesen, legten sich die Einwohner*innen auf die StraĂen und blockierten die Zufahrt. Es folgten sechswöchige gewaltlose Proteste, die zur Festnahme von mehr als 500 Menschen fĂŒhrten. Auch wenn die Bewohner*innen von Warren County ihr Ziel nicht erreichen konnten, gilt ihr entschlossener Kampf als wichtiger Meilenstein fĂŒr die Entwicklung des âMovement for Environmental Justiceâ.
Der Kampf fĂŒr die Umwelt wird gefĂ€hrlicher
Heute sind es vor allem indigene Völker, die unsere Natur beschĂŒtzen. Sie machen zwar nur fĂŒnf Prozent der Weltbevölkerung aus, beschĂŒtzen aber circa 82 Prozent der BiodiversitĂ€t unserer Erde. Fast ĂŒberall sind sie jedoch gezwungen, sich gegen die Vernichtung ihrer LebensrĂ€ume und ihrer traditionellen Lebensweise zu wehren. Und dieser Kampf wird immer gefĂ€hrlicher, denn NaturschĂŒtzer*innen und Umweltaktivist*innen sind an vielen Orten groĂer Repression ausgesetzt. Viel zu viele Menschen, die sich den Interessen der industriellen Landwirtschaft, des Bergbaus und der Energiewirtschaft entgegenstellt haben, mussten ihr Engagement bereits mit dem Leben bezahlten.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 89/2024
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