Gespräch mit Anja Hagenauer, Integrationsbauftragte der Stadt Salzburg PDF Drucken E-Mail

 Gespräch mit Anja Hagenauer

 

 

„Leider werden immer bei den MigrantInnen nur Defizite vermittelt: ihr wisst zu wenig,

 ihr könnt die Sprache nicht. Ich finde, man sollte vielmehr ihre Stärken beachten..."

 

 

Talk Together: Was ist die Aufgabe einer "Integrationsbeauftragten"?

 

Anja: Meine Aufgabe ist eine mehrfache, einerseits begleite ich im Magistrat Salzburg Projekte die für oder mit MigrantInnen gemacht werden, andrerseits soll ich neue Projekte mitinitiieren. Besonders wichtig ist es, Verbindungen herzustellen zu Vereinen und Institutionen, die sich mit dem Thema Integration beschäftigen. Des Weiteren ist es meine Aufgabe, mit anderen Gebietskörperschaften (Land und Bund) zu kommunizieren und zu versuchen, etwas zu bewirken und auch Geld aufzutreiben. Ein wichtiger Punkt ist außerdem die Öffentlichkeitsarbeit, nicht nur in Zeitungen, sondern vor allem intern in unseren Ämtern, damit dort ein besseres Bewusstsein entsteht für die Anliegen von Migrantinnen und Migranten.

 

Talk Together: Wie bist du darauf gekommen, dich mit dem Thema Integration zu beschäftigen?

 

Anja: Begonnen hat das 1993, da habe im Verein VIELE meinen ersten Deutschkurs gehalten. Dorthin gekommen bin ich aus reinem Zufall. Die Arbeit hat mich so fasziniert, dass ich in Folge immer mehr Deutschkurse gemacht habe und mich auch im Rahmen meines Studiums mit dem Thema Migration auseinandergesetzt habe. Ich habe mich mit der Geschichte der Herkunftsländer, sprich Türkei und Balkanländer, beschäftigt. Auf der Germanistik schrieb ich meine Diplomarbeit zum Thema "Integration". Als Post-Graduate studierte ich in Istanbul Türkisch, um eine Herkunftssprache zu lernen. Nach einem Unterrichtspraktikum arbeitete ich im als Sozialpädagogin im Verein Spektrum in der Berger- Sandhofer Siedlung, die für ihren hohen Anteil an MigrantInnen bekannt ist, anschließend arbeitete ich bei der Katholischen Aktion als Leiterin der Einrichtungen der Katholischen Jugend, wo u.a. auch das Jugendzentrum IGLU dabei ist, dem ich heute noch sehr verbunden bin, das wiederum sehr viele Kinder von MigrantInnen betreut. Ich habe mich außerdem immer in verschiedenen Einrichtungen und Organisationen engagiert, u.a. bei der „Plattform für Menschenrechte“. Nach wie vor arbeite ich beim Verein VIELE und habe dadurch drei Mal in der Woche intensiven Kontakt nicht nur mit Frauen aus den klassischen Einwandererländern wie Ex-Jugoslawien oder der Türkei, sondern mit Frauen aus allen Kontinenten, letztes Jahr waren 37 Nationen vertreten. Weil es ein Grundsatz der Vereinsarbeit ist, dass wir uns nicht nur treffen um Deutsch zu lernen, sondern auch um den Kulturaustausch zu fördern, habe ich Einblick in verschiedene Kulturen gewonnen und viel von den Frauen gelernt.

 

Talk Together: Welche Aktivitäten unternimmts du gemeinsam mit den Frauen?

 

Anja: Wir haben ein Projekt, MigrantInnen die Stadt Salzburg näher zu bringen und machen einmal im Monat einen Ausflug um Salzburg kennenlernen, außerdem wird gemeinsam gekocht, genäht, gefeiert und natürlich gibt es Beratung, ganz intensiv.

 

Talk Together: Was bedeutet für dich Integration?

 

Anja: Das ist ein Thema, worüber ich in der letzten Zeit sehr viel diskutiere. Ich habe für mich eine neue Definition von Integration gefunden. Für mich heißt Integration, dass ein Mensch, der aus einem anderen Land zu uns kommt, die Möglichkeit haben sollte, sich in dem ihm entsprechenden sozialen Umfeld zu integrieren. Es wird immer davon geredet, dass die MigrantInnen sich an die österreichische Kultur anpassen müssen. Nachdem wir aber selbst keine Definition der eigenen Kultur haben - die reicht vom "Goasslschnolzen" auf dem Land bis zu den Salzburger Festspielen, der Bereich ist so groß, dass ihn auch kein Österreicher erfüllen kann – wie können wir das von anderen verlangen? Jeder bewegt sich in einem sozialen Umfeld, das seinen Interessen entspricht. Für eine türkische Frau mit einem eher bildungsfernen Hintergrund ist sicher die bestmögliche Integration gemeinsam mit Österreicherinnen an einem Filethäkelkurs teilzunehmen. Ich kenne aber auch türkische MigrantInnen die sich für klassische Musik interessieren, die gehen gerne in ein Konzert. Genauso ist es z.B. für einen serbischen Fussballfan leichter, mit Österreichern im Fanclub von Red-Bull- Salzburg zu sein, ich kann aber nicht von ihm verlangen, in die Festspiele zu gehen. Für mich bedeutet Integration, in einem sozialen Umfeld, wo es Ähnlichkeiten gibt – und die findet man überall auf der Welt - eine neue Heimat zu finden. Ein Leitspruch dazu wäre: Das Eigene im Fremden zu entdecken!

 

Talk Together: Warum funktioniert die Integration in vielen Fällen nicht? Was sind die Hindernisse?

 

Anja: Ich setze immer auf der obersten Ebene an. Nachdem es in Österreich seit 40 Jahren Migration in diesem Ausmaß  gibt, haben wir 40 Jahre versäumt, Integrationspolitik zu machen. Die obersten Entscheidungsträger haben noch immer nicht das Bewusstsein, dass die Leute da bleiben, dass die Leute hier Kinder bekommen. Ich kann doch nicht von Herrn Huber oder Frau Maier im Wohnblock in Lehen verlangen, seine Nachbarn zu integrieren, es ist die Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit es funktioniert. Das ist in Österreich bis dato nur in Ansätzen passiert. Auch im neuen Regierungsprogramm taucht das Kapitel Integration noch immer nur im Bereich "Inneres" auf. Das zeigt, dass MigrantInnen als Sicherheitsproblem gesehen werden, dem man mit dem Gesetz begegnen muss. Man hat wieder einmal versäumt endlich ein Staatssekretariat oder ein Ministerium für Integration einzurichten, wie es in vielen anderen europäischen Ländern schon Gang und Gäbe ist.

 

Talk Together: Woran erkennt man, ob jemand integriert ist?

 

Anja: Das wird vielfach vom Äußeren her beurteilt. Jemand, der sich äußerlich nicht von den Österreichern unterscheidet, wird als integriert gesehen, während man eine Frau mit Kopftuch als nicht integriert betrachtet. Da kann man sich aber sehr täuschen. Der erste könnte vielleicht ein Nationalist sein, der nur hier ist, um Geld zu sammeln für den Kampf in seinem Land, während die Frau mit dem Kopftuch sehr wohl integriert sein kann. Nachdem es aber zu wenig Angebote gibt, kann man auch nicht sagen, dass die österreichische Staatsbürgerschaft ein Kriterium dafür ist, ob jemand integriert ist. Nur weil man eine Prüfung ablegen muss, heißt das noch lange nicht, dass man sich als Österreicher definiert. Ich glaube aber, dass dieser Zustand nicht in erster Linie an den MigrantInnen, sondern hauptsächlich an uns liegt, wie wir diese Leute betrachten.

 

Talk Together: Wie kann man diesen Leuten das Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln?

 

Anja: Leider werden immer bei den MigrantInnen nur Defizite

vermittelt: ihr wisst zu wenig, ihr könnt die Sprache nicht. Man sollte vielmehr ihre Stärken sehen, die Vorzüge ihrer Kultur, ihre persönlichen Erfahrungen usw. Heutzutage kann man eine Rückbesinnung und die Suche nach Verwurzelung beobachten. Dass junge Leute aus der zweiten Generation oft Ehepartner aus ihren Heimatländern suchen, ist ein Zeichen dafür, dass sie hier nicht angekommen sind, keine Heimat gefunden haben, obwohl sie hier aufgewachsen sind, hier leben und hier bleiben wollen. Oft sind es aber auch die Eltern, die hoffen, in die Kriminalität abgerutschte Jugendliche auf diese Weise wieder auf den rechten Weg zu bringen,was aber leider nicht funktionieren kann.

 

Talk Together: Was sind deine Pläne und welche Ziele hast

du dir gesetzt?

 

Anja: Konkret gibt es heuer zwei Projekte, das erste ist das Projekt "Rucksackeltern", das in zwei Modellkindergärten der Stadt Salzburg durchgeführt werden soll. Dieses Projekt gibt es seit 1999 in Nordrhein-Westfalen, wo es mit großem Erfolg angewendet wird. Wenn Kinder in den Kindergarten kommen, können sie oft noch nicht gut Deutsch, was kein Problem darstellt. Was aber ein Problem ist, dass sie ihre eigene Muttersprache nicht beherrschen. Das Projekt bildet Frauen aus, die ihre Muttersprache gut beherrschen, die dann ein Jahr lang eine Gruppe von Frauen begleiten. Sie zeigen ihnen, was sie zu Hause tun können um ihr Kind zu fördern, damit das Kind die eigene Muttersprache gut erlernt: Wie spiele ich mit meinem Kind, was lese ich meinem Kind vor, damit es in der eigenen Sprache gefestigt wird. Je besser ein Kind die Muttersprache kann, desto schneller lernt es in der Regel auch Deutsch. Das Projekt hat darüber hinaus auch noch das Ziel, dass die Frauen nicht mehr als defizitär wahrgenommen werden, sondern einen Expertinnenstatus zuerkannt bekommen.

Zweitens möchte ich, dass alle, die in der Stadt Salzburg ein Erstvisum bekommen, eine Willkommensmappe in ihrer Muttersprache erhalten, die rechtliche und kulturelle Informationen, wichtige Anlaufstellen usw. enthält. Außerdem habe ich vor kurzem ein Treffen aller Institutionen organisiert, die Deutschkurse anbieten, damit sie sich untereinander abstimmen können. Es ist nämlich nicht immer einfach, den geeigneten Deutschkurs zu finden. Außerdem werde ich von Organisationen zu Arbeitkreisen und Vorträgen eingeladen oder lade mich demnächst selber ein, um ihnen das Leben von MigrantInnen in Österreich näher zu bringen, z.B. beim Heimhilfedienst, denn in ein paar Jahren werden zunehmend MigrantInnen deren Hilfe in Anspruch nehmen, oder bei der Wirtschaftskammer, um zu erfragen, wie viele migrantische Unternehmen es in Salzburg gibt, ich versuche also Leute zu sensibilisieren, die auf den ersten Blick mit dem Thema

nichts zu tun haben.

Talk Together: Haben Flüchtlinge, die noch auf ihren Asylbescheid warten, Anspruch auf Integrationsförderung?

 

Anja: Da kann ich nur meine persönliche Meinung sagen, weil das vom Gesetz her nicht in den Wirkungsbereich der Kommune fällt, das ist Bundes- bzw. Landesebene. Das Problem dabei ist, dass der Bund die Problematik zwar gerne auf die unteren Ebenen abwälzen möchte, jedoch nicht bereit ist, das nötige Geld zur Verfügung zu stellen. Aber das Land Salzburg hat mittlerweile ein Integrationskonzept für Flüchtlinge und Asylwerber erstellt, was ich dazu beitragen kann, ist mitzusprechen und eine Stellungsnahme anzugeben. Ich persönlich finde es nicht sinnvoll, die Leute jahrelang untätig herumsitzen zu lassen und ihr Potenzial brachliegen zu lassen. Außerdem, wenn jemand zehn Jahre lang auf Asyl wartet, hat er die Zeit, um sich zu integrieren, schon verpasst. Sollte der Asylbescheid negativ ausfallen, hat er wenigstens in Österreich die Möglichkeit gehabt, zu arbeiten oder eine Ausbildung zu machen, und kann das Gelernte vielleicht in seinem Herkunftsland verwenden.

 

Talk Together: Was können die ImmigrantInnen tun, um sich in die Gesellschaft zu integrieren, und was können die ÖsterreicherInnen dazu beitragen?

Anja: Wenn Leute hier leben wollen, erwarte ich, dass sie ihre Rechte und Pflichten kennen und erfüllen. Von den ÖsterreicherInnen erwarte ich, die MigrantInnen als ganz normale Menschen zu sehen, die hier arbeiten und leben wollen. Negative Beispiele von Vorurteilen finden wir ja leider auf beiden Seiten zur Genüge. Ich erwarte von jedem, die Grund- und Menschenrechte, die für alle gelten, zu akzeptieren, da bin ich auch konsequent. Es gibt aber auch viele Ängste. Manche trauen sich nicht, im Stiegenhaus „Grüß Gott“ zu sagen, weil sie fürchten, wie es in ihrem Heimatland üblich ist, in eine Konversation verwickelt zu werden, aber die Sprache nicht gut genug können. Ich erkläre den Leuten, dass es in Österreich üblich ist, im Stiegenhaus zu grüßen, dass es aber damit meist schon getan ist und die Leute ihres Weges gehen. Solche und ähnliche Dinge werde ich sicher in die Willkommensmappe schreiben.

Talk Together: Meistens wird über die MigrantInnen geredet, aber sehr selten wird ihre Stimme gehört. Ist es nicht an der Zeit, das zu ändern?

Anja: Es gab einige Stimmen, die kritisiert haben, dass ich als Österreicherin die Stelle als Integrationsbeauftragte bekommen habe. Ich finde es aber nicht sinnvoll, so eine Stelle nach ethnischen Kriterien zu besetzen. Vielmehr haben wir versäumt, MigrantInnen einzuladen, Berufe im Staatsdienst zu ergreifen als Lehrer, Juristen, Polizisten usw. um sie in die Entscheidungsgesellschaft hereinzuholen. Um Mitreden zu können, muss man auf gleicher Augenhöhe sein. Ich halte aber nicht viel von einem "Ausländerbeirat", den ich eher als Feigenblatt ansehe, damit die Politiker sagen können, die MigrantInnen dürften ja mitentscheiden. Ich trete stattdessen für das Wahlrecht für MigrantInnen auf kommunaler Ebene ein, und es liegt an den Parteien, Leute mit Migrationshintergrund an wählbare Stellen auf die Wahllisten zu setzen.

Talk Together: Wie ist es dir während der Zeit, als du in der Türkei gelebt hast, ergangen?

Anja: Für mich ist Istanbul neben Salzburg die schönste Stadt der Welt. Ich habe dort sofort Anschluss gefunden und mich nie als Fremde gefühlt. In der Türkei hat die Gastfreundschaft einen hohen Stellenwert, als Gast hast du alle Rechte. Ich habe während meiner Studienzeit in einem Hotel in einem Nachtclubviertel gewohnt, weil es dort sehr billig war. Der Hotelbesitzer hat alle Nachtclubbesitzer aufgefordert, auf mich aufzupassen und dafür zu sorgen, dass mich niemand belästigt. Deshalb konnte ich mich immer sicher fühlen, selbst wenn ich mitten in der Nacht nach Hause kam. Ich habe viele Freundschaften geschlossen und habe mit einigen Familien noch immer Kontakt, sie besuchen mich in Salzburg, und ich fahre oft im Urlaub nach Istanbul und besuche sie. Einmal war ich mit meiner Mutter dort und wohnte in einem alten Viertel auf der asiatischen Seite, wo es viele Kirchen und Synagogen gibt. Dort gibt es eine Kirche, die eine gemeinsame Mauer mit einer Moschee hat, wahrscheinlich die einzige der Welt. Eines Tages besuchten wir einen orthodoxen Friedhof, die Grabsteine waren alle mit griechischen Buchstaben beschriftet, außer einer, auf dem mit lateinischen Buchstaben stand: "Maria Salzburg 1904-1963". Das hat mich sehr überrascht und neugierig gemacht. Es ist mir dann erzählt worden, dass es das Grab einer konvertierten Jüdin ist, die vor Hitler aus Deutschland nach Istanbul geflüchtet war.

Talk Together: Vielen Dank für das Gespräch!

erschienen in: Talktogether Nr. 19/2007